Süddeutsche Zeitung

Rauhnächte:Wilde Jagd

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Seit je gibt es im Alpenraum die sagenhaften Rauhnächte in der Zeit zwischen den Jahren. Ihr Ursprung liegt im Dunklen.

Von Florian Welle

Winterszeit ist Perchtenzeit. Wenn es draußen finster und kalt ist, treibt sich vor allem im Alpenländischen ein schaurig-schönes Gesindel herum, das von Frau Perchta, manchmal nur Frau Percht genannt, angeführt wird. Sie - einige vermuten hinter ihr Frigg, die Gattin Odins - steht gleichermaßen für Gut und Böse und wird bei heutigen "Perchtenläufen" zweiköpfig dargestellt. Auf der einen Seite zeigt die hölzerne Larve ein freundliches Gesicht, auf der anderen eine fürchterliche Höllenfratze.

Anständige und Fleißige bedachte die Percht mit Glück. Sündige und Faule wurden von ihr bestraft. Mancherorts stellte man für sie daher Milch und Brot vor die Tür, um sie sich gewogen zu machen. Die Ursprünge des Volksglaubens sind weitgehend im Dunkel der schriftarmen Jahrhunderte verschwunden. Der Volkskundler Hans Moser hatte einst einen auf 1582 datierten Beleg der Marktgemeinde Dießen am Ammersee entdeckt, wonach Personen im Zusammenhang mit dem Perchtenritual entlohnt wurden.

Bei dem heute bei Besuchern beliebten Treiben springen im Schlepptau der Percht unter anderem besenbewehrte Hexen, gehörnte Teufel, fellummantelte schöne und schiache, also hässliche Perchten. Deren Masken zeigen mal verzerrte Menschengesichter, mal bedrohliche Tierschädel mit Geweihen, leuchtend gelben Augen und grässlichen Mäulern. Dazu sorgen Schellen, Glocken und Trommeln für infernalischen Lärm. Höhepunkt der Umzüge, mit denen nicht zuletzt die bösen Wintergeister ausgetrieben werden sollen und die normalerweise jedes Jahr von Brauchtumsvereinen veranstaltet werden, ist die Perchtennacht am 5. Januar.

Der Abend vor Heilig Dreikönig ist die letzte der geheimnisumwitterten sogenannten Rauhnächte, die meist in der Nacht auf den 25. Dezember beginnen. In manchen Gegenden werden noch andere hinzugenommen, sodass die von Mythen, Ritualen und Aberglauben umrankten Rauhnächte zwischen drei und zwölf Nächte umfassen können. Vor allem die Wintersonnenwende in der Thomasnacht vom 21. auf den 22. Dezember zählt vielerorts zu den vier wichtigsten Rauhnächten neben der Christ-, Silvester- und Perchtennacht vor dem Dreikönigsfest.

Gehen die Ursprünge auf das Mondjahr mit nur 354 Tagen zurück?

Über die Ursprünge dieser Nächte zwischen den Jahren gibt es nur Vermutungen. Einige führen sie auf das Mondjahr mit nur 354 Tagen zurück. So erklärte Vera Griebert-Schröder, Autorin mehrerer Bücher zum Thema, der Augsburger Allgemeinen: "Als man vom Mond- zum Sonnenjahr übergegangen ist, waren elf Tage und zwölf Nächte übrig - die heutigen Rauhnächte." Der Übergang vollzog sich während der Herrschaft Julius Caesars (100 - 44 v. Chr.) vom Römischen zum Julianischen Kalender. Andere reden gleich von einem uralten heidnischen Brauch.

Unklar ist auch die Herkunft des Namens Rauhnacht. Zwei Deutungen konkurrieren miteinander. "Nach älterer Interpretation", weiß der Brockhaus, "trieben in diesen Nächten dämonische, stark behaarte (...) Gestalten ihr Unwesen. Diese waren symbolisch für das Unglück im neuen Jahr zu vertreiben. Nach anderer Deutung hat man im Übergang zum neuen Jahr vielerorts (...) zur Segnung und zur Vermeidung von Unglück oft im Beisein eines Geistlichen Stall und Wohnung, seltener auch Amtsstuben mit Weihrauch ausgeräuchert". Die Rauhnacht leitet sich demnach von der katholischen Praxis des Ausräucherns ab, daher ist auch der Begriff Rauchnächte geläufig. Es gibt noch weitere Benennungen. So kennt das "Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens" etwa die Raunacht. Dahinter steckt das Wort rauen, was so viel wie winseln und heulen meint. Geräusche also, die man mit Winterstürmen verbindet. Andere Begriffe sind Zwölf-, Weihe-, Zwischen-, Raub- oder Losnächte. Letztere laut "Handwörterbuch" deshalb, weil sie "für die Erforschung der Zukunft besonders in Anspruch genommen" werden. Dabei steht jede Losnacht für einen Monat des Folgejahres. Welche Träume man hatte, wie das Wetter gewesen ist, ob es Streit gab - so gut wie alles kann einen Hinweis auf die Zukunft geben. Diese Wahrsageform lebt noch im Bleigießen an Silvester fort.

Zugleich soll innere Einkehr gehalten werden. Die Arbeit sollte erledigt, die Wohnung aufgeräumt sein; Schulden musste man zurückgezahlt haben. Das "Handwörterbuch" zählt noch Weiteres auf, um sich in dieser Übergangszeit vor böser Magie zu schützen. Wer drischt, dem verdirbt das Getreide. Wer sich auf einen Tisch setzt, der bekommt ein Furunkel. Neugeborene, deren Väter von ihrer Seite weichen, werden zu Wechselbälgern. Eines der bekanntesten Verbote in diesen Nächten, in denen man die Tore zum Jenseits offen glaubte, ist es, weiße Wäsche aufzuhängen. Darin würden sich die Geister verfangen und die Wäsche später als Leichentücher benutzen.

Obendrein war es vor allem Frauen und Mädchen untersagt, nächtens vor die Tür zu gehen. Denn dort war die Wilde Jagd unterwegs, über deren lärmenden Zug durch die Lüfte es viele Sagen gibt. Für die einen sind es Geister ehemaliger Jäger, die grausam gegenüber Mensch und Tier gewesen waren, für andere zu früh gestorbene Personen. Oft hielt man eine Begegnung mit ihr für tödlich. Jedenfalls war sie furchteinflößend, wie in einer Sage aus der Steiermark: Die Bewohner von Hitzendorf an der Söding hörten immer wieder ein "sonderbares Gewinsel und Geheul". Ein Knecht ahmte es spöttisch nach. "Flugs näherte sich eine geisterhafte Gestalt, warf einen Menschenfuß zum Fenster hinein und rief: ,Du hast geholfen jagen, hilf daher auch nagen!'" Dann verschwand die gespenstische Gestalt wieder.

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SZ vom 02.01.2021
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