Samstagsküche:Deutscher Geist

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Bei uns gibt es mittlerweile mehr Whisky-Brenner als in Schottland. Technisch sind sie gut. Aber noch fehlt es dem Ganzen deutlich an Charakter.

Von Benedikt Warmbrunn

Der erste Schluck ist ein Schlüsselerlebnis. Das erzählen viele Whisky-Fans, und bei Cornelia Bohn war es extrem. Jahrelang hatte sie diesen Drink verklärt, ohne ihn zu kennen. Nun spürte Cornelia Bohn, sie war damals 19, endlich zum ersten Mal dieses leichte Beißen auf der Zunge. Die Stärke des Alkohols haute sie fast um. Sie erinnert sich bis heute an die Rauchigkeit, die Holznote. Nichts davon schmeckte so, wie sie es sich vorgestellt hatte. Und trotzdem wusste sie sofort: Das wird das Getränk ihres Lebens.

Jeder gute Drink hat eine Bauch- und eine Kopfnote, auf kein Getränk dürfte das mehr zutreffen als auf Whisky. Das Bauchgefühl von Cornelia Bohn hatte damals vielleicht schon vorentschieden, dass sie Whisky einmal zum Beruf machen würde. Weil der Drink, als sie ihn in den 80er-Jahren als 19-Jährige aus Brandenburg kennenlernte, für alles stand, was sie nicht hatte. Weil er gegen Normen verstieß, Freiheit verhieß. Der Kopf setzte erst später ein, bei der Annäherung an dieses Getränk. Womöglich schon beim zweiten Schluck, von dem sie sich auch deshalb verraten fühlte, weil er so anders schmeckte als der erste.

Noch später merkte sie, dass die Schlucke sich bei gutem Whisky oft unterscheiden. Sie hörte nie auf zu probieren. Ihr erster Whisky war ein malziger, torfiger, süßlicher Teachers gewesen, genossen im Bulgarien-Urlaub. Nach der Wende kaufte sie sich als erstes eine Flasche Johnny Walker, vom Begrüßungsgeld. Und Jahre später hatte die gelernte Pharmazie-Ingenieurin genug Erinnerungen an erste, zweite und dritte Schlucke gesammelt, um selbst das Ungewöhnliche zu wagen. Sie brannte ihren eigenen, den "Preussischen Whisky".

Illustration: Claudia Klein (Foto: Claudia Klein)

Sieben Jahre ist das her. Und fast wirkt es so, als sei die Zeit fürs Brennen damals reif gewesen. Bohn schien ihre Faszination plötzlich mit immer mehr Deutschen zu teilen. Denn die Whiskyliebe boomt zwischen Ostsee und Bodensee. Etwa 150 Whisky-Brenner zählen manche heute in Deutschland, selbst in Schottland gibt es nur 108 aktive Brennereien. Und trotz des Booms sagt man deutschen Brennern nach, dass Whisky nicht ihr Drink geworden ist. Dass sie diese Harmonie von Kopf und Bauch, die auch Cornelia Bohn seit gut 25 Jahren beschäftigt, nicht in den Griff kriegen.

Deutschland war immer ein Land der Obstbrenner: Äpfel, Birnen, Himbeeren, Quitten. In den vergangenen Jahren haben viele dieser Obstbrenner eine neue Grundzutat entdeckt, die Gerste. Und so wagten sie sich an Whisky heran, an dieses Getränk, das von seinen Trinkern geradezu mystisch verehrt wird. Weil es nach dem Brennen eben noch nicht perfekt ist, weil es sich erst während der vielen Jahren in den Fässern entfaltet, wenn sich Getreide, Alkohol, Wasser, Luft und Holz miteinander zu einem Gemisch entwickeln, dem es gelingen kann, in der Nase, auf der Zunge, am Gaumen einen fast schon unerklärlichen Variantenreichtum an Aromen freizusetzen - und zwar bei jedem Schluck aufs Neue und bei jedem Schluck anders.

Doch obwohl hierzulande inzwischen jeden Monat irgendwo ein neuer Whisky vorgestellt wird, ist deutscher Whisky bisher keine Erfolgsgeschichte. Er findet Käufer, aber kaum Liebhaber. Es ist die Geschichte eines Missverständnisses, bei dem sich zwei scheinbar unvereinbare Anschauungen gegenüberstehen: die der gewissenhaften Obstbrennertradition. Und die der sinnlich verklärten Whisky-Welt.

Cornelia Bohn - auch deshalb hat man sie in ihrer Brennerei in einem früheren Pferdestall im uckermärkischen Landin besucht - steht mit ihrem "Preussischen Whisky" irgendwo dazwischen. Ihre emotionale Nähe zu dem Getränk, erklärt sie auch damit, dass Whisky für sie als DDR-Teenager so ein Sehnsuchtsgetränk war. Wenn sie Filme im Westfernsehen schaute, bewunderte sie die Männer darin, die an der Bar saßen, auf den Schultern die Last der Welt, an der Seite eine Verehrerin, in der Hand ein Glas Whisky. "Und Destillieren", sagt sie, " hatte für mich schon immer etwas Geheimnisvolles, das war für mich wie Magie, wie Alchemie", sagt Bohn.

(Foto: N/A)

Deutscher Whisky hat einige Käufer. Aber richtige Liebhaber findet er nicht

Nüchtern betrachtet hat Whisky seinen mysteriösen Ruf fast verloren. Er wird weltweit hergestellt, das Whisky-Wissen ist so groß wie nie. Whisky ist heute ein Liebhabergetränk für Menschen, die wissen, was sie riechen und schmecken wollen. Und die daher oft enttäuscht sind von Whisky aus Deutschland. Weil er anders schmeckt; weil er anders gebrannt wird. Bohn, die immer ungewöhnlich bleiben wollte, sagt dazu nur: "Mein Ziel war es nie, jemanden nachzuäffen. Auch nicht die Schotten."

Schottischer Whisky. Keinen anderen beschreiben Experten wie Fans ähnlich poetisch. Er mag im Urteil einiger Kritiker gerade vom japanischen Whisky überholt worden sein. Doch er ist weiter das Maß aller Dinge. Er steht für Stärke und Rauchigkeit, für so abstrakte Bilder wie das Dahingleiten über weite Landschaften. Sein Vorbildcharakter liegt nicht nur an seinem Ruf, sondern auch an der Technik. Denn die meisten Schotten brennen im sogenannten Pot-Still-Verfahren, sie destillieren ihre Maische zweimal in zwiebelförmigen Kupferkesseln; dabei wird der Alkohol verdampft und durch Abkühlung wieder kondensiert. Viele Brennblasen sind riesig, fassen bis zu 20 000 Liter - das ist teuer, bestimmt aber den Geschmack: In kleinen, engen Kesseln wird das Destillat kräftiger, öliger. Dieses Rohdestillat ist so ungenießbar, dass sich erst während der langen Fassreife ein Getränk entwickelt, das mal mild, mal fruchtig, mal torfig, mal rauchig oder auch vieles davon zugleich sein kann. Bei der Lagerung profitiert der Brand vom gleichmäßigen schottischen Klima; im Fass passt das Destillat also seine Dichte kaum der Außentemperatur an.

Deutsche Whiskybrenner dagegen brennen in Obstbrennblasen, in die nur wenige Hundert Liter passen. So betonen sie den Eigengeschmack der Gerste, manchen filtern dabei mehrere Aromen heraus; schon das Rohdestillat ist genießbar. Die Brenner sind darauf sehr stolz, sie lagern ihr Destillat nur, weil sie es lagern müssen - vorgeschrieben für Single Malt sind drei Jahre.

Eine der Brennereien, die für den kontrollierten, perfektionistischen deutschen Weg steht, befindet sich im Schwarzwaldörtchen Herbolzheim-Broggingen. Im Erdgeschoss ihres Hauses, in einer kleinen Stube, steht Walter Fitzke neben seiner Obstbrennblase, er sagt: "Wir machen Gerstler, wir stehen dazu. Wir brennen Getreide wie Obst." Für ihren Whisky, den Derrina, verwenden Walter Fitzke und seine Frau nicht nur Gerste, sondern alles, was sich an Getreide finden lässt: Dinkel, Grünkern, Einkorn, Buchweizen, Hirse, Triticale, Reis. Es ist ein Gegensatz zum schottischen Vorgehen, aber weil die Fitzkes für jeden Whisky nur eine Getreidesorte mälzen, nennen sie ihn dennoch nach schottischem Vorbild: Single Malt Whisky. Dass dieser nicht weithin anerkannt wird, kränkt die Fitzkes, es verletzt sie in ihrer Brenner-Ehre.

Gelassen mit dem schlechten Ruf des deutschen Whiskys gehen sie indes beim Marktführer um, in der Brennerei Slyrs, gelegen am Schliersee, am Fuß der oberbayerischen Berge. Entstanden ist Slyrs aus einer der größten Obstdestillerien, und man macht dort durchaus vieles wie die Schotten. Zum Beispiel aufwendiges Marketing. Slyrs brennt in einer selbst entwickelten Pot-Still-Anlage. Die Fässer werden aus den USA geliefert, sie sind oben und unten unterschiedlich stark getoastet, so entstehen mildere und zugleich holzigere Noten. Slyrs lagert Whisky auch in Sherry- oder Portweinfässern und auf einem Boot vor Sylt, auf dem der Seegang den Geschmack beeinflussen soll. Die Brennerei verkauft sogar im Ausland, doch dass sie sich in der Heimat durchgesetzt hat, behauptet sie nicht. "Deutscher Whisky gilt als zu mild, als Lady's Whisky", sagt Hans Kemenater, der Destillateurmeister. "Wir wollen nur, dass die Leute an uns denken, wenn sie an den milden deutschen Whisky denken."

Bleibt die Frage, warum sich die zwei Herangehensweisen, die gewissenhaft perfektionistische und die sinnliche nicht besser miteinander verbinden lassen. Antworten darauf bekommt man noch am ehesten in der Destillerie von Cornelia Bohn, die sich seit ihrem ersten Whisky von beiden Anschauungen beeinflussen lässt. Bohn brennt in einer 500-Liter-Obstbrennanlage, auch sie will den Geschmack der gemälzten Gerste fein herausarbeiten. Die Brennblase hat sie verändern lassen, wenig Elektronik, viel Mechanik, sie will die Magie des Destillierens erleben, wenn sie an Reglern Druck, Temperatur oder Fließgeschwindigkeit steuert. Bohn sagt: "Ich bin eine Puristin."

Die deutschen Brenner sollten lernen, sich mehr auf ihr Bauchgefühl zu verlassen

In ihren Whisky bringt sie aber auch weitere Aromen hinein, sie will, dass er sich entwickeln kann. Daher lässt sie 85 Prozent ihres Gerstenmalzes über Buchenholz räuchern; ähnlich wie in Schottland, wo oft über Torf geräuchert wird. Die anderen 15 Prozent sind Röstmalz. Den Brand lagert sie dann in einem offenen Raum, er soll sich entwickeln im Kampf mit dem Wind, dem Frost, der Hitze. Die Jahre, die das Rohdestillat in Fässern gelagert wird, will Bohn stufenweise erhöhen; aus einem Dreijährigen wird so gerade ein Fünfjähriger, irgendwann soll das mit einem Zehnjährigen enden. "Es war mir völlig egal, ob die Leute sagen, dass er zu streng, zu rauchig, zu erdig sein könnte", sagt sie, "ich wollte nie Everybody's Darling sein."

In dem Land, in dem sich die meisten Brenner zu sehr auf ihre Technik und zu wenig auf die ungewissen, aber prägenden Jahre der Fasslagerung verlassen, hat Bohn sich für einen Mittelweg entschieden. Ihr Whisky hat sicher nicht das Abenteuerliche eines schottischen, er ist aber auch nicht so klinisch wie viele deutsche Sorten. Ihren ersten eigenen Whisky hat sie deshalb auch nicht in seiner Heimat vorgestellt. Lieber ist sie zu einer Messe nach New York geflogen. "Ich wollte mir erst ein paar Streicheleinheiten abholen."

Drei Tage lang wurde sie dort gelobt und bewundert. Dann flog sie zurück nach Deutschland, wo die gewissenhaften Brenner von Cornelia Bohn lernen könnten, wie man sich einfach ein bisschen mehr auf sein Bauchgefühl verlässt.

© SZ vom 12.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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