Postkarten:Gruß aus der Ferne

Lesezeit: 3 Min.

(Foto: Shutterstock, Samuel Borges Photography)

Das Schöne an den Ferien ist der Abstand zum Alltag. Wenn es trotzdem eine Kurznachricht nach Hause sein soll – warum nicht auch mal analog? Ein Lob der Postkarte.

Von Ann-Kathrin Eckardt, Anne Goebel, Julia Rothhaas

Botschaften zum Sammeln

„Die Sonne scheint, das Hotel ist gut, das Essen schmeckt.“ Vielmehr passt seit der Erfindung der Postkarte nicht auf das rechteckige Stück Karton, vorderseitig bedruckt mit Meer, Stadt, Berg. 1869 noch als „unanständige Form der Mitteilung auf offenem Postblatt“ kritisiert, wurden „Correspondenzkarten“ in Deutschland erstmals 1870 versandt. Mit Erfolg. Am ersten Verkaufstag sollen gleich mehr als 45 000 Exemplare allein in Berlin über die Theke gegangen sein. Seitdem ist die Begeisterung zurückgegangen: Während 1998 noch 400 Millionen Mal „Schöne Grüße“ verschickt wurden, hat sich die Anzahl der Postkarten inzwischen mehr als halbiert. Ein Jammer, denn über eine petite poste hat sich noch jeder gefreut. Das gilt vor allem für diejenigen, die das Prinzip heute gar nicht mehr unbedingt kennen. Auftrag also an alle, die aktuell im Urlaub sind: Bitte einen Stapel Postkarten an sämtliche Kinder und Enkel daheim verschicken!

(Foto: semikolon)

Gesammelt werden die Karten idealerweise in einer schönen Box, beispielsweise von Semikolon, wo sie sich dank Registerkarten sortieren lassen nach Absender, Urlaubsorten, Jahren. Wer Gefallen am Schreiben findet, registriert sich bei postcrossing.de. Über die Plattform kann man zufällig ausgelosten Menschen Ansichtskarten senden. Seit der Gründung im Jahr 2005 wurden rund 68 Millionen Postkarten um die Welt geschickt.

Vaterliebe per Post

(Foto: Aus: Jurek Becker »Am Strand von Bochum ist allerhand los«, Postkarten, herausgegeben von Christine Becker, Suhrkamp Verlag 2019)

„Du olle Kichererbse“, „Alte Pudelmütze“ oder „Geliebte Telefonklingel“, „Wackelpudding“, „Mopsfrosch“ und „Wickelbaby“: Wenn Jurek Becker mal wieder eine Postkarte an seinen kleinen Sohn Jonathan schickte, ließ er seiner Fantasie schon bei der Anrede freien Lauf. Der Schriftsteller, mit Büchern wie „Jakob der Lügner“ oder „Bronsteins Kinder“ zu Weltruhm gelangt, war 1990 noch einmal Vater geworden. Becker war damals schon 52, häufig auf Lesereise und stets in Sorge, viel zu oft nicht bei Johnny zu sein. Also fuhr er immer mit einem Stapel Postkarten los, weil es unterwegs möglicherweise keine geeigneten Exemplare gab, und schickte sie seinem Sohn – insgesamt fast 130 Postkarten, von 1992 bis zu seinem frühen Krebstod 1997.

Vor einigen Jahren sind sie gesammelt als Buch erschienen („Lieber Johnny. Jurek Beckers Postkarten an seinen Sohn Jonathan“), später folgte eine erweiterte Sammlung von Beckers Postkarten bei Suhrkamp. Jede ist ein Kunstwerk für sich: Vorne sind oft Autos, Züge und Busse zu sehen (die liebte Johnny) oder Elefanten (die liebte Becker), hinten wahre Postkartenpoesie. Einmal schickte der Vater zum Beispiel Grüße aus Heidelberg: „Meine liebe Telefonklingel, stell Dir vor, ich bin in einer Stadt, da lachen die Autos und die Katzen bellen und die Hunde tuten, und die Feuerwehr macht Kikeriki. (...) Bis gleich mein Lieberlieber, Dein Papa“. Kann es ein schöneres Vermächtnis geben als 127-mal Vaterliebe im Postkartenformat?

Neuigkeiten aus dem Fass

(Foto: Julia Rothhaas)

Weißer Sand, türkisblaues Wasser, Palo-Santo-Bäume, Blaufußtölpel, Pinguine, all das gibt es auf Floreana. Die einzig menschgemachte Attraktion befindet sich im Norden der Insel, die zum Galápagos-Archipel gehört: das wohl ungewöhnlichste Postamt der Welt. Seit 1793 haben Fischer und Seefahrer ihre Briefe an die Lieben daheim in ein Holzfass gesteckt; mitgenommen und zugestellt wurde die Post dann von denjenigen, die gerade auf der Heimreise waren. Bis heute klappt dieser briefmarkenlose Service einwandfrei: Touristen lesen sich gegenseitig vor, an welchen Ort die Karten aus der Tonne gelangen sollen. Derjenige, der jeweils am nächsten wohnt, nimmt die entsprechende Karte mit und stellt sie im besten Fall persönlich zu, wie zu Zeiten der Seefahrer. Das funktioniert – sogar besser als die offizielle Post in Ecuador, die während der Pandemie in Konkurs ging.

Reise in die Vergangenheit

(Foto: Le Livre de Poche)

Kann eine Postkarte ein Leben verändern? Die Literatur ist ja voller schicksalhafter Briefe, die alles auf den Kopf stellen: Von der im wirklich letzten Moment verschickten Liebeserklärung bei Jane Austen über Skandal-Dossiers im Roman „Gefährliche Liebschaften“ bis zum Aufnahmeschreiben aus Hogwarts („Sehr geehrter Mr. Potter, wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können … “). Bei der Schriftstellerin Anne Berest ist es tatsächlich nur eine einfache, zunächst unscheinbare Carte postale, die in ihrem autobiografischen Buch am Anfang einer großen Reise steht: In die eigene Vergangenheit, zu den weitverzweigten, todesmutigen und tragischen Geschichten ihrer Familie bis zur Frage, die sie für ihre Tochter an die Zukunft stellt: Was bedeutet es heute, als Jüdin in Frankreich zu leben? „Die Postkarte“, auf Deutsch im Berlin-Verlag erschienen, stand monatelang auf den französischen Bestsellerlisten und bleibt drei Jahre nach der ersten Auflage hochaktuell.

Kontakt im Eiltempo

(Foto: mypostcard)

Nein, die Schnellste ist sie wahrlich nicht. Mit der Gattung des Briefs verwandt, ist die Postkarte sozusagen die Schnecke im Reich der Postsendungen. Ganze 83 Jahre war etwa die Karte eines jungen Wehrpflichtigen aus Brüssel unterwegs, der 1926 seine Eltern im 50 Kilometer entfernten Opbrakel darum bat, ihm möglichst schnell ein Hemd zu schicken.

Auch wenn es nicht immer ganz so lange dauert, in der Regel gilt auch heute noch das ungeschriebene Postkartengesetz: Der Schreiber kommt vor der Karte in der Heimat an – es sei denn, man verwendet eine Postkarten-App wie Mypostcard oder Cewe Postcard. Damit geht es nämlich deutlich schneller: Am Handy ein Layout wählen und mit eigenen Urlaubsfotos bestücken, Text diktieren, Adresse aus der Kontaktliste übertragen und digital abschicken. Egal, ob aus Südafrika oder Italien: In der Regel nach zwei Tagen halten die Liebsten die echte Karte in Händen. Und können dank Computerschreibschrift sogar den Text lesen.

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