Süddeutsche Zeitung

App-Restaurant:Essen aus dem Automaten mit Salz von der Theke

In einem neuen Berliner Lokal zieht sich der Gast übers Handy bestelltes Essen aus einem Fach. Ein Gastro-Konzept, das auf den zweiten Blick überzeugt - sogar geschmacklich.

Von Harriet Köhler, Berlin

Die erste Reaktion ist natürlich: Ächzen. Braucht es das jetzt wirklich auch noch? Ein Restaurant, bei dem man seinen Lunch vom Büro aus online für eine bestimmte Uhrzeit vorbestellt. In dem man nicht bedient wird, sondern beim Eintreten auf eine "Food Wall" trifft, eine futuristisch anmutende Automatenwand, die aussieht wie eine Mischung aus "Matrix" und Mikrowellenverkaufsausstellung, und deren einzelne Fächer man mittels Smartphone-App öffnet, um ein Alutablett mit seinem Essen zu entnehmen. In dem man, statt am Ende die Rechnung zu verlangen, vorher schon zahlt - per Kreditkarte oder Paypal. Macht der digitale Wandel denn vor gar nichts halt? Muss denn wirklich noch die letzte Bastion des analogen Lebens fallen? Ist das Schöne an einem Restaurantbesuch nicht, dass man sich in die Hände eines wohlmeinenden Services begibt, sich dem Rhythmus eines Ortes überlässt - ist es nicht dieses fein choreografierte Wechselspiel zwischen Gastgebern und Gästen?

Manchmal sollte man sich das Augenrollen schenken, damit man die Dinge richtig sieht. Denn das Essen im "Data Kitchen" ist vermutlich das beste, das man in der Gegend um den Hackeschen Markt zu den aufgerufenen Spottpreisen kriegt. Das Digitallokal ist eigentlich nur die - öffentlich zugängliche - Kantine der Hauptstadtrepräsentanz von SAP, doch der Softwarehersteller lässt sich sein Aushängeschild offenbar gern etwas kosten: Man engagierte Restauranterfinder Heinz "Cookie" Gindullis, der Berlin mit dem "Cookies Cream" bereits das erste vegetarische Sternerestaurant bescherte. Und Küchenchef Alexander Brosin arbeitete lange bei Michael Hoffmann im "Margaux" und bedient sich immer noch in dessen Gemüsegarten - diesen Hintergrund schmeckt man.

Etwa bei der mit Schwarzkümmelöl verfeinerten und einem Hauch Milchschaum gekrönten Kartoffel-Topinambur-Suppe, die sich anderswo mit ihrer geschmeidigen Eleganz zufriedengeben würde, hier aber mit großen, fein säuerlichen Birnenstücken und einem Spritzer weißem Balsamicoessig aufgefrischt wird (4,50 Euro). Oder beim asiatischen Glasnudelsalat mit Koriander, Shisokresse und Minze; seine sommerliche Luftigkeit wird durch knusprig gerösteten Reis und Erdnüsse wieder eingefangen (4,50 Euro). Die im Miniaturbräter servierte Hirse "Szegediner Art" (7,50 Euro) ist dann weniger gelungen: Der mit Zwiebeln und Paprikasaft geschmorte Spitzkohl hat zwar einen angenehmen Biss, aber das Getreide ist viel zu weich, zudem fehlt dem Gericht insgesamt irgendein Kontrast oder Kick - vielleicht würde schon ein Klecks Sauerrahm genügen. Überhaupt sind die Gerichte eher zurückhaltend gewürzt. Wen das stört, der sollte um eine der Salzmühlen bitten, die an der Bar bereitstehen.

Dass dem Essen eine kurze Wartezeit im Automaten nicht schadet, beweist der perfekt gedünstete, saftige Waller, der auf einem Pot au Feu aus hübsch gebräuntem, aromatischem Ofengemüse liegt. Darauf: kleine, krachende Brotcroutons für den Crunch und ein paar Blätter Postelein für die Frische. Darunter: ein dezenter Rauchsud, der Fisch und Gemüse geschmacklich zusammenfügt (10 Euro). Kein Detail zu viel auch an der so zart wie saftig geschmorten Wolowina-Rinderschulter: geschmeidiger Rote-Bete-Stampf, eine sanfte Jus, ein paar würzig gebratene Champignons, milde Zwiebelchen, ein Tatar aus sauren Gurken - mehr braucht die Küche nicht, um einen rustikalen Gang weit über Hausmannskostniveau emporzuheben (12,50 Euro).

Ungewöhnlich ist der Crumble, bei dem eine knuspernde Streuselschicht wunderbar aromatische Apfel- und Birnenstücke verbirgt - die offenbar jedoch nicht gezuckert wurden und sich deshalb ohne jeden Saft in fast noch frischem Zustand befinden. Gesünder ist das, schmackhafter nicht unbedingt. Aber die Qualität der Früchte macht's wett, sie stammen von Brandenburger Streuobstwiesen (3,50 Euro).

Schon 1896 hat die Deutsche Automatengesellschaft Stollwerck & Co. in Berlin das erste "electrisch-automatische Restaurant" eröffnet, in dem man nach Münzeinwurf Hühnchenpastete, Bohnen und Speck oder Vanillepudding zog. Seither versuchten sich findige Gastronomen immer wieder an personalfreien Konzepten, doch wirklich durchgesetzt hat sich die Idee dann nie, zumindest in Deutschland nicht. Das Data Kitchen hätte das Potenzial, das zu ändern, eben weil es dort sehr wohl einen Service gibt, nur halt einen, der nicht mit Kellnern und Aufräumen beschäftigt ist, sondern der sich mit Charme darum bemüht, dem Gast den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen, indem er Gästen die Food Wall erklärt, die Getränke und Desserts bringt, nach dem Rechten sieht - eine Betreuung wie in diesem Automatenrestaurant kann man sich in den meisten konventionellen Lokalen jedenfalls nur wünschen.

Und ganz ehrlich? Dass man die wertvollen Momente seiner Mittagspause nicht damit verbringen muss, nervös nach der Rechnung zu schnippen, ist eigentlich angenehm - man legt nach dem Espresso einfach die Serviette beiseite, grüßt und geht.

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SZ vom 16.02.2019/eca/ick
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