Radrennen auf Retrorädern:Stahl und Wolle

Radrennen auf Retrorädern: Nostalgisch unterwegs: Mehr als 400 Radler auf alten Rennrädern rollten bei "In velo veritas" durch die Hügel des Österreichischen Weinviertels.

Nostalgisch unterwegs: Mehr als 400 Radler auf alten Rennrädern rollten bei "In velo veritas" durch die Hügel des Österreichischen Weinviertels.

(Foto: In Velvo Veritas)

Sie sind schwer, hart zu schalten und die Ketten knirschen - trotzdem sind klassische Rennräder zum Sammlerobjekt geworden. Eine Spurensuche bei einer Ausfahrt in Österreichs Weinviertel. Zwischen Bastlern, Schraubern und Menschen in Merinowolle.

Von Sebastian Herrmann

Man kann es sich im Leben auch schwer machen. Zum Beispiel so: Die Strecke strotzt vor Hügeln und Anstiegen. Es sind knapp 2000 Höhenmeter bei einer Distanz von etwas mehr als 140 Kilometern zu bewältigen, mit dem Rennrad. Das ist weiter nichts Besonderes, aber hier kommt der Haken an der Sache: Ein nicht unerheblicher Teil der Strecke führt über geschotterte Wege und Straßen mit grobem Kopfsteinpflaster.

Und wer hier mitradeln will, der möge sich bitte auf ein klassisches, nun ja, ein altes Rennrad setzen. Die Bedingungen dieser kollektiven Ausfahrt im Österreichischen Weinviertel lauten nämlich wie folgt: Das Rad sollte Baujahr 1987 oder älter sein; die Schalthebel müssen sich am Unterrohr des Rahmens befinden und dürfen nicht mit den Bremshebeln kombiniert sein; Klickpedale gehen gar nicht, die Schuhe stecken bitte schön in Pedalriemen. Und wer sich auch noch ein Vintage-Fahrrad-Trikot aus Merinowolle anzieht und eine klassische Kappe statt Helm aufsetzt, der fügt sich wunderbar ins Feld dieser Veranstaltung ein.

Mehr als 400 derart gewandeter Radler rollten bei "In velo veritas", so heißt diese Ausfahrt, Mitte Juni durch die Hügel des Österreichischen Weinviertels und feierten auf drei Strecken mit Distanzen von 70, 140 und 210 Kilometern eine mobile Huldigung des klassischen Rennrads.

Als Tupperware verspottet

Die Kilometer auf dem alten Rad lehren einen tatsächlich Demut. Der schwere Stahlrahmen des französischen Herstellers Peugeot stammt aus den 1960er-Jahren, der Vorbau kommt von der italienischen Firma Cinelli, die Kurbel von Campagnolo, die Gangschaltung von Sachs. "Das Rad ist ein Wolpertinger, da passt nichts zusammen", sagt der Münchner Sammler Daniel Winkler, dem dieses Rennrad eigentlich gehört. Das Stahlwesen aus Teilen vieler klassischer Fahrradschmieden glänzt für den Laien dennoch mit ästhetischen Werten und verdeutlicht auf schmerzhafte Weise, wie selbstverständlich einem moderne Rennräder aus Karbon erscheinen. Von den Stahlrahmenfans werden die als Tupperware verspottet: wegen des geringen Gewichts, der vielen Gänge, der Klickpedale.

Dann versucht man also, mit dem Peugeot an einer giftigen Steigung anzufahren und dabei die Füße in die Pedalriemen zu fummeln, ohne umzukippen oder allzu bescheuert auszusehen. Der Gang ist schwer, die Kette knirscht, das Gehampel mit den Füßen sieht lächerlich aus. Wie leicht das sonst alles mit der Tupperware funktioniert! Und doch verschafft die Ausfahrt mit dem alten Rad tiefe Zufriedenheit. Weil kein Tacho am Rad ist, der einen hetzt? Weil es nur ums Fahren und nicht um Leistung geht? Weil man Schleifgeräusche sowie andere kleine Beeinträchtigungen einfach hinnimmt und nicht weiter beachtet?

Fetisch: alte Rennräder

Obwohl die Räder deutlich mehr wiegen, viel schlechtere Übersetzungen haben und vor allem die Bremsen im Vergleich zu modernen Varianten ihren Namen kaum verdienen, sind alte Rennräder der Fetisch einer wachsenden Gemeinde von Enthusiasten. Nicht nur im Weinviertel treffen sich die Anhänger des Stahlrahmens, um ihre Rennradmesse zu feiern. Die Zahl solcher historischen Ausfahrten hat sich in den vergangenen Jahren vervielfacht.

Die bekannteste aller Retro-Schindereien findet seit 1997 in Gaiole im Chianti statt. Dort treffen sich jeden Oktober Tausende Retro-Anhänger zur "L'Eroica" und rumpeln mit ihren Rädern über Schotterpisten. Mittlerweile verlosen die Veranstalter die Startplätze, weil das Vintage-Peloton zur Lawine angeschwollen ist. In Flandern rollen die alten Räder zur "Retro Ronde"; in Frankreich ist es unter anderem die "Anjou Velo Vintage", bei der sich die Stahlrahmen-Gemeinde trifft.

"Es geht auch um Wertschätzung für klassische Handwerkskunst", sagt Ralf Siegemund. Der Nürnberger Künstler und Gastronom sammelt klassische Rennräder. Italienische Fabrikate. Mehr als 70 Räder lagern bei ihm, gut 20 davon fertig aufgebaut. In Österreich fährt er in einem hellblauen Cinelli-Woll-Trikot, das schon ein wenig ausgeleiert ist. Die Hände stecken in alten, ledernen Handschuhen mit freien Fingern, die Füße in schwarzen Schuhen mit italienischer Tricolore.

Held der Vergangenheit

Radrennen auf Retrorädern: Bastler und Schrauben treffen sich zu Hunderten auf der Route, die durch kleine, malerische Dörfer führt.

Bastler und Schrauben treffen sich zu Hunderten auf der Route, die durch kleine, malerische Dörfer führt.

(Foto: In Velvo Veritas)

Alte Rennräder zu sammeln, bedeutet, sich mit der Geschichte des Radsports zu beschäftigen. Ralf Siegemund erzählt von norditalienischen Virtuosen am Lötkolben, von sauber geschliffenen Muffen, mit denen die Rohre verbunden werden; von den Konkurrenzkämpfen der Teams und Hersteller und seiner Jagd nach neuen Sammlerstücken. Jahrelang liegt ein Rahmen manchmal im Keller, bis sich Teile auftreiben lassen, die dazu passen, die das Rad wieder in die Nähe des Originalzustands bringen. Das bedeutet auch, nach Firmen zu fahnden, die noch alte Lackvarianten herstellen oder bei einem Spezialisten in Australien Aufkleber zu bestellen, um die alten Schriftzüge an den Rahmen zu ersetzen.

Die Sammler sind alle Bastler und Schrauber. Auch das trägt zur Anziehungskraft der alten Räder bei: Die Technik ist beherrschbar. Federgabeln, Scheibenbremsen oder das Innenleben von Schalt-Brems-Kombinationen an modernen Rädern verweigern sich hingegen den Schraubenschlüsseln der meisten Laien. Ein demolierter Stahlrahmen lässt sich vielleicht noch ausbessern, ein beschädigtes Rohr aus Karbon reist zum Wertstoffhof.

Bastler und Schrauber

In jedem alten Rad steckt Geschichte, als hätte es seinen eigenen Gründungsmythos. Oft klingt das dann so: "Ich habe das Rad bei einem Pensionisten in Graz gekauft", sagt einer der Mitfahrer bei der In Velo Veritas, bei einem der Was-hast-du-denn-für-ein-Rad-Gespräche, die auf den Schotterwegen zwischen Weinbergen und Weizenfeldern geführt werden. "Der Pensionist hatte das von einem steirischen Rennfahrer, der damit in den 1970ern die Österreich Rundfahrt gefahren ist", geht die Geschichte weiter. Ob das stimmt? Egal, es reicht die Möglichkeit und die Vorstellung, dass ein unbekannter Held der Vergangenheit auf diesem Rad geschwitzt, geflucht und gelitten hat.

Fehlt die konkrete Heldenfigur, bietet die Geschichte der Hersteller die Projektionsfläche. Die Leidenschaft der Sammler tobt sich in der Jagd nach den passenden Teilen aus. Daniel Winkler, der Eigentümer des alten Peugeots, besitzt in Poing bei München eine Garage voller alter Rennräder oder Teile davon. Um die richtigen Sattelstützen, die passenden Schnellspanner oder Bremshebel zu finden, durchforstet er Foren im Internet, schaltet Kleinanzeigen und besucht Messen - bis die Bauteile so weit zusammen sind, dass kein Fahrrad-Wolpertinger wie das Peugeot zusammengeschraubt, sondern der Vergangenheit ein Original mit Patina abgetrotzt wird. Oder etwas entsteht, das dem Vorbild wenigstens nah kommt.

So wie die Trikots, die Winkler zusammen mit seinem Geschäftspartner Klaus Obermeier unter dem Label "Orwi" herstellt und verkauft. Diese orientieren sich an den Designs der 1960er und 1970er, schlicht und schön, aus Merinowolle gestrickt, die drei Taschen am Rücken mit Knöpfen versehen. Moderne Funktions-Wurstpellen-Wäsche für Rennradler birgt ja ein ganz wesentliches Problem: Das Zeug sieht oft entsetzlich aus, seltsame Farben, seltsame Schriftzüge, seltsame Werbung. Die vielen Merinowolltrikots bei der In Velo Veritas sind hingegen alles andere als ästhetische Rahmenbrüche.

Eingehüllt in Merinowolle

Aber Merinowolle - ist das nicht eher etwas zum Skifahren? Die Trikots taugen verblüffend gut, auch bei einer sonnigen Ausfahrt im Sommer. Durch die Strickmaschen kühlt der Fahrtwind und in den Pausen stellt sich nie das Gefühl ein, in einem nass geschwitzten Plastiksack zu stecken. Die Wolle stinkt auch nicht so schnell wie das Funktionszeugs.

Stahl oder Wolle - am Ende geht es doch darum, die Kurbel zu drehen und zu fahren. Bei aller Anstrengung sind die Ausfahrten der Retroradler herrlich entspannt. Bei den Veranstaltungen geht es nicht darum, schneller zu sein als die anderen. Konkurrenten sind die Fahrer allenfalls als Sammler, und das Feld der Radler wird sowieso vor allem von gastronomischen Faktoren auseinandergerissen oder zusammengeführt. Bei der Retro-Strampelei im Weinviertel haben die Veranstalter etwa alle 40 Kilometer Verpflegungsstationen in Gasthäusern eingerichtet. Bei kompetitiven Jedermann-Radrennen würgt man bei solchen Stopps Energieriegel runter, um so schnell wie möglich viele Kalorien in den Magen zu bekommen und hetzt weiter. Hier gibt es Kuchen, Brote, Obst, Suppen, Säfte, und wer bei der L'Eroica im Chianti mitgefahren ist, erzählt von Oliven, Käse, Rotwein und anderen Genüssen.

Und dann geht es irgendwann weiter. Auf alten Rädern und Rumpelstraßen - man kann es auch schön haben im Leben.

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