Am besten könne er Fleisch, hat Stephan Hentschel, Küchenchef in Berlins bekanntestem vegetarischem Restaurant, mal in einem Interview gesagt - schließlich habe er von der Pike auf gelernt, wie man aus Knochen Saucen zieht, wie man Braten zubereitet, wie man Rehe zerlegt. Nach Berlin ist der gebürtige Sachse eigentlich bloß zum Feiern gekommen, wo er dann eher zufällig an Rosenkohl und Rübchen geriet; nämlich als der legendäre Clubbetreiber Heinz "Cookie" Gindullis vor zehn Jahren ein vegetarisches Restaurant über seinem Club eröffnen wollte und den damals 26-Jährigen engagierte. Seither hat Hentschel seine Küche immer weiter verfeinert: Mittlerweile zieren 16 Gault-Millau-Punkte das Cookies Cream.
Doch sein Talent für Fleisch, das schmeckt man noch immer. Zum Beispiel bei der "Sellerieessenz mit Apfel-Gyoza", die fast wie eine doppelte Kraftbrühe über die Zunge fließt: Man würde ganze Champagnerkisten darauf verwetten, dass dieser dunkle, intensive Sud auf Basis eines Kalbsfonds entstanden ist. Doch tatsächlich besteht er aus nichts weiter als geklärtem Knollenselleriesaft, der mit etwas Zitrone und Chili aufgefrischt wurde und den eine mit Apfel und Walnuss gefüllte Teigtasche mit Frucht und Biss versieht - ein kleines Aromenwunderwerk, das nebenbei klarmacht, wo der Fokus von Stephan Hentschels Küche liegt.
Denn im Gegensatz zu anderen Gemüseköchen tangieren ihn gesundheitliche Aspekte ebenso wenig wie die Frage, ob der Grünkohl zum Onsen-Ei nun 20 oder 30 Kilometer weit angereist ist (obwohl ein Großteil der Ware inzwischen aus dem Gemüsegarten kommt, den Spitzenkoch Michael Hoffmann aufgab, als er sein "Margaux" schließen musste). Worum es Hentschel stattdessen geht? Um Geschmack - darum, Kürbis und Kohlrabi noch das letzte Quäntchen Aroma zu entlocken. Und das nicht mit Pacojet und Rotationsverdampfer, sondern bloß mit Gasherd, Grill und einem ramponierten Plattenspieler, mit dessen Hilfe er kreisrunde Saucenspiegel kreiert.
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So entstehen dann Gerichte wie der "Gegrillte Lauch mit schwarzem Sesam": Dunkel geröstete (aber bissfeste!) Lauchstücke liegen da auf dem Teller, geriebener Meerrettich verleiht einen Hauch frische Schärfe und pechschwarze Sesamchips legen herbe Knusprigkeit darüber. Und damit das alles nicht zu raubeinig wirkt, kleckert die Küche noch drei vegane Sojamayonnaisen (wieder mit Lauch, Sesam und Meerrettich) auf den Teller, die die starken Aromen zugleich abmildern und verbinden.
Auch bei den Hauptgängen versucht Hentschel, alles Aroma aus dem Gemüse zu kitzeln. So wird aus der "Gebackenen Aubergine mit Maispüree" ein Gericht, das selbst Menschen befriedigen dürfte, die ohne Fleisch eigentlich nicht glücklich zu kriegen sind. Dank ihrer wunderbar ausgebackenen Kruste sieht die Eierfrucht nämlich nicht nur aus wie ein dickes Rinderfilet, sie wird auch von einer Rotweinjus begleitet, der man kaum anmerkt, dass sie nur aus geröstetem Gemüse gezogenen ist. Dazu gibt es cremig-süßes Maispüree, das die Säure der Sauce gut ausbalanciert, und gehackte Erdnüsse für den Biss. Nur die grünen Bohnen, die noch auf dem Teller liegen, schmecken etwas banal (und sind zum falschen Filet vielleicht auch allzu naheliegend).
Das industrieschicke Lokal wird mit Vorliebe von Touristen besucht
Als "Signature Dish" gelten im Cookies Cream die "Parmesanknödel", die man seit Anbeginn des Lokals in immer neuen Varianten serviert - mit Korianderkarotten und Amalfi-Zitronen etwa oder mit Artischockencreme. Für die aktuelle Version wird allerdings niemand berühmt: Der dünne, geschmacksfreie Parmesansud ist schlicht misslungen, da helfen auch drei Gramm Périgord-Trüffel nichts, zumal die Küche sie einfach nur über die Knödel gehobelt hat, statt sich ein bisschen um sie zu bemühen (anders als weißer Trüffel entfaltet schwarzer sein Aroma erst, wenn man ihm Hitze, Zeit und gerne auch Fett mitgibt). Ein Jammer - wo's doch eigentlich ein Festmahl sein könnte.
Doch zum Glück sind die Desserts so gut, dass der Ärger schnell verflogen ist - allen voran das "Apfelsorbet mit Dill", bei dem eine Nocke aus herrlich säuerlichem Granny-Smith-Eis in zartwürzigem Dillöl schwimmt. Dazu kommt wieder ein Knusperelement: krachig-karamelliger Hafercrunch. Und ein Ring aus heimeligem Haferbrei, der das Ganze mit uriger Cremigkeit versieht. Ein schlichter Gang, der jedoch jeder Sterneküche zur Ehre gereichen würde.
Das industrieschicke Lokal wird mit Vorliebe von Touristen besucht - kein Wunder, allein der Zugang ist so Berlin, dass es fast schon folkloristisch ist: durch einen dunklen Ladehof neben der Komischen Oper vorbei an Müllcontainern und gestapelten Euro-Paletten, bis man endlich vor einer zerschrammten Tür steht, die sich nur öffnet, wenn man klingelt. Dass die außerdem von Clubmusik geschwängerte Raumluft im Laufe des Abend immer schlechter wird? Macht das Erlebnis nur noch Berlin-typischer.
Am berlinmäßigsten sind allerdings die Preise: 44 Euro zahlt man für drei Gänge - ein fairer Deal. Und erst recht, wenn man bedenkt, dass die Currywurst, die man nach vegetarischem Fine Dining oft eben doch noch braucht, dank Hentschels Kochkunst überflüssig ist.