Reportage:Alles dreht sich

Casinos waren früher elegante Treffpunkte für die bessere Gesellschaft. Was ist übrig vom Glamour des Glücksspiels? Ein Besuch in Baden-Baden.

Von Julia Rothhaas

Der Herr im Sessel dürfte das Renteneintrittsalter lange hinter sich gelassen haben, dennoch hat er sich für den Nachmittag so schick gemacht, als wäre er auf dem Weg ins Standesamt: Der graue Anzug ist knitterfrei, die Schuhe sind frisch poliert, der Scheitel sitzt. Punkt 14 Uhr läuft der Mann über den mitternachtsblauen Teppich zur Rezeption und hinein in die historischen Säle des Casinos Baden-Baden, während die nächste Besucherin zurück zur Garderobe geschickt wird. Nein, die Winterjacke und der Rucksack dürfen nicht mit rein. Ob ein Casino wie dieses funktioniert, hängt nämlich nicht nur von der Anzahl der Roulettetische ab, sondern auch davon, wie die Gäste aussehen. Und das schon am frühen Nachmittag.

Reportage: Der Charme eines Casinos zeigt sich auch am Kleidungsstil seiner Besucher - hier eine Karikatur aus Monte Carlo von 1910.

Der Charme eines Casinos zeigt sich auch am Kleidungsstil seiner Besucher - hier eine Karikatur aus Monte Carlo von 1910.

(Foto: mauritius images / Memento)

Das Büro, die Bank, das Theater? Hier darf jeder längst aus dem Kleiderschrank holen, was er will. Die Spielbank ist hingegen einer der wenigen Orte, an denen sich seine Besucher schick zu machen haben. Denn wer an ein Casino denkt, ist schnell beim Glamour eines James Bond, bei Humphrey Bogart im weißen Smoking oder einer Sharon Stone, die in Martin Scorseses großem Filmdrama im gelbgoldenen Glitzerkleid lachend die Würfel auf den Spieltisch wirft. Damit aus dieser Idealvorstellung ein Funke in die Wirklichkeit überspringt, muss sie beschützt werden vor der Flut an Cargo-Hosen, Trekkingschuhen, Wohlfühlpullis, die unseren Alltag sonst fluten. Liegen die Menschen stilistisch arg daneben, werden sie eben nach Hause geschickt. Da hilft kein Jammern. Hier gilt es, einen Mythos zu verkaufen jenseits aller seelenlosen Spielotheken, in denen ein gepflegt gekleideter Gast überhaupt keine Rolle mehr spielt.

Schon Marlene Dietrich schwärmte von Baden-Baden als schönstem Casino der Welt

Die Spielbank in Baden-Baden hat ein glamouröses Erbe zu verteidigen. In dem Kurhaus der einstigen Sommerhauptstadt Europas haben früher Zaren, Prinzen und Sultane gespielt. Dieser Mythos schwingt mit, wenn man die historischen Säle betritt. Marlene Dietrich schwärmte nach einem Besuch vom "schönsten Casino der Welt, und ich muss es wissen, denn ich kenne sie alle". Wer in den Wintergarten kommt, den ersten Raum nach der modern gestalteten Rezeption, steht mit offenem Mund unter der riesigen Kuppel im Stil Ludwigs XVI., durch die früher das Tageslicht schien und die heute künstlich von oben beleuchtet wird. Einen Saal weiter fühlt man sich wie in einen königlichen Mantel gehüllt, eine opulente Versailles-Kopie in Rot und Gold, während man sich dank der Wandgemälde im Florentiner-Saal in einem Museum wähnt. Vor einigen Jahren wurden die Bilder im Stil der Spätrenaissance von hundertjährigen Nikotinschwaden befreit, seitdem kann man gedanklich wieder durch Fantasiewelten wandeln. Zu schade, dass es die Orchester-Muschel nicht mehr gibt, die einst Musiker von der Decke schweben ließ, damit sie über den Köpfen der Gäste spielten. Auch der neu umgebaute Bereich passt stilistisch gut dazu, Restaurant und Club schmiegen sich in gedecktem Lila, Dunkelblau, Grün an die prunkvollen Säle. Ob man für ein glamouröses Abendessen allerdings Wagyu-Steaks in Blattgold braucht, darf jeder für sich entscheiden.

Interior Photography of the Casino Baden-Baden

Innenansicht des Casinos in Baden-Baden.

(Foto: © 2018 Torben Beeg, all rights)

Elegant ist auch das Spiel selbst mit den Roulettetischen in grünem Tuch und den Croupiers, die wie Statuen im Smoking dahinter stehen. Und die Art, wie sie mit der Hand über den Spieltisch streichen, als Signal dafür, dass jetzt "nichts mehr geht", und der strenge Blick des Obercroupiers auf seinem Hochsitz, der über zwei Tische und bunte Jeton-Türmchen wacht. Oder der American-Roulette-Kessel, der sich geduldig durch die Nacht dreht, das Klackern der kleinen weißen Kugel, die sich einen Platz zwischen null und 37 sucht, und das Rascheln der shuffle stars, der Kartenschlitten mit eingebauter Mischmaschine, auf den Black-Jack-Tischen nebenan.

Reportage: Der Florentiner Saal im Casino Baden-Baden wird mit seinen fünf Kronleuchtern auch "Tausend-Kerzen-Saal" genannt.

Der Florentiner Saal im Casino Baden-Baden wird mit seinen fünf Kronleuchtern auch "Tausend-Kerzen-Saal" genannt.

(Foto: Casino Baden-Baden)

All das reicht heute allerdings nicht mehr, um möglichen Besuchern den alten Glanz noch schmackhaft zu machen. "Der reine Wow-Effekt vieler Casinos funktioniert nicht mehr", sagt Thomas Schindler, der Direktor des Casinos Baden-Baden. Man müsse schon sehr viel mehr bieten als das reine Glücksspiel. "Wir sind längst ein Unterhaltungsanbieter geworden." Die von unzähligen Freizeitangeboten verwöhnte Klientel braucht Futter, um sich an einem Samstagabend in das hell erleuchtete Kurhaus locken zu lassen. Deswegen gibt es die Lounge, in der im Sommer unter freiem Himmel gezockt wird, den Club Bernstein mit "Top Acts" und "Good Vibes", die Überraschungsmenüs, Lesungen, Matinées und Modenschauen nebst Veranstaltungen wie "Playmate des Jahres" oder "Tribute to Bambi". Nur so können sie hier ganz gegen den Trend in deutschen Spielcasinos einen Zulauf an Besuchern verbuchen, vor allem die Jungen kommen gern nach Baden-Baden. Und das, obwohl Selfies aus Datenschutzgründen verboten sind. Samstags drängeln sich hier bis zu 1800 Gäste an den Tischen.

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Bel-Epoque-Charme und eine zahlungskräftige Klientel: Das Casino von Monte Carlo ist weltberühmt.

(Foto: imago/Westend61)

Ach ja, die Gäste. "Schaun und Scheinen ist nur Schau, nichts als Traum in einem Traum!", schrieb Edgar Allen Poe. Man kommt ja auch ins Casino, um die anderen Besucher zu beobachten. Kein Wunder also, dass die Kleiderordnung das am häufigsten diskutierte Thema in Spielbanken ist. "Eine Krawatte macht den gut angezogenen Gast nicht mehr aus. Heute ist es viel komplizierter", sagt Thomas Schindler. Der Türsteher muss innerhalb weniger Sekunden entscheiden zwischen lässig und lästig, Geschmack kann leider sehr unterschiedlich ausfallen. Die Kleiderwahl ist auch an diesem Abend mal mehr, mal weniger gelungen. Zwei junge Frauen stapfen in ausgetretenen Boots über den dicken Teppich, eine ältere Britin hat es mit dem floralen Muster auf der Bluse deutlich übertrieben, und ein Chinese schwitzt unter seinem billigen Sakko stundenlang am Black-Jack-Tisch - was ihm aber gerne verziehen wird, als er kurz vor Mitternacht noch einmal 5000 Euro an der Kasse verlangt. An den Wochenenden wären sie deutlich strenger, heißt es. "Es ist nicht einfach, einem Gast vor seinen Freunden zu sagen, dass er noch einmal nach Hause gehen soll, um sich umzuziehen, weil er zu sportlich für unser Haus gekleidet ist", sagt Direktor Thomas Schindler. Die Formulierung "der Abend ist gelaufen" dürfte genau in so einem Moment ihren Ursprung gehabt haben.

Ein Großteil der Plätze ist besetzt, dennoch bleibt man hier einsam

Und das geht schneller als gedacht, was nicht unbedingt mit schlecht sitzenden Jacketts zu tun hat. Man muss dafür nur in das Gewölbe des Kurhauses gehen, hier ist Schluss mit Prunk. Wer nach einem Abend unter opulenten Lüstern und neben vergoldeten Brunnen gestanden hat, kann nicht ahnen, dass im gleichen Haus noch 140 Monster auf einen lauern, "ohne die nahezu kein Casino der Welt überleben könnte", so Thomas Schindler. Auf dem "Fruitinator" rattern Zitronen, Kirschen und Wassermelonen über fünf Walzen, der Automat namens "Book of Ra" macht auf altes Ägypten, über die restlichen Bildschirme flackern Zahlen, Buchstaben oder Diamanten in Quietschfarben. Und als hätte das Auge nicht schon genug zu tun, müssen auch die Ohren dran glauben: Es klingelt, kreischt und fiept ohne Pause.

Ein Großteil der Plätze ist besetzt an diesem Abend, und dennoch bleibt man hier einsam. Über die Kleiderwahl hat sich niemand Gedanken gemacht, die Gäste schauen sich ohnehin nicht um, weil jeder den Automaten vor sich fixiert. Nicht mal mit dem Kellner muss man ein Wort wechseln, die Getränke ordert man per Taste. Um Zeit zu sparen, knöpft sich ein Herr die Hose auf dem Rückweg vom Klo im Gehen zu. Gegen einen Katheder zur Eintrittskarte hätte er wohl nichts einzuwenden gehabt.

Beim Verlassen des Casinos fällt der Blick auf ein Schwarz-Weiß-Foto aus den Fünfzigern, das neben der Tür hängt. Darauf sind drei Damen zu sehen, in Abendkleidern mit tiefem Rückenausschnitt und einer Schleppe, die sie hinter sich durch den Salon Pompadour ziehen. Der Vergangenheit hinterherzutrauern, ist Unsinn, alles hat seine Zeit, wie jeder gute Spieler weiß. Und doch wäre man wenigstens einmal gerne dabei gewesen - in der großen Zeit des Casinos, als Eleganz und glamouröses Auftreten selbstverständlich waren.

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