Wenn die Haupthaare des Mannes an Spannkraft und Farbe verlieren, erhöht sich paradoxerweise deren Symbolwert. Was wird dem ergrauenden Schädelbewuchs nicht alles angedichtet: Weisheit, Würde, Sicherheit, Eleganz, Wohlstand, Magie, Intelligenz. Vieles davon wirkt arg an den grauen Haaren herbeigezogen. Denn biologisch gesehen lässt sich das Phänomen ganz schlicht erklären: Schuld ist der altersbedingte Ausfall der Melanin-Produktion in den Kopfhaut-Follikeln.
Stilistisch ist es mit grauen Haaren ähnlich wie mit Hüten: Es kommt immer darauf an, wer sie auf dem Kopf hat. Als Guru in der Grauzone der mittelalten Männer gilt George Clooney, der 58-jährige Schauspieler mit der stets gepflegten Grauhaarfrisur wird immer wieder als Rollenmodell für würdevolles Altern genannt, in allen erdenklichen Zusammenhängen. Vergleiche mit Clooney verbreiten sich inflationär.
Norbert Alois Röttgen, 54, studierter Jurist aus Meckenheim im Rheinland, hat mit George Timothy Clooney, 58, studierter Radiojournalist aus Lexington in Kentucky, außer der Haarfarbe eigentlich herzlich wenig zu tun. Aber als Röttgen diese Woche ankündigte, für den Posten als CDU-Vorsitzender zu kandidieren, zogen viele Berichterstatter sofort die Clooney-Karte. Der meistens recht ordentlich gekleidete Politiker galt vor rund zehn Jahren mal als Hoffnungsträger der Union, die Bild-Zeitung verpasste ihm das Prädikat "Typ Lieblingsschwiegersohn" und nannte ihn liebevoll "Muttis Klügsten". Die Bunte allerdings kürte ihn zum "George Clooney der deutschen Politik". Seitdem wird Röttgen den Clooney-Vergleich nicht mehr los. Wahlweise wird er "George Clooney aus Meckenheim", "George Clooney vom Rhein" oder "George Clooney der CDU" genannt.
Die FAS bebilderte einen Artikel über Robert Habeck mit einem Clooney-Foto
Clooney-Klone sind überall. Pro-Sieben-Moderator Aiman Abdallah wurde vom Kölner Express als "deutscher George Clooney" identifiziert, der Focus erkennt im ehemaligen Siemens-Chef Peter Löscher einen deutschen Clooney. José Mourinho: der George Clooney unter den Fußballtrainern. Rudi Völler "sollte seine grauen Haare wie George Clooney tragen", sagt Gerhard Meir, der George Clooney des deutschen Friseurwesens. Der bayerische Koch Alexander Herrmann, noch keine 50 und braunhaarig, wurde bei einem Auftritt in Hof als "George Clooney der deutschen Sterneküche" bezeichnet. Georg Gänswein, der "George Clooney des Vatikans", zierte das Cover der italienischen Vanity Fair, Titelzeile: "Schönsein ist keine Sünde".
Am weitesten trieb es allerdings vergangenes Jahr die FAS, als sie einen Artikel über den Grünen-Vorsitzenden Robert Habeck gleich mit einem Clooney-Foto bebilderte.
In Deutschland reicht es offenbar schon, ein Mann zwischen 45 und 60 zu sein, um als Clooney durchzugehen. Sogar Thomas Anders, ehemals die nichtblonde, langhaarige Hälfte von Modern Talking, wurde von der Bunten in einem Interview mal als "der deutsche George Clooney" angesprochen, tatsächlich erkenne man "eine gewisse Ähnlichkeit". Dem Musik-Online-Magazin Smago! sagte der singende Koblenz-Clooney daraufhin: "Ich mag solche Vergleiche nicht. Einmal bin ich der deutsche George Michael, dann der deutsche Pierce Brosnan oder der deutsche George Clooney. Ich bin Thomas Anders und damit sehr zufrieden."
"Ich bin mein eigener George"
Die Gala ernennt gerne in unregelmäßigen Abständen neue Clooneys und hakt dann stichprobenartig nach, wie es den Amtsinhabern geht: "Hardy Krüger war der deutsche George Clooney. Doch im Moment setzt der Frauenschwarm andere Prioritäten." Auch Robert Atzorn wurde von der Gala bereits als deutscher Clooney gehandelt, gefolgt von Sascha Hehn.
Obwohl Heiner Lauterbach schon 66 ist und sein Kopfhaar nicht mehr so arg üppig sprießt, wurde er ebenfalls öffentlich geclooneyt. Bei der Verleihung des Bayerischen Filmpreises wurde Lauterbach von Ministerpräsident Markus Söder als "unser deutscher George Clooney" eingemeindet. Söder selbst ist mit seinen 53 Jahren und den angegrauten Schläfen im besten Clooney-Vergleichsalter, aber auf diese Idee ist wirklich noch keiner gekommen. Allerdings benutzt er in Talkshows auffällig oft die Redewendung: "Schau mer amal", was eine geschickt eingesetzte Anspielung auf George Clooneys Ehefrau Amal sein könnte, aber auch am fränkischen Akzent Söders liegen kann.
Clooney-Vergleiche sind übrigens oft ein schlechtes Omen, besonders in der Politik. Wer erinnert sich nicht an den charismatischen Martin Schulz, der 2017 als Retter der SPD antrat? Der Mann gleicht Clooney nicht aufs Haar, er hat eine Halbglatze, ist zehn Zentimeter kleiner und wohnt nicht in einer Villa am Comer See, sondern in Würselen. Von der damaligen SPD-Generalsekretärin Katarina Barley wurde Schulz bei einer Wahlkampfveranstaltung dennoch als "unser George Clooney von der SPD" angekündigt. Was folgte, waren drei verlorene Landtagswahlen und der politische Absturz.