Produktdesign:Form, Funktion und Lebenslust

Er gehört zu den wichtigsten Designern der Gegenwart. Mit einer Werkschau in Köln wird der Münchner Stefan Diez jetzt erstmals in großem Rahmen gewürdigt.

Von Max Scharnigg

Die schönste Geschichte kommt eigentlich von Vater Ernst Diez, sie geht so: Zusammen mit Stefan wollte er vor vielen Jahren am Ferienhaus der Familie in der Toskana zwei Felsen sprengen, die der neuen Klärgrube im Weg lagen. Sie bastelten also im heimischen Freising aus Silvesterböllern eine Sprengladung, fuhren damit nach Italien und pusteten den ersten Felsen derart überzeugend in die Luft, dass sie sich an den zweiten nicht mehr trauten.

So liest man es im letzten Teil der 340 Seiten dicken Stefan-Diez-Monografie "Full House". Die väterliche Sprengung ist dabei ein brauchbares Gleichnis für das Werk des Produktgestalters, das seit letzten Montag in einer Ausstellung "Full House" des Museums für angewandte Kunst in Köln gezeigt wird. Denn die Abfolge von überschwänglicher Idee, anschließendem Experiment und letztlich durchschlagendem Erfolg wird bis heute bei vielen Diez-Projekten eingehalten.

Produktdesign: Stefan Diez gehört zu den wichtigsten Designern der Gegenwart.

Stefan Diez gehört zu den wichtigsten Designern der Gegenwart.

(Foto: PR)

Dieser Erfolg also, der in der Branche seit Jahren offenkundig ist, wird nun für eine breite Öffentlichkeit durch die Einzelausstellung unweit des Kölner Doms erfahrbar. Sie erstreckt sich über drei Stockwerke - für einen Produktdesigner, noch dazu einen, der gerade erst 45 Jahre alt ist, eine große Ehre. So groß, dass Diez bei der Begrüßung vor 50 internationalen Journalisten dann auch ein paar Atemzüge lang im Leerlauf spricht, bis die ersten Worte herauskommen. Wohler fühlt sich der Mann, der bei Richard Sapper studiert und später bei Konstantin Grcic assistiert hat, sobald er vor den Exponaten steht und über ihre Entstehung berichten kann. Da kriecht er in den Sessel, um das innovative Füllmaterial zu zeigen, und muss mehrmals ermahnt werden, zum nächsten Stück weiterzugehen. Der Name "Full House" erschließt sich schnell: Diez hat mit seinen Produkten in den letzten fünfzehn Jahren den ganzen Horizont des privaten Mobiliars abgesteckt, vom Sofa bis zur Stehlampe, er schreckt aber auch vor kniffligen Aufträgen im Bereich Technik und Haushalt nicht zurück. Ein Reisekoffer für die Firma Bree, Kochgeschirr für Rosenthal, ein Kaminofen für den designunverdächtigen Heizsystem-Hersteller Buderus - alles entstanden im idyllischen Münchner Studio, hinter dem der Westermühlbach rauscht. Es ist das Verdienst der Kölner Diez-Werkschau, nun erstmals große Teile des vielgestaltigen Outputs zu versammeln. Erst so lässt sich das Stilprinzip eines Stefan Diez annähernd begreifen.

Es beruht zu einem guten Teil auf einer Verschränkung aus analogem Handwerksverständnis - er absolvierte eine Schreinerlehre, auch sein Vater ist Schreiner - und seinem frühen Fokus auf digitale Denk- und Arbeitsprozesse. Schon bei der Abschlussarbeit 1999 nutzte Diez CAD-Software, um Schnittmuster in zweidimensionalen Flächen zu entwickeln, die sich im nächsten Schritt dann von Hand zu Objekten knicken und biegen ließen. Computer- trifft auf Handarbeit, das ist eine Denkrichtung, die bei Stefan Diez immer wieder vorkommt und seinem Faible für industrielle und technologische Designansätze entspricht. Das macht seine Entwürfe zu funktional-eigenständigen Objekten, nicht vorrangig poetisch, aber auch nicht minimalistisch, dafür oft mit einem handwerklichen Aha-Effekt. Wie etwa beim innovativen Türen-Faltsystem des Regals "New Order" (Hay), das zu seinen wichtigsten Arbeiten zählt und bis zu dessen Produktion Jahre vergingen. Oder dem sturzsicheren Deckel ohne Knauf an einer eleganten Porzellankanne, die er für den japanischen Traditionshersteller Kawazoe Seizan entwerfen durfte.

Diez tüftelt gerne, will die Sachen aber am Ende trotzdem schön und simpel haben. Seine Produkte buchstabieren, ähnlich wie bei Freund und Kollege Konstantin Grcic, gerade beim Bestreben, zeitlos zu sein, einen feinen Zeitgeist. Denn Stefan Diez findet neue Materialien oder zweckentfremdet, er klebt, wo andere schrauben, biegt, wo andere einen rechten Winkel machen, überredet Autozulieferer zur Zusammenarbeit oder improvisiert aus Bambusrohr eine ganze Sitzgruppe. Kurz, er bildet das vielseitige und undogmatische Lebensgefühl seiner Generation ab. Er ist mal Zauberer, mal Techniker, aber am Ende sind seine Produkte vor allem ehrliche Begleiter, die nie "Design!" rufen - genau wie ihr Erfinder, der die Ausstellung in Jeans und Baseballkappe eröffnet.

Und Stefan Diez muss seine Arbeit im wahrsten Sinne des Wortes immer erst mal begreifen. Die Bilder in der Monografie zeigen es hundertfach: Diez töpfert, bastelt, schreinert und gießt unablässig Modelle, bekritzelt Prototypen mit Anweisungen und Korrekturen, kriecht schmutzig über den Studioboden und unter Stuhlgelenke. Sein "Office" ist eine Wunderkammer, die er mit seinem Team und einem ambulanten Netzwerk aus Münchner Kreativen teilt. Frau Saskia ist renommierte Schmuckdesignerin, und die Clique der beiden, randvoll mit Grafikern, DJs, Fotografen und Modeschöpfern, ist zu einem strahlkräftigen urbanen Kollektiv geworden, dessen Lebenslust vielen Diez-Stücken abzulesen ist.

In einer Zeit, die dazu neigt, Designer zu Stars und genialischen Künstlern zu verklären, ist es wohltuend, wie die banalen Vorgänge des Berufes in den Mittelpunkt des Werkkatalogs und der Kölner Ausstellung gerückt werden. Gutes Design ist Teamarbeit, das liest man auf jeder Seite heraus. Es ist Diplomatie und Abstimmung mit den Firmen, aber auch Frust, wenn Entwickler-Enthusiasmus mit der Realität kollidiert. Eine Stuhllehne aus gepressten Textilfasern oder ein einfaches Gurtband als Tragegriff für den Koffer erwiesen sich als verflixte Stolpersteine, erzählt Diez in Köln, und auch von den Konsequenzen: Aufgabe des Projekts, Auslaufen des Budgets oder ein unperfektes Produkt. Das ist vielleicht das Erstaunlichste an dem Rundgang - wie freimütig die Fehlschläge ausgestellt sind. Das Thermomix-Projekt etwa, bei dem Stefan Diez versuchte, dem erfolgreichen Kochgerät der Firma Vorwerk ein appetitlicheres Antlitz zu geben, aber nie ganz Form, Technik und Vorstellungen vereinen konnte. Ein Dutzend Prototypen zeugen im Museum von dieser Arbeit. Für den Besucher ist das ein spannender Einblick in die Gestaltungsarbeit - nur gut also, dass Diez die Thermomixe am Ende nicht gesprengt hat.

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