Pro und Contra:Wintermode - warm oder heiß?

Fashionspießer

Das Stück Marderhund an der Kapuze, dem irgendwo in China bei lebendigem Leib das Fell abgezogen wurde, ist immer noch sehr beliebt bei den Deutschen.

(Foto: Daniel Hofer)

Wer schön sein will, muss im Winter frieren. Alle anderen verschwinden in Daunenjacken und überdimensionalen Parkas - na und? Ein Pro und Contra zu funktionaler Winterkleidung.

Julia Werner und Antje Wewer

Contra: Frieren für die Ästhetik

Die Liebe der Deutschen zur Funktionskleidung - also der spießbürgerliche Hang zum Praktischen - ist der Grund dafür, dass wir im Ausland nur als Ingenieure wahrgenommen werden, aber nie als Sexsymbole. Rote Windbreaker in Kaffeehäusern, Wanderschuhe auf dem Bürgersteig, Plastiksandalen unter dem Arztkittel, kurz: all diese jeden Anflug von Feinsinn zertrampelnden Grässlichkeiten, sind aber nichts gegen das, was jetzt wieder kommt: Millionen Deutsche holen ihre Daunenjacke vom Speicher und verwandeln die Innenstädte in gigantische Antarktis-Expeditions-Lager. Bei den meisten hängt auch noch ein Stück Marderhund an der Kapuze, dem irgendwo in China bei lebendigem Leib das Fell abgezogen wurde. Die Nachfrage nach Fellkrägen ist eben immer so hoch wie die Nachfrage nach Daunenjacken. Das scheußlichste aller Funktionskleidungsstücke hat sich auf noch perfidere Weise einen Platz im Straßenbild gesichert als Fleece-Pulli, Rucksack und Co. Gewiefte Marketing-Füchse haben es geschafft, das Daunenmonster als Luxus zu verkaufen.

Und das Daunenmonster ist überall: In manchen Ecken der Stadt glänzt es billig im Textil-Discounter-Look, und auf der Maximilianstraße werfen sich Anwälte und sonstige Dienstleister die vierstellige Beträge kostende Nordpol-Jacke des St.-Moritz-Gang-Ausstatters Moncler über den Maßanzug. Und sie halten das wirklich für guten Stil! Weil sie irgendwann mal in Italien waren und all diese Männer auf Motorrollern sahen, die es so vorlebten. Das mit der italienischen Stilsicherheit gehört aber genauso zu den deutschen Lebenslügen wie die Vorstellung des ach so lebensfreudigen Italieners, der den ganzen Tag mit Mozzarella-Bällchen jongliert. Die Daunenjacke ist, auch in Italien, nur unter Provinzlern guter Ton. Und dann die Damen. Größtes Winter-Statussymbol ist für sie eine Markenjacke, die sie bis zu minus vierzig Grad absichert, selbst, wenn an Weihnachten doch nur wieder Föhn ist. Formlose Lammfell-Treter vollenden das Yeti-Outfit. Ein schöner Mantel scheint für niemanden mehr eine Option zu sein.

Wann hat es aufgehört, dass nur Kinder gefütterte Anoraks trugen? Die dürfen das natürlich noch immer: sich im Schnee wälzen, auf den wattierten Hintern fallen und matschige Parkpisten runterrutschen. Außerdem müssen sie gegen Schnee-Einseif-Aktionen gewappnet sein. Und süß sind sie ja auch, diese immer leicht wankenden Mini-Michelin-Männchen mit roten Wangen und Rotznasen. Erwachsene rutschen aber höchstens noch die Karriereleiter runter, im Idealfall haben sie ein Gefühl dafür, wann der Zeitpunkt da ist, sich die Nase zu putzen, und Einseifen lässt sich der moderne Erwachsene sowieso im Büro jeden Tag, auch im Sommer.

In Würde frösteln

Es gibt also nichts, wogegen er sich besonders schützen müsste, außer eben: ein bisschen feuchter Kälte. Statt in Würde zu frösteln, ist sie für all die Business-Performer der Aufruf, endlich mal durchzuhängen. Wenn schon nicht im Job, dann eben in Sachen Stil, wie ja schon das gruselige Werbe-Wintervokabular suggeriert: schmökern, schmusen, sich einmummeln. Und so verwandelt sich das ganze Land in einen riesigen Kindergarten. Es ist die totale Aufgabe des Selbstverständnisses als Frau. Oder als Mann. Es gibt nur noch Kälte, und seltsam quadratische, asexuelle Wesen, die freudig einer Apokalypse entgegenstiefeln, die niemals kommt - meistens nicht mal in Form einer Schneeflocke.

Fast wünscht man sich die guten alten Pelzmäntel wieder auf die Maximilianstraße, die diese herrliche Attitüde verbreiteten, dass Mode viel mit Angeben, aber vor allem mit Eleganz zu tun hat, der höchsten Form der Höflichkeit, weil sie einfach alles für alle in einem sanfteren Licht erscheinen lässt. Der echte italienische Gentiluomo trägt übrigens im Winter: Kaschmir, Alpaka oder den Casentino, einen Mantel aus gekochter Wolle, traditionell in der Farbe Orange, als Vitamin-Kick fürs Auge. Und dann wären da noch die flachen, unsichtbaren Daunenjacken, die auch Frauen unter jeden Mantel ziehen können, falls es mal wirklich zieht.

Es ist sehr einfach, diese Welt zu einem schöneren Ort zu machen. Und ein bisschen Frieren ist nicht zu viel verlangt. Vor allem, wenn man eine Wohnung hat, in der man sich jederzeit aufwärmen kann.

(Julia Werner)

Pro: Modisch relaxen

Der Komiker Zach Galifianakis, der in Kalifornien lebt, erklärte vor Jahren in einem Pariser Luxushotel - barfuß auf einer Couch liegend -, warum er sich in Los Angeles nach Kälte sehnt: "Ein paar Monate lang ausschließlich in einer Daunenjacke leben - herrliche Vorstellung. Unter den diversen Schichten würde mein Bauch verschwinden und ich könnte relaxen." Genau das sollte man jeden Winter machen: modisch relaxen. Mit dem einfachen, aber äußerst ehrenwerten Ziel, nicht zu frieren.

Dabei kann es auch cool sein, wenn man sich kompromisslos an den Menschen orientiert, die dafür bezahlt werden, dass sie stundenlang in der Kälte rumstehen - etwa in den Anorak-Klassikern, die Filmleute zum Outdoor-Dreh anziehen (Canada Goose, Patagonia, Parajumpers). Den Acne Studios Downparka (850 Euro) kann man dafür getrost den Mitte-Hipstern überlassen, die auf Figur geschnittenen Moncler-Daunenjacken (besonders erbärmlich: die mit Gürtel) den Charlottenburgerinnen. Und ja, man kommt am omnipräsenten und über-langweiligen Woolrich-Parka mit Fellkragenkapuze vorbei. Mein Nigel Cabourn Mount-Everest-Parka ist orange, mit Gänsefedern gefüllt und das Original hat schon Edmund Hillary auf seinen Expeditionen warm gehalten. Eigentlich unbezahlbar, aber bei Ebay England findet man manchmal erschwingliche Männermodelle. Nun ja, der Mantel ist wohl das, was man oversized nennt, man sieht darin tatsächlich aus wie ein Michelin-Männchen auf Steroiden. Aber es gilt ja: relaxen, nicht frieren. Es hilft natürlich, groß zu sein, wenn man solche Jacken trägt. Kleine Frauen verwandeln sich durch einen dicken Anorak in laufende Quadrate. Sie ziehen deshalb lieber eine dünne Daunenweste unter den Kamelhaarmantel.

Konsequent warm

Wer den Berliner Winter kennt, sammelt wie ein Eichhörnchen schon über das Jahr hinweg Beute für die schlecht gelaunten Monate. Der Graupelregen peitscht ins Gesicht, der Berliner kann dabei auch nicht mal eben zum Skifahren in die Berge flüchten und wer in dieser Stadt einigermaßen aufrecht durch die dunklen Monate kommen will, braucht einen wasserdichten Parka mit Kapuze. Ich probiere erst gar nicht modischen Firlefanz wie Capes, Bouclémäntel von Isabel Marant oder Chelsea Boots an, sondern investiere lieber in eine Ausrüstung, die konsequent auf warm, nicht auf stilvoll setzt. Zu der gehören, zum Leidwesen meiner Familie, auch ein Paar Ugg Boots. Zugelegt noch vor Ostern bei Sonnenschein und knallblauem Himmel in Los Angeles (sie sind in den USA günstiger, als in Deutschland). In Wahrheit sehen die ugly Uggs nur bei Surferinnen mit nackten Beinen oder Teenagern gut aus - und nach einem Regenguss verwandeln sie sich in zwei aufgeweichte Brotlaibe. Egal, alles besser, als das einem vor Bibbern das Lächeln im Gesicht gefriert. Die uU (ugly Uggs) sind nun mal irre gemütlich und halten die Füße tatsächlich warm. Warme Füße sind im Winter die halbe Miete und nach coolen Vintage-Lammfellboots muss man sehr lange suchen.

Auch schon im Sommer vorbestellt: gefütterte L. L. Bean Boots, mit denen Amerikaner gerne auf Entenjagd gehen. Für die Original Duck Boots gibt es lange Wartelisten, da Handarbeit made in Freeport, Maine. Wer erst im Herbst bestellt, bekommt sie im Frühjahr des darauffolgenden Jahres geliefert. Im vergangenen Winter habe ich spontan versucht, ein Paar Moonboots online zu ordern: keine Chance, meine Größe war in den annehmbaren Farben wie Dunkelblau oder Grau komplett ausverkauft, es gab nur noch Weiß, Rosé und Silber.

Gerade ist die zweite Staffel der TV-Serie "Fargo" angelaufen. Sie spielt in South Dakota und Minnesota in der Eiseskälte und lässt Kirsten Dunst mit ihrem winterfesten Siebziger-Jahre-Look überraschend glamourös aussehen. Die Kostümbildnerin Carol Case verriet der Vogue, wie sie das hinkriegt: Sie hat in alle Kleider und Mäntel eine Extra-Schicht Thermostoff eingenäht. Also doch keine Option. Wir halten uns besser an den "Fargo"-Kinofilm und den Look von Marge Gunderson (gespielt von Frances McDormand): Fellmütze, schokoladenfarbener Parka (übergroß) und graue Fäustlinge. Letztere kann man online ordern: Fox River, Extra Heavy Ragg Mittens, circa 16 Dollar. Bestellbar: das ganze Jahr.

(Antje Wewer)

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