Eigentlich klang die Nachricht wie eine, die keine war: Ein Restaurantkritiker wirft hin und schreibt darüber. So weit, so unwichtig. Allerdings handelt es sich hier um Pete Wells, als Kritiker der New York Times seit gut zwölf Jahren der wohl einflussreichste Gastrojournalist der USA. In einem Essay in eigener Sache führte er vor allem gesundheitliche Gründe für seinen Rückzug an: Gewichtszunahme, Fettleber, dazu Cholesterin-, Blutdruck- und Blutzuckerwerte, die „selbst meine schlimmsten Erwartungen übertrafen. Ich wusste, ich musste mein Leben ändern.“
Das ist jetzt elf Tage her, seitdem wird diskutiert, was der Fall für die Restaurantkritik bedeutet. Für einen Job, in dem laut Wells eine „alarmierende Zahl männlicher Kollegen noch vor der Rente eines plötzlichen Todes zu sterben scheinen.“ Zum Fazit des 61-Jährigen gehört daher auch: Dieser Job macht offenbar krank.
Nun sind die Gründe für Pete Wells’ Ausstieg natürlich nachvollziehbar; mit Bluthochdruck und Diabetesrisiko scheint es nicht ratsam, sich weiter sechsmal die Woche beruflich durch New York zu essen. Andererseits ist Wells’ Fall kaum allgemeingültig. Denn Chefkritiker der New York Times ist eine Position, die es zwar unbedingt öfter geben sollte, die sich aber mit keinem Job in der Branche vergleichen lässt.
Wells verfügt über eine Reichweite und ein Budget, von dem andere nur träumen. Wenn er ein Steakhaus radikal abwertet, geht seine Kritik schon mal viral, schließlich ist es New York, eine der kulinarisch spannendsten Städte der Welt, wo das Foto des aktuellen Times-Kritikers in jeder besseren Küche hängt. So wird man prominent. Drumherum ranken sich großartige Geschichten, legendär etwa die Biografie von Wells’ Vorgängerin Ruth Reichl, die sich, um nicht erkannt zu werden, für jeden Test eine andere Verkleidung zulegte.
Pete Wells bemerkt ohne jedes Selbstmitleid, dass seine Arbeit „sich verdächtig anhört wie etwas, das andere Leute im Urlaub machen“. Richtig ist aber auch, dass es harte Arbeit ist. Seine großartige Mischung aus Sorgfalt, Ernsthaftigkeit und Hingabe ist zu seinem Markenzeichen geworden. Trotzdem muss Wells sich fragen lassen, ob man ein Restaurant dreimal besucht und 30 Gerichte probiert haben muss, bevor man auch nur eine Zeile schreibt. Oder ob Pulitzerpreisträger Jonathan Gold (verstorben mit 58), der einst Los Angeles kulinarisch vermaß und von sich sagte, jeden Taco auf dem 15 Meilen langen Pico Boulevard probiert zu haben, heute noch das Maß aller Dinge sein kann. Es gibt andere, gesündere Wege, Lokale zu bewerten. In Testerteams etwa. Und es wirke auch aus der Zeit gefallen, schreibt Amy McCarthy von der Branchenplattform Eater, „dass eine einzige Person verantwortlich sein soll für die Beurteilung von so viel Essen in einer derart riesigen Stadt“.
Im Zeitalter von Tiktok-Schnipseln, Budgetkürzungen, dubiosen Rankings und Aromen-KI ist der Großkritiker eine aussterbende Spezies, wie auch Pete Wells feststellt. Eine andere Wahrheit sei, so schreibt er, dass Frauen in seinem Job gesünder sind und viel länger leben. Warum das so sein könnte, darauf kann man Juliane Caspar antworten lassen, als Mitglied des internationalen Michelin-Direktoriums gehört die Bochumerin heute zu den einflussreichsten Restauranttesterinnen der Welt. Als Chefin des französischen Michelin hatte Caspar einst im Interview mit dieser Zeitung auf die Frage, wie man 300 bis 400 Lokalbesuche im Jahr durchhält, mit nur einem Wort geantwortet: Selbstbeherrschung. Wer so oft essen gehe, könne schlecht schon am Brotkorb die Contenance verlieren.