Essen und Trinken:Tanz um die goldene Lende

Franck Ribérys Steakbrater Nusret Gökçe hat es mit Krummsäbel-Show und absurden Würz-Ritualen zum Foodpornstar gebracht. Was ist nur so faszinierend an Bling-Bling-Küche?

Von Marten Rolff

Aus gastronomischer Sicht war die Woche eine besonders lehrreiche. Schließlich zeigte der türkische Steakhauskettenbesitzer Nusret Gökçe noch einmal mustergültig, was genau man tun muss, um zum größten Foodpornstar aller Zeiten aufzusteigen. Tagelang arbeiteten sich die sozialen Netzwerke an einem Video ab, auf dem Gökçe für FC-Bayern-Stürmer Franck Ribéry in seiner Restaurantfiliale in Dubai ein mit Blattgold überzogenes Tomahawksteak tranchiert. Wobei der Gastronom bei jedem seiner rhythmischen Säbelschnitte das Becken konvulsiv in Richtung Ribeye-Knochen schiebt. Tatsächlich sieht Gökçe nie aus, als würde er Fleisch schneiden, sondern so, als hätte er Sex mit ihm.

Nur kurz zur Erinnerung: Ribéry wurde wegen der obszönen Fleischmassen angefeindet und bestrafte die Hater im Netz mit ebenso obszönen Flüchen, für die er wiederum von seinem Verein bestraft wurde. Zudem las man plötzlich auffallend viele Abhandlungen zu Nährwert und Geldwert von Blattgold (Materialkosten für Ribérys Ribeye: wohl doch nur acht Euro). Und immer noch mehr ungefilterte Lobeshymnen über die enormen Steaks und die sagenhaften Erfolge des türkischen Fleischmagiers, der in seinen 14 Filialen regelmäßig die "High Society" bewirte und längst prominenter sei als viele seiner vielen prominenten Gäste.

In all der Aufregung wurden dann aber ein paar wichtige Fragen gar nicht berührt. Wie ist es zum Beispiel zu erklären, dass der Erfolg eines Wirts auf der Inszenierung einer schweren Verhaltensstörung gründet, die - Gibt es dafür einen Fachbegriff? - irgendwo angesiedelt sein muss zwischen kulinarischem Trumpismus und Penisfixierung? Wieso übt das Bling-Bling auf dem Teller eine solche Faszination aus?

Ja, warum lassen sich extrem erfolgreiche Erwachsene - zu den Fans von Gökçe (19 Millionen Follower) zählen Weltfußballer wie Cristiano Ronaldo oder Lionel Messi und Popstars wie Justin Bieber, aber auch Gentleman-Tennisspieler Roger Federer und Hollywoodstar Leonardo DiCaprio - wieso also lassen sich leidlich welterfahrene Menschen schon vom kleinsten Hokuspokus beeindrucken, sobald sie ein Lokal betreten?

Nusret Gökçe, 36, der schon vor zwei Jahren zum Internetstar wurde, gab einer türkischen Reporterin auf die Frage nach seinem Erfolgsrezept damals zu Protokoll: "Glaub mir, ich kapier' das selbst nicht. Ich habe auf einmal Millionen Anhänger auf Instagram, und wenn ich auf die Straße gehe, kann ich keinen Schritt laufen, weil die Leute alle ein Selfie mit mir machen wollen." Natürlich glaubt man ihm kein Wort, denn absichtsvoller und hemmungsloser als Gökçe kann man Foodporn gar nicht inszenieren.

Gäbe es seine Geschichte nicht, man müsste sie fürs Influencer-Zeitalter erfinden: Als Sohn eines osttürkischen Minenarbeiters muss er mit 13 wegen Geldnot die Schule abbrechen. Beide Eltern sollen Analphabeten sein. Gökçe geht bei einem Metzger in die Lehre und dann nach Südamerika, um in Argentinien "alles über Fleisch" zu lernen. 2010 legt er mit dem ersten Restaurant in Istanbul den Grundstein seiner Kette, die heute unter anderem Filialen in Doha, Dubai, Miami und New York hat.

Nun weiß auch Gökçe, dass ein paar protzige Steakhäuser und Instagrambilder von Dry-Aged-Lappen für den Ruhm schon lange nicht mehr reichen. Die Antwort ist natürlich: krasser, individueller, schräger. Das gegelte Haar bindet er stets zum Pferdeschwanz, dazu trägt er eng anliegende T-Shirts. Er zeigt in Workout-Videos sein Sixpack. Er tritt nie ohne Sonnenbrille auf. Fleisch schneidet er nun meist mit dem Krummsäbel und wirkt dabei wie ein manierierter Sultan aus einer türkischen Soap.

Sein Clou aber ist seine "Würztechnik": Dafür winkelt Gökçe Ellbogen und Handgelenk ab und lässt das Salz für jedes Stück Fleisch aus einem Meter Höhe über seinen muskulösen Unterarm rieseln. Ein Video davon geht im Januar 2017 viral. Nun nennen sie ihn "Salt Bae" (für before anyone else). Es gibt bald ein eigenes Emoji, das diese Pose zeigt und "Vollendung" bedeutet. Dazu "Salt Bae"-Shirts, Mützen und Smartphonehüllen.

Seine Posen funktionieren

Wobei es immer unwichtiger zu werden scheint, was der türkische Schlachter, der Goldgriller, die Kim Kardashian der Steakküche, eigentlich säbelt und salzt. Wichtig ist: Seine Posen funktionieren überall für alle. Ob am Tisch, auf der Bühne oder im Netz. Ob für Bewunderer, Gaffer, geschockte Veganer oder für die besonders Schlauen, die in Gökçes Auftritten verspätete Monty-Python-Sketche zu erkennen glauben. Mindestens seit Trump weiß man ja: Das Original ist absurder als jede Satire.

Und natürlich ist es kein Zufall, dass es um Edelfleisch geht. Erfolgreiche Bling-Küche stellt wenige Produkte in den Mittelpunkt, die jeder versteht, weil sie Status atmen, ob Hummer, Kaviar, Champagner oder Wagyu-Filet. Idealerweise geht es um Soulfood, das auch unter Neogourmets jedem schmeckt, weshalb etwa Burger so gern aufgewertet werden, wahlweise mit Kobe-Rind, Blattgold, Scampis, krasser Sepiatinte oder mit allem zusammen. Da unterscheiden sich die Alpenlounges von Kitzbühel und St. Moritz erstaunlich wenig von Steakhäusern in Dubai und Miami.

Essen dient der Distinktion, das war schon bei den antiken Gelagen des römischen Adels so. Seit einiger Zeit allerdings ist eine regelrechte Lagerbildung zu beobachten: Wir sind, was wir essen. Dem Image von Nusret Gökçe wird es daher kaum schaden, wenn die Snobs von der Restaurantkritik seinen labbrigen Eisbergsalat (25 Dollar) belächeln, die Fleischmengen für vulgär und seine Edelsteaks für überteuert und unzeitgemäß halten. Die New York Post bemängelte zudem "wässrige Cocktails" und schmähte sein neues Steakhaus in Manhattan als "Public Rip-Off No.1".

Beethovens Fünfte im Schlachthaus

Bling-Fans dürften das getrost als Neid oder Spielverderberei werten. Viele der vor allem männlichen Gäste sehen Edelsteakhäuser als Rückzugsorte ungehemmter Fleischeslust. Hier quatscht keiner nachhaltig ins Essen. Im Gegenteil, der Küchenchef macht einen Gottesdienst daraus und das Fleisch durch seine rituellen Lendenstöße zum Symbol männlicher Kraftübertragung.

Und wenn der türkische Steakgott in Stimmung ist, dirigiert er im Schlachthaus zu Playback schon mal Beethovens Fünfte, und Mitarbeiter trommeln dazu im Takt auf Roastbeefinstrumenten. Eine Riesenshow! Sollen die Veganer doch wegbleiben und den Hanseln von der Gourmetküche beim Streicheln der Urkarotten helfen.

Viele Avantgardeköche haben sich dagegen von den klassischen Luxusprodukten schon länger verabschiedet. Sie zelebrieren jetzt Nachhaltigkeit, die neue Gemüseküche und den Charme nischiger Kleinstproduzenten. Es ist ja auch komplex geworden mit der Abgrenzung und den Luxus-Codes, seit Essen Lifestyle ist, seit Weingüter im Bordeaux mit Fantasiepreisen für chinesische Etikettentrinker reich werden oder Märchenhotels in den Golfstaaten Hummerschwänze mit Swarovski-Steinchen garnieren und das Leben dort eine endlose Moët & Chandon-Party zu sein scheint.

Was für ein Drahtseilakt diese Entwicklung für Image und Vermarktung bedeutet, durfte ein leitender Manager des Luxuskonzerns LVMH (Moët Hennessy Louis Vuitton) vor einigen Jahren selbst bei Tisch erleben. Aus dem "Noma" in Kopenhagen, damals als bestes Restaurant der Welt gelistet, wird folgende Anekdote kolportiert: Der Manager sei bei einem Essen dort schockiert gewesen, dass das Restaurant keinen einzigen Champagner oder Whisky aus seinem Hause auf der Karte führte. Er soll nachdrücklich erklärt haben, das Lokal werde es nicht bereuen, falls man das ändere, der Sommelier soll betreten abgelehnt haben: danke, aber nein danke.

Nun ist es nicht so, dass ein Gourmetrestaurant keine Investoren benötigt - im Gegenteil. Auf irgendeine limitierte Sonder-Cuvée hätte man sich vielleicht einigen können, ohne dass das Noma später den Eindruck erweckt hätte, es schenke Oligarchenbrause aus. Doch hat der LVMH-Mann mit seinem Angebot im Eifer womöglich auch nur den Fehler gemacht, Madame Pompadour wie eine Hafennutte anzureden.

Von solch' nicht minder absurden Zwängen ist man in der Bling-Bling-Gastronomie völlig frei. Solange sie die 800 Euro für ein goldenes Tomahawksteak (Chef-Special!) mitbringt, darf sich hier jede Hafennutte wie Madame Pompadour anreden lassen. Sie weiß: Der Küchenchef spricht dieselbe Sprache, das Essen ist unkomplizierte Nebensache, die Glitzertapete instagramtauglich, das Licht macht keine Augenringe, und von Millionen anderen wird sie um einen Platz hier beneidet. All das ist ein Luxus, den man gar nicht überschätzen kann.

Echte Snobs dürfen an diesem Punkt kurz darüber nachdenken, ob Franck Ribérys Video vom goldenen Kalb tatsächlich einer bizarren Parallelwelt entspringt oder ob es nicht vielmehr die Wirklichkeit abbildet - mindestens als Wunschvorstellung.

Zur SZ-Startseite
Fried egg and baked beans on toast Fried egg and baked beans on toast LVF06126

SZ PlusEssen und Trinken
:"Hallo, ich bin der Martin, und ich kann nicht kochen"

Der Zeitgeist will es so: Männer in der Küche sind sexy und gute Väter machen gutes Abendessen. Also hat sich unser Autor ein Herz gefasst: Er macht sich auf, das Kochen zu lernen.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: