Prêt-à-Porter-Schauen in Paris:High Noon an der Seine

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Duell der Designer: Nach dem Debüt von Raf Simons für Dior hat Hedi Slimane auf der Modewoche in Paris seine erste Kollektion für Saint Laurent präsentiert. Die Reaktionen auf die Wild-West-Looks des Franzosen sind gespalten. Karl der Große begeistert dagegen mit Altbewährtem.

Tanja Rest, Paris

Nach der Show, im irrlichternden Gängegewirr des Grand Palais, steht plötzlich Pierre Bergé da. Langjähriger Lebensgefährte von Yves Saint Laurent, Mitbegründer des Couturehauses, 81 Jahre ist er inzwischen alt. Hat ihm die Kollektion gefallen? "Oh ja, ich fand es schön, voller Energie", sagt der elegante Herr. Und: "Hedi hat die Codes von Saint Laurent respektiert."

Das kann schon mal nicht schaden - nicht über jeden seiner Kreativchefs hat sich Bergé freundlich geäußert. Der aktuelle Designer, über dem sich zu diesem Zeitpunkt bereits eine Wolke des Unheils zusammenbraut, wird die Rückendeckung brauchen können.

Paris, Modewoche. Es ist der zweite Teil des zum Duell hochgejazzten Machtkampfes zweier muskulöser Luxuskonzerne: Nach dem umjubelten Debüt von Raf Simons bei Dior (LVMH-Gruppe) zeigt Hedi Slimane für Saint Laurent (PPR-Gruppe) seine erste Damenkollektion überhaupt. Die Stimmungslage im Vorfeld diffizil zu nennen, wäre reine Höflichkeit.

Sturm der Entrüstung über Sitzordnung

Slimane hat die Umbenennung von "Yves Saint Laurent" in "Saint Laurent Paris" erzwungen. Er hat sein Atelier in Los Angeles installiert, woraufhin sich in Paris unzählige gezupfte Augenbrauen hoben. Einen regelrechten Sturm aber hat die Sitzordnung ausgelöst: Einige Modechefinnen sind von der ersten in die zweite Reihe verbannt worden oder müssen - Gipfel der Erniedrigung! - stehen.

Bitternis liegt in der Luft. Tenor: Soll er erst mal zeigen, was er draufhat, bevor er hier die Muskeln spielen lässt.

Breite Krempen, tiefe Einblicke: Hedi Slimane schickte die Models für Saint Laurent im freizügigen Western-Look über den Laufsteg. (Foto: dpa)

Allerdings hat die begehrteste Schau des Jahres dann eine Front Row, die man sich auf der Zunge zergehen lassen muss. Da sitzen: die Designer Marc Jacobs, Alber Elbaz, Alexander Wang, Azzedine Alaïa, Diane von Furstenberg, Riccardo Tisci und Vivienne Westwood. Première Dame Valérie Trierweiler ist da, auch Starfotograf Mario Testino, PPR-Chef François-Henri Pinault natürlich und seine Frau Salma Hayek mit Turmfrisur; daneben sitzt Kate Moss mit ihrem Rockstar-Gatten Jamie Hince. Die schöne Kate lässt schon mal den Fuß wippen, als ahne sie, was gleich kommt.

Lichtfinger zucken durch den Raum. Deckenpaneele kippen in die Schräge, Lautsprecherboxen fahren herab, der Beat setzt ein. It's Rock 'n' Roll, Baby! Gleich der erste Look trägt die Slimane-Signatur: superschmales Jackett, hautenge Hose, Herrenweste, alles in Schwarz. Es folgen wallende lange Kleider mit Ledergürtel, Rüschenhemden, nietenbesetzte Röcke, wehende Umhänge und Wildlederjacken mit Fransen; auf jedem Kopf sitzt ein breitkrempiger Filzhut.

Das Ganze ist eine sexy Mischung aus Jim Morrison, Flowerpower und Wildem Westen, und man sieht direkt vor sich, wie Slimane hinter der Bühne den Rauch von der Mündung seines Colts wegpustet: Da habt ihr euer Duell.

Oh yeah, der Anfang rockt. Aber dann, etwa ab der Hälfte des Defilees, passiert etwas. Vielmehr, es passiert: nichts. Es geht immer so weiter, noch mehr Lederröhren, noch mehr Wallekleider, ganz zum Schluss mischt Slimane noch etwas Farbe ins Schwarz, und das war's.

Hat es gereicht?

Lange zuvor hat Suzy Menkes von der Herald Tribune, Oberste Scharfrichterin der Mode, ihr Notizbuch zugeklappt und ein bisschen ins Leere gestarrt. Der Applaus ist mittelprächtig. Backstage heißt es zur Verblüffung aller, dass der Designer nicht mit Journalisten sprechen will.

Und nun? Es war cool, es hatte Glamour, es hatte auch Spuren der Saint-Laurent-DNA (Smokings, Boheme, das Outdoor-Thema). Aber hat es gereicht?

Modechefinnen bevorzugen Kollektionen, die komplizierter und technischer sind - also eine, wie sie Simons für Dior gezeigt hat. Das Publikum ist durchaus gespalten: Glücksschreie von Kate Moss auf der einen, Kopfschütteln auf der anderen Seite. Am nächsten Tag schreibt Suzy Menkes: "Hippie de luxe (aber nicht luxuriös genug)." Oh weh.

Der dritte französische Couture-Riese, Chanel, ist in dieser Saison etwas ins Abseits geraten. Nicht ganz von ungefähr. Es findet in der Mode gerade ein spürbarer Umbruch statt - viele Häuser haben eine neue Designer-Generation ins Atelier geholt, die der Marke ein jüngeres, moderneres Gesicht geben soll. Daneben droht Chanel nun ein wenig von dem Staub anzusetzen, den Karl Lagerfeld vor fast 30 Jahren weggewedelt hat. Das Tweedkostüm ist die Cashcow, aber kann es auch die Erneuerung bringen?

Prêt-à-Porter-Schauen in Paris
:Minimalismus plus X

Alles fad macht die Krise? Zum Glück nicht! Bei der Pariser Modewoche dominieren aufgeräumte Silhouetten und klare Linien - aber mit Twist. Nach dem gefeierten Debüt von Raf Simons bei Dior warten nun alle auf Hedi Slimanes Premiere bei Saint Laurent.

Tanja Rest, Paris

Wie sich herausstellt, verfügt Karl der Große über reichlich erneuerbare Energien: Der 200 Meter lange Laufsteg im Grand Palais ist mit Solarzellen gepflastert, darauf drehen sich nicht weniger als 13 große Windräder (Lagerfeld hat sicherheitshalber 20 bestellt - man weiß nie). Der Wow-Faktor bei Chanel wäre also mal wieder garantiert, außerdem eilt zuletzt auch noch Jennifer Lopez herein, ihre vierjährige Zwillingstochter Emme an der Hand.

Dann kommen bolerokurze Kastenjacken sowie die Etuikleider und Perlenknopf-Kostüme, die zur Ikonografie der Marke gehören. Es ist viel Farbe im Spiel, meist mit weißer Grundierung, die Röcke sind mädchenhaft kurz und leicht ausgestellt, dazu: wuchtige Sandalen mit Streifenabsatz.

Die Maschinerie brummt und brummt und brummt

Alles ist sehr poetisch, sehr feminin, handwerklich auf höchstem Niveau und wie immer wunderschön. Innovativ ist es nicht. Andererseits: Warum sollte Lagerfeld eine Maschinerie neu justieren, die brummt und brummt und brummt?

Vom milliardenschweren Modekonzern zu einem mittelgroßen Familienunternehmen ist es ein weiter Weg, aber man geht ihn gerne. Das St. Gallener Label Akris wird in dritter Generation von den Brüdern Albert und Peter Kriemler geführt, in diesem Jahr feiert das Haus seinen 90. Geburtstag. Bei der Party im Trocadero stürzen sich die Modeleute wie Hyänen aufs Buffet, Stammkundin Charlène von Monaco trinkt ausgiebig Champagner; hinter den Panoramafenstern glimmt spektakulär der Eiffelturm.

Zuvor ist vor der Kulisse eines echten Regenwaldes die Rekordzahl von 90 verschiedenen Outfits in Naturfarben vorbeidefiliert. Keine Retrospektive, eher eine Standortbestimmung: Akris steht auch diesmal für klare Linien, perfekte Verarbeitung und die Exzellenz der Stoffe - Rosshaar, Doublefaces, feinstes Leder und mikroskopische Perlenstickereien.

Marc Jacobs' Standort ist ungewiss, aber eine Kernidee lautet: Make it big! In den vergangenen Saisons hat er seine Louis-Vuitton-Mädchen auf Karussellpferde gesetzt, er hat sie (als Lederdominas mit Peitsche) im schmiedeeisernen Fahrstuhl auf den Laufsteg transportiert, und Kate Moss hat dort vor den Augen aller geraucht! Zuletzt ist die LV-Combo in einer Dampflok eingetroffen, und um das zu steigern, müsste Jacobs eigentlich den Airbus A380 auf den Champs-Élysées landen lassen. Aber vielleicht doch keine gute Idee, denn dort befindet sich das Stammhaus.

Stattdessen: vier verspiegelte Rolltreppen. Zwei fahren rauf, zwei fahren runter, unten ist der Laufsteg mit gelb-weißem Schachbrettmuster lackiert. Die ganze Kollektion basiert auf diesen drei Prinzipien: Spiegelung, Grafik, Schachbrettmuster. Dann kommen die Twiggy-Mädchen mit toupierter Frisur und weißem Haarreif immer paarweise die Rolltreppe heruntergefahren.

"Ihr wollt doch unterhalten werden, oder nicht?"

Oh ja, Jacobs ist noch längst nicht fertig mit seiner Sixties-Phase. Was er hier zeigt, ist Geometrie in ihrer reinsten Form: gerade Linien, rechte Winkel, Karo in wechselnden Pastelltönen und die typischen drei Rocklängen Mini, Midi und Maxi. Hübsch im süßlichen Sinne ist das nicht, aber kompromisslos und stark. Der Konzeptkünstler Daniel Buren, auf dessen Skulpturen die Kollektion basiert, hat an dieser Show mitgearbeitet.

Backstage trifft man Marc Jacobs in einer Traube von Fotografen an. Er hat das russische Topmodel Natalia Vodianova im Arm, die Zigarette im Mundwinkel und Spuren von korallenrotem Lippenstift an der Backe.

Ist es nicht anstrengend, sich immer neue Settings auszudenken? "Der Druck ist da, sicher", sagt er. "Letztes Mal hatten wir den Zug, das war romantisch, diesmal haben wir die Rolltreppen, das ist streng. Würden wir immer dasselbe machen, wäre es langweilig." Er stippt ein bisschen Asche auf den Boden, zeigt sein breitestes Jungslächeln. "Und ihr wollt doch unterhalten werden, oder nicht?"

© SZ vom 04.10.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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