Kolumne: Ladies & Gentlemen:Deutsche Opern

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(Foto: IMAGO/Eventpress Golejewski)

Zur Neuinszenierung von Tristan und Isolde kam die übliche Wagnerprominenz auf den grünen Hügel. Für die Stilkritik haben sich aber nur zwei qualifiziert: Frau Baumüller-Söder und Herr Gottschalk

Von Max Scharnigg und Julia Werner

Für sie: Plicht und Walkür

Die Bayreuther Festspiele sind jedes Jahr der Beweis, dass Deutschland und Glamour sich ausschließen. Es ist eine Seidentaft-Orgie, und am Ende sieht immer nur Gloria von Thurn und Taxis aus, wie man 2022 eben aussieht. Und die hat ein Schloss! Alle anderen spielen Burgprinzessin. Nein, die Kleider sind nicht billig. Eher sind sie für den Look, den sie produzieren, viel zu teuer. Aber für den sparsamen, fleißigen, stinkreichen Mittelständler aus der deutschen Provinz: gerade an der Grenze dessen, was man bereit ist, für Überflüssiges auszugeben. Als nicht überflüssig angesehen werden die sogenannten echten Werte, eine teure Armbanduhr zum Beispiel, die Karin Baumüller-Söder hier unfeinerweise zur Abendrobe trägt. Die Gesellschafterin der Baumüller Gruppe, einem Hersteller von Antriebs- und Automatisierungssystemen und Gattin von Markus Söder, trägt hier das perfekte Beispiel für ein solches Vernunftkleid. Es sieht aus, als stamme es aus einer Boutique, die den Begriff Braut- und Abendmode im Namen trägt. Der Stoff ist zu glänzend, die Drapierung des Oberteils zu walkürig und der Rock zu sehr Gardine. Damit die Trägerin nicht über den Saum stolpert, endet er pragmatisch ein paar Millimeter über dem Boden. In Kombination mit dieser unerklärlichen Golfclub-Sonnenbräune, dem nach innen geföhnten Stufenschnitt mit akkurat vom Rest der Frisur abgetrenntem Pony und den Shellack-Nägeln sind wir plötzlich: mitten in Deutschland. Bayreuth, der Ort, an dem man der Wahrheit ins Gesicht sieht.

(Foto: IMAGO/Eventpress Golejewski)

Für ihn: Old Schlangenhaut

Thomas Gottschalk gehört zu der sehr überschaubaren Zahl an deutschen Prominenten, deren Anblick uns immer noch überwiegend milde stimmt. Obwohl er nie sonderlich daran interessiert war, ist er eben ein BRD-Maskottchen geworden und Inbegriff jener guten, alten Zeit, die in den letzten Jahren noch mal deutlich besser und älter wurde. Wobei schon erstaunlich ist, dass man meist über seine seltsamen Klamotten hinweggesehen hat, beinahe so wie man das bei einem Kind tut, das gerade eine Schmink-Phase hat. Irgendwie nahm man seine grotesken Aufzüge immer so als erste verlorene Wette bei "Wetten, Dass...?" hin. Oma musste dazu auf dem Sofa etwas sagen wie: "Ja, du lieber Himmel!" Und dann war es auch gut. Aber hat man je erklärt bekommen, warum er sich eigentlich so extravagant zurichtete? Es passte ja weder zu ihm noch zur Sendung in der Mehrzweckhallen-Kulisse. Wie auch immer, es scheint bei ihm auch ohne Dauerkarte für die ZDF-Requisite ein gewisser Hang zum Schlangenleder vorhanden zu sein. Und wohin, wenn nicht zur Premiere nach Bayreuth, passt so eine komische Mischung aus Dreiteiler, Smoking und Zirkusdirektor? Gottschalk hat auch ganz gut kombiniert, getönte Brille und Weste gehören farblich zusammen, Schuhe und Jacke ergänzen sich mustermäßig, und auch das Kleid seiner Begleiterin war in den Mix mit eingeplant. Also ja, geht schon, kann man lassen. Aber eben nur, weil wir alle bei seinem Anblick immer noch reflexartig die Eurovision-Melodie pfeifen und nicht weiter nachfragen. Gottschalk eben.

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