Prêt-à-Porter-Schauen in Paris:Minimalismus plus X

Alles fad macht die Krise? Zum Glück nicht! Bei der Pariser Modewoche dominieren aufgeräumte Silhouetten und klare Linien - aber mit Twist. Nach dem gefeierten Debüt von Raf Simons bei Dior warten nun alle auf Hedi Slimanes Premiere bei Saint Laurent.

Tanja Rest, Paris

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Mesdames et Messieurs, neun Tage, bestimmt 60 verschiedene Locations, weit mehr als 100 Shows und unermesslich viele Looks, die im Frühjahr und Sommer Myriaden Euro Umsatz generieren sollen - und dann ist das Erste, was einem zu dieser Pariser Modewoche einfällt, das Bild zweier Männer in einem: Boxring.

Neu in der Ecke von Dior: Raf Simons, 44, Belgier, vormals Kreativchef bei Jil Sander und jetzt Nachfolger des mit Schimpf und Schande davongejagten John Galliano. Neu in der Ecke von Saint Laurent: Hedi Slimane, Franzose, ebenfalls 44, vormals verantwortlich für die Herrenlinien von YSL und Dior, jetzt Nachfolger des glücklos gebliebenen Stefano Pilati.

Zusätzlich Würze in die Sache bringt, dass hinter den ikonischen Couturehäusern je einer der beiden großen Luxuskonzerne steht: Dior gehört zu LVMH, Saint Laurent zu PPR. Die auf Harmonie geeichten Fashionleute sind insgeheim ent-zückt! Kaum ein Branchenblatt hat es sich nehmen lassen, die Köpfe der Kontrahenten so zu montieren, dass sie einander in die Augen starren wie Wyatt Earp und Billy Clanton am O. K. Corral. Titelauswahl: "Blockbuster". "Duell der Champions". "Schlacht der Titanen!"

Das alles ist natürlich reine Hysterie. Am Ende gewinnt, wer die meisten Schuhe, Taschen und Sonnenbrillen verkauft; die Kleider mit ihren bis zu fünfstelligen Preisschildern sind längst Nebensache. Aber über irgendetwas müssen die Modedamen ja plaudern, während sie in ihren Prada-Tapetenhosen und Star-Wars-Pullis von Balenciaga durchs Pariser Wechselwetter stöckeln, und da bliebe aktuell als einzige Alternative nur der neue Minimalismus. Der hat auch schon ein paar Saisons auf dem Buckel.

Hexa bei den Prêt-à-Porter-Schauen in Paris

Christian Dior: Runway - Paris Fashion Week Womenswear Spring / Summer 2013

Quelle: Getty Images

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Raf Simons macht am Freitag für Dior den Anfang. Auf den Couturestühlen sitzt der internationale Fashion-Hochadel plus, nanu, Robert De Niro, als das erste Model den kalkweißen Kubus betritt. Allgemeine Atemlosigkeit. Die Spekulationen sehen so aus, dass die Kollektion entweder androgyner oder mädchenhafter oder minimalistischer oder opulenter oder doch ganz anders wird, als alle glauben. Und am Ende lautet die Antwort, wunderbarerweise: ganz anders.

Es beginnt mit einer Reihe klassischer Looks in Schwarz. Drei Smokings, ein Hosenanzug, ein schlichtes kleines Schwarzes ... Und gerade als man denkt, das sei nun doch ein bisschen überschaubar, zündet Simons die Schubrakete. Es folgt ein Feuerwerk an Farben, Techniken und Materialien, das auch für drei Defilees gereicht hätte.

Dior bei den Prêt-à-Porter-Schauen in Paris

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Simons war im Firmenarchiv, er zitiert die berühmten Dior-Silhouetten vom New Look bis zur A-Linie, aber er macht etwas völlig Neues daraus. Da sind Blazer mit einem Saum aus blau reflektierendem Organzastoff. Metallisch glänzende Ballonrock-Mutanten. Zipfelige Doubleface-Oberteile. Kleider mit Blockstreifen, mit Perforierungen, mit Blütenstickereien, gefolgt von einer Serie glockenförmiger Röcke mit schillernden Blumenprints, die zu schwarzen Cashmere-Tops getragen werden.

Jedes Detail, alles Schmückende ist hier so gut dosiert, dass die Kollektion nie überladen wirkt. Der Gesamteindruck ist feminin, konzentriert, radikal modern. Simons hat die Dior-Frau mit einem Schlag in die Gegenwart katapultiert.

Dior bei den Prêt-à-Porter-Schauen in Paris

A model presents a creation by Belgian designer Raf Simons as part of his Spring/Summer 2013 women's ready-to-wear fashion show for French house Dior during Paris fashion week

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Ein Triumph, heißt es hinterher. Und dass sich Hedi Slimane jetzt anstrengen müsse. Aber was ist eigentlich mit all den anderen Kreativchefs? Das Branchenblatt Womens's Wear Daily hat diesbezüglich eine Umfrage gestartet: Ob die "Schlacht der Titanen" nicht zu viel Aufmerksamkeit absauge?

Dior bei den Prêt-à-Porter-Schauen in Paris

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Antwort des so begabten wie rundlichen Alber Elbaz: "Ich bin nur eifersüchtig auf Leute, die essen können, ohne zuzunehmen." Seine eigene Kollektion für Lanvin ist überall dort stark, wo er es schlicht hält, wirkt streckenweise aber übertourt. Panzerungen aus Schmucksteinen, überladene Schultern und ...

Lanvin bei den Prêt-Porter-Schauen in Paris

Lanvin: Runway - Paris Fashion Week Womenswear Spring / Summer 2013

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... schwarze Cowboystiefel - war Elbaz nicht mal für seinen No-Nonsense-Zugang berühmt?

Am Ende geht es in der Mode ja vor allem darum, eine eigene, unverwechselbare Melodie zu finden und ihr von Saison zu Saison neue Töne hinzuzufügen. Für den Designer ein schmaler Grat: Er darf auf keinen Fall da capo spielen, aber wenn er die Tonart abrupt wechselt, fliehen die Fans.

Lanvin bei den Prêt-Porter-Schauen in Paris

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Der Antwerpener Dries van Noten hat seine Erkennungsmelodie längst gefunden, und sie wird niemals langweilig: Er ist der Maestro des Mustermix. In dieser Saison mischt er aber nicht nur Prints (Karo und Blumen), sondern auch maskulin und feminin, Couture und Straße sowie alle nur denkbaren Stoffe und Weiten, manchmal in einem einzigen Look. Sagen wir: ein mit blauen Knospen bedrucktes Seiden-Top über einem Holzfällerhemd zum meerschaumgrünen Rock mit applizierten Organza-Rosetten und an den Füßen karierte Pumps.

Dries van Noten bei den Prêt-à-Porter-Schauen in Paris

FASHION-FRANCE-DRIES VAN NOTEN

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All das kommt in verwaschenen Farben und so relaxed daher (nicht zu vergessen die Pyjamahosen und lose um die Hüfte geschlungenen ... Bademäntel?), dass man sofort denkt: Grunge-Couture. Backstage sagt der freundliche Dries: "Ich hatte keine Lust auf Minimalismus. Ich wollte Spaß haben mit Kleidern, die bequem sind und lässig und spontan."

Dries van Noten bei den Prêt-à-Porter-Schauen in Paris

FASHION-FRANCE-HAIDER ACKERMANN

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Haider Ackermann, der gerade noch für seine Juwelenfarben gefeiert wurde, tut ausgerechnet in der Frühjahrskollektion das Undenkbare: Er lässt alle Farben weg. Bleiben Schwarz, Grau- und Mokkatöne - hier herrschen Ruhe und Strenge. Neben den typischen Drapierungen und japanischen Motiven verwendet der Designer Elemente aus der Herrenmode: Anzüge aus Tweed, Smokingwesten und breitschultrige Sakkos, die er mit Ledergürtel auf Taille bringt.

Haider Ackermann bei den Prêt-à-Porter-Schauen in Paris

FASHION-FRANCE-HAIDER ACKERMANN

Quelle: AFP

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Die maskuline Härte balanciert er dann mit hauchzarten bodenlangen Kleidern und Kimono-Mänteln aus, leicht wie Luftgeister. Es steckt eine eigenwillige Poesie in diesem Defilee, und der Jubel setzt schon ein, als das letzte Model noch in Zeitlupe über den Laufsteg schreitet.

Haider Ackermann bei den Prêt-à-Porter-Schauen in Paris

Paris Fashion Week - Wunderkind

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Wolfgang Joop meldet sich nach dem Beinahe-Ruin seines Wunderkindes und zwei Jahren Zwangspause freudestrahlend in Paris zurück, mit einer unkomplizierten, heiteren Kollektion. Seine Mädchen tragen wadenlange Hosen, Röcke, Anoraks und Blazer in vielen Lagen übereinander; am auffälligsten sind die romantischen Wallekleider, mit Schmetterlingen und pausbäckigen Engelchen bedruckt.

"Ach Kinder, mit dem Exhibitionismus ist es ja nun auch längst vorbei", wie Joop hinterher sagt. Diese unschuldige Sommerphantasie wird sich bestimmt gut verkaufen, und das ist ja nun auch bitter nötig.

Wunderkind bei den Prêt-à-Porter-Schauen in Paris

FASHION-FRANCE-CARVEN

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Der Minimalismus im unerbittlichen Sinne des Wortes (siehe Jil Sander in Mailand) hat in Paris bisher weniger Anhänger gefunden als erwartet. Was vielleicht kein Wunder ist: Die Kritiker mögen jubeln, die Kundin bleibt skeptisch. Wer gibt schon leichthändig sehr viel Geld für eine Jacke aus, die perfekt geschnitten und verarbeitet ist, an der aber sonst, nun ja: nicht viel dran ist?

Tragbar soll es sein, aber auch schmücken. Was man bei Dior und vielen anderen Häusern sehen kann, ist Minimalismus mit einem Twist. Aufgeräumte Silhouetten, klare Linien, bloß nicht zu sexy - aber mit Hinguckern. Da wären etwa die gemusterten Sixties-Kleider von Carven, mit Cut-outs an der Hüfte. Oder die Balenciaga-Minis, die wie Tweedröcke von Chanel daherkommen, aber bestickt sind.

Carven bei den Prêt-à-Porter-Schauen in Paris

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Sogar Phoebe Philo, die den Minimalismus bei Céline neu erfunden hat, gestattet sich einen Gag: bunte Plüsch-Pumps! Davon abgesehen brauchen ihre Kleider tatsächlich keine Verzierungen - jede Frau ist darin gut angezogen und sieht nicht mal so aus, als hätte sie sich zu sehr bemüht. Die Philosophie, die hinter Philos Mode steht - Qualität und Pragmatismus - lebt sie selbst vor.

In der vergangenen Saison zeigte sie nur eine Rumpfkollektion vor handverlesenem Publikum, weil sie zum dritten Mal hochschwanger war. Es hat ihr noch mehr Sympathien gebracht. Die 39-Jährige ist eine von immer mehr Designerinnen (siehe auch Stella McCartney oder Clare Waight Keller bei Chloé), die zwischen Mode und Leben keinen Trennstrich mehr ziehen. Die Verkaufszahlen sind bestens.

Céline bei den Prêt-à-Porter-Schauen in Paris

FASHION-FRANCE-CELINE

Quelle: AFP

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Das Céline-Defilee ist weitgehend in Schwarz, Creme und Blautönen gehalten. Kein Colourblocking diesmal, stattdessen hat Philo matte und glänzende Oberflächen montiert. Die ärmellosen Longblazer, kerzengeraden Hosen und kastigen Tops sind wie immer makellos geschnitten, die schwingenden Kleider so pur, dass am Saum noch die Fäden herauszuhängen scheinen. So oft sind diese reduzierten Designs schon kopiert worden - was dabei herauskam, war meist freudlos und fad. In der Topliga des Minimalismus spielt Phoebe Philo immer noch ganz alleine.

Céline bei den Prêt-à-Porter-Schauen in Paris

Viktor & Rolf: Front Row - Paris Fashion Week Womenswear Spring / Summer 2013

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Und das Wichtigste kommt ja erst noch. An diesem Montagabend steigt die Saint-Laurent-Show, die sehnsüchtig erwartete Premiere von Hedi Slimane. Der noch nie zuvor Damenmode gezeigt hat. Aus dessen Atelier bisher nur der Tod des Ypsilon nach draußen drang - aus YSL ist SLP geworden. Saint Laurent Paris.

Die Fieberkurve, die am Freitag kurz nach unten sackte, hat schon wieder Rekordwerte erreicht. Hier noch ein Dialog zweier deutscher Einkäuferinnen, abgelauscht in der Warteschlange von Viktor & Rolf. Die eine: "Ach, hast du mitgekriegt, Peer Steinbrück wird Kanzlerkandidat." Die andere: "Echt. Hast du eigentlich 'ne Einladung für Saint Laurent?"

Front Row bei Viktor & Rolf

© SZ vom 01.10.2012/jobr
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