Rechtskolumne:Im Graubereich: Darf man die Wohnung zuqualmen?

Lesezeit: 2 Min.

Wenn ein anderer Bewohner eines Mehrparteienhauses eine nach der anderen raucht und der Qualm in die Wohnung seines Nachbarn zieht, darf dieser die Miete mindern. (Foto: Jens Kalaene/dpa)

In der Mietwohnung darf geraucht werden. Wer es aber übertreibt, riskiert Ärger mit den Nachbarn – und kann beim Auszug zur Kasse gebeten werden.

Von Andreas Remien

Goethes Faust ist zwar voll von existenziellen Fragen, aber mit dem Thema Wohnen schlagen sich die Protagonisten eher nicht herum. Und doch könnte man sich heute für ein Mietrechtslexikon kaum einen schöneren Titel ausdenken als die in die Gegenwart gerettete Redewendung „Schall und Rauch“. Zu laut, zu stinkig – das sind die zwei großen Fragen, die offenbar von allerlei Immissionen geplagte Mieterseelen in der Großstadt bewegen (wenn man einmal von „zu teuer“ absieht). Im Frühling ist es vor allem der Zigarettenrauch, der von den Nachbarn hinüberwabert, auf den Balkon oder in die Wohnung durch die geöffneten Fenster, die eigentlich frische Luft hereinlassen sollten.

Verbieten dürfen Vermieter das Qualmen in der Wohnung allerdings nicht ohne Weiteres. „Rauchen gilt als vertragsgemäße Nutzung der Immobilie, ist also in der Wohnung, aber auch auf dem Balkon oder der Terrasse grundsätzlich erlaubt“, sagt Inka-Marie Storm, Chefjustiziarin von Haus und Grund Deutschland. Vorformulierte Klauseln im Mietvertrag, die ein Rauchverbot beinhalten, sind in der Regel unwirksam. Allerdings können Eigentümer das Rauchen in einer individuellen Vereinbarung durchaus verbieten. Dafür muss sich das Verbot auf den Einzelfall beziehen und mit dem Mieter ausgehandelt werden.

In aller Regel unterschreiben Mieter aber vorformulierte Standardverträge, dürfen also rauchen. Wenn man es allerdings übertreibt, kann es beim Auszug teuer werden. „Eine kritische Schwelle ist immer dann erreicht, wenn sich die Ablagerungen nicht mit Schönheitsreparaturen beseitigen lassen“, sagt Storm. Wenn es also in der Wohnung auch nach gründlichem Saubermachen und Streichen weiterhin nach Rauch stinkt, können Eigentümer Schadenersatz verlangen (BGH VIII ZR 37/07). Mieter müssen dann etwa die Kosten für das Aufbringen einer speziellen Farbe tragen, die keine Gerüche aus dem kontaminierten Putz entweichen lässt. Mieter müssen außerdem für das Tapezieren aufkommen (LG Hannover, Az. 12 S 9/13). Das Landgericht Neuruppin urteilte im vergangenen Jahr, dass Eigentümer sogar den Mietausfall für jenen Zeitraum geltend machen können, in dem sie auf der Suche nach einem passenden Handwerker für die Instandsetzungsarbeiten sind (Az. 4 S 30/24).

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Während der Streit mit dem Vermieter vor allem beim Auszug entsteht, kann der Qualm die Hausgemeinschaft über Monate und Jahre belasten. Durften Nachbarn über Jahrzehnte in der Wohnung und auf dem Balkon ungestört Kette rauchen, gilt dies seit einem wegweisenden Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2015 nicht mehr (BGH, VZR 110/14). Tenor: Raucher müssen auf ihre Nachbarn Rücksicht nehmen. „Die Gerichte haben heute eine andere Sichtweise als noch in den Achtziger- oder Neunzigerjahren“, sagt Storm. Bei der Abwägung der Interessen spiele die Gesundheitsgefährdung durch Passivrauchen eine immer größere Rolle. In der Praxis heißt das: Gibt es Streit um den Zigarettenqualm, müssen sich Nachbarn auf bestimmte Zeitabschnitte einigen, in denen nicht geraucht werden darf.

Wird die Wohnqualität erheblich beeinträchtigt, dürfen Mieter die Miete mindern. Zieht viel Gestank durch Ritzen in die Wohnung, haben Gerichte eine Mietminderung von zehn bis 20 Prozent für angemessen gehalten. Wer nachts wegen der Rauchschwaden nicht bei offenem Fenster schlafen kann, darf drei Prozent der Monatsmiete einbehalten (LG Berlin, Az. 65 S 362/16) und sich in Poesie üben – Nachbar, mir graut’s vor dir!

Unser Autor erkennt seine Nachbarn am Geruch ihrer Zigarettenmarke. (Foto: Bernd Schifferdecker)
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