Portrait Tommy Hilfiger:Der Tommy-Moment

Gigi Hadid und Modedesigner Tommy Hilfiger bei der New York Fashion Week

Ein Tommy-Moment: Mit dem Supermodel Gigi Hadid und einer imposanten Show eroberte sich Hilfiger die Aufmerksamkeit der Fashion-Elite zurück.

(Foto: mauritius images)

"Ich schicke keine Kunst auf den Laufsteg", sagt Tommy Hilfiger über seine Entwürfe. Seit mehr als 30 Jahren übersetzt der Designer den amerikanischen Traum in tragbare Mode. Heute ist er erfolgreicher denn je.

Von Dennis Braatz

Das Rezept für eine maximal erfolgreiche Modenschau geht momentan so: Man engagiere Gigi Hadid, das erfolgreichste Model der Gegenwart, und lasse die Kollektion von ihr co-designen. Dann baue man als Location einen Jahrmarkt aus Zuckerwattebuden und Fahrgeschäften auf das New Yorker Pier 16, hänge darüber ein Geflecht aus Glühbirnengirlanden und lade 2000 Journalisten, Influencer, Kunden und Stars ein, schicke Gigi nach Einbruch der Dunkelheit in Lederhose, Zirkusjacke und blauem Sweatshirt über den hölzernen Laufsteg und verkaufe diese Looks direkt im Anschluss.

Wie Tommy Hilfiger Anfang September nach seiner Show vors Publikum hüpfte und tänzelte, muss er die Schlagzeilen vom nächsten Tag schon vor sich gesehen haben. Sie reichten von "Gigi Hadid verhilft Tommy Hilfiger zu neuer Coolness" bis hin zu "Tommy is back". Nun ist es gar nicht so, dass seine Marke in den letzten Jahren schlecht performt hätte. Im Gegenteil: 2015 machte sie einen Umsatz von 6,5 Milliarden Dollar, bei 1600 Stores weltweit. Tommy Hilfiger war nur eben lange Zeit vom Mode-Radar verschwunden und stilistisch wenig relevant.

Das Konzept ist aufgegangen

Sein blau-weiß-rotes Logo ist aktuell wieder fast so angesagt wie zuletzt in den Neunzigerjahren (das Jahrzehnt feiert gerade sowieso ein Mega-Comeback). Ständig poppt es in den sozialen Kanälen auf. In Vintage-Boutiquen erzielen Originalteile von damals immer höhere Preise. Das neue "See now, buy now"-Konzept ist für Hilfiger, im Vergleich zu vielen anderen Designern (darunter Burberry, Tom Ford und Ralph Lauren) am besten aufgegangen. Als wäre das noch nicht genug, erscheinen nächste Woche seine Memoiren, co-geschrieben von einem Journalisten, dessen Spezialität die Biografie-Bestseller von Prominenten sind.

Auf die "Warum genau jetzt?"-Frage antwortet Hilfiger: "Es ist der beste Zeitpunkt, bevor ich womöglich noch anfange, Dinge zu vergessen. Ich werde älter, und man weiß ja nie." Der 65-Jährige ist drei Wochen nach seiner großen Show in Zürich unterwegs, als Sponsor des dortigen Filmfestivals (Hilfiger hat Schweizer Wurzeln, sein CEO ist Schweizer). Zwischendurch gibt er im ersten Stock seines Stores Interviews.

Unten kaufen die Leute ein, oben lehnt sich der Boss auf einem Sofa zurück. Er sieht müde aus, aber zufrieden, spricht leise und gibt zu, ein bisschen Jetlag zu haben. Er trägt ein weißes Hemd, mehr casual als Business, und dazu sandfarbene Chinos. Fehlt eigentlich nur noch das dunkelblaue Sakko mit Goldknöpfen, und der typische Hilfiger-Look für eine Bootsfahrt an der East Coast oder den Flug im Privatjet wäre perfekt.

Mode von Tommy Hilfiger ist wie Tommy Hilfiger: Sie verkörpert, irgendwo zwischen sportlich und klassisch, die Sehnsucht nach sozialem Aufstieg und Upper Class, es ist der amerikanische Traum im Kleiderschrank. Weshalb die Biografie auch den etwas uninspirierten Titel "American Dreamer" (Ballantine Books) trägt.

Er sah aus wie ein Hippie, dachte wie ein Geschäftsmann

Auf über 300 Seiten erzählt sie hauptsächlich davon, wie oft Hilfiger in seiner Karriere Rückschläge hat hinnehmen und sich hocharbeiten müssen. Schon gleich zu Beginn, als er mit Freunden in seiner Heimatstadt Elmira 1969 den Hippie-Shop People's Place gründete. Sie verkauften, was es sonst nur im über 200 Meilen entfernten New York City gab: weite Jeans, kurze Shirts, Räucherkerzen. "Ich hatte lange Haare und trug Schlaghosen", erinnert er sich. "Ich sah aus wie ein Hippie, aber habe versucht, wie ein Geschäftsmann zu denken. Für Woodstock hatte ich nicht das Geld."

Hilfiger greift zu einem Stapel mitgebrachter Bücher und schlägt eine Seite auf, ohne nach ihr suchen zu müssen. Sie zeigt den ersten Zeitungsartikel über ihn und den Shop. Stolz wirkt er nicht. Der Erfolg und das Geld kamen so schnell, wie sie gingen: Hilfiger und seine Kollegen bezahlten einen Porsche 911 in bar, charterten ein Flugzeug, um zu einem Konzert von Stevie Wonder zu fliegen, und eine Limousine für den Rückweg. Schon war Hilfiger wieder bankrott, mit 25 Jahren. Der Shop schloss. Er sagt: "Ich habe gelernt, mich aufs Business konzentrieren zu müssen."

Die freimütigen Schilderungen solcher Niederlagen sind durchaus unterhaltsam, vor allem angesichts der makellosen Legendenhaftigkeit, die Tommy Hilfiger heute verkörpert. Er ist ja ein Meister des Show-Offs, was er kann und hat, das hat er schon immer gern gezeigt, etwa in Form von Homestories über seine irren Wohnsitze.

Sein Penthouse im Plaza-Hotel mit Terrasse überm Central Park wurde zuletzt auf knapp 70 Millionen Dollar geschätzt. Die Villa in Miami hat eine Wohnfläche von 1300 Quadratmetern und beherbergt eine opulente Kunstsammlung. Seine Schauen sind Leistungsschauen. Vor seinem New Yorker Jahrmarkt baute er einen karibischen Strand nach, in den Jahren davor ein Football-Feld oder eine Berglandschaft mit schneebedeckten Gipfeln.

Acht Geschwister und ein brutaler Vater

Designer Tommy Hilfiger arrives for the 2016 Princess Grace Awards Gala in the Manhattan borough of New York

Hilfiger hatte acht Geschwister und war nie gut in der Schule, er schuf sich Traumwelten, in denen er Footballspieler war.

(Foto: REUTERS)

Warum er so ehrgeizig ist, darauf geben Hilfiger und sein Buch dieselbe Antwort: seine Kindheit. Hilfiger hatte acht Geschwister und war nie gut in der Schule, er schuf sich Traumwelten, in denen er Footballspieler war. Das war schon länger bekannt. Weniger dagegen, dass ihn sein Vater Richard einmal die Woche mit einem Gürtel auf den Rücken schlug. Sechs Jahre lang, manchmal, bis er blutete. Darauf angesprochen, wird Hilfiger etwas schmallippig: "Mein Vater hatte sehr hohe Erwartungen an mich, das hat mich dazu gebracht, so hart an meinem Erfolg zu arbeiten."

Das Buch thematisiert das weitere Verhältnis der beiden kaum. Es ist aber bekannt, dass Hilfiger seinen ersten Sohn nach ihm benannt hat. Ob er jemals mit seinem Vater darüber gesprochen hat? "Klar, aber für viele Väter in den Fünfzigern und Sechzigern war dieser Umgang mit ihren Kindern üblich. Er hat sich dafür entschuldigt. Ich habe ihm vergeben."

Erfolg als einzige Option

Hilfiger setzte von Anfang an alles auf den Erfolg, das zeigt schon die erste Werbekampagne. Sie wurde 1985 geschaltet, als er nach mehreren Versuchen als Modemacher und einem Job-Angebot von Calvin Klein endlich sein eigenes Label starten konnte.

Headline der Anzeige damals: "Die vier großen amerikanischen Designer für Männer:", darunter in gekritzelter Handschrift die Namen Ralph Lauren, Perry Ellis, Calvin Klein und Tommy Hilfiger. Die drei anderen waren da längst Stars, Hilfiger noch völlig unbekannt. Die Presse überschlug sich. "Damals fand ich das übertrieben, aber es hat funktioniert. Heute bin ich froh, dass ich es gemacht habe."

Danach ging es steil bergauf. Die Vergleiche mit Ralph Lauren kamen früh. Der eine fühlte sich kopiert, der andere frischer, jünger, cooler; die beiden sind bis heute ein bisschen wie Microsoft und Apple. Weil der Rapper Snoop Dogg 1994 in der TV-Show "Saturday Night Life" ein Rugby-Shirt mit der Aufschrift "Tommy" trug, wurde Hilfiger über Nacht zum Statussymbol einer ganzen Jugendkultur. Alle trugen seine Denim-Baggies und Logo-Sweatshirts.

Anfang der Nullerjahre aber wehte der Zeitgeist woanders her. Die Marke Tommy Hilfiger war nicht mehr cool. 2006 verkaufte ihr Gründer für 1,6 Milliarden Dollar an ein britisches Unternehmen. Vier Jahre später erwarb es der amerikanische PVH-Konzern für drei Milliarden Dollar. Hilfiger blieb immer an der Kreativspitze.

Dass man in der Modewelt jetzt wieder von einem Tommy-Moment spricht, verdankt er letztlich auch einem glücklichen Zufall. Als vor einem Jahr die "See now, buy now"-Bewegung aufkam, monierten Kritiker, dass die Kreativität vieler Designer darunter leiden werde, wenn sie nur noch machen, was sich gut direkt verkaufen lässt. Stimmt auch. Tommy Hilfiger hat sich mit seinen Entwürfen aber ohnehin nie verkünstelt. Sie sind so tragbar wie alles, was die Leute schon im Schrank haben. Oder wie er sagt: "Ich bin auch kreativ und innovativ. Aber ich schicke keine Kunst auf den Laufsteg."

Der erste, der Gigi geholt hat

Vor allem ist Hilfiger schlau und kann schnell umschalten. Er erkennt sehr genau, wann in diesem Business die Zeit für ein paar notwendige Anpassungen gekommen ist. Auf die Idee, seinen Namen aus dem Logo zu streichen, kam er, weil er es bei Nike gesehen hatte. Oder eben seine schnelle Adaption der "See now, buy now"-Idee, die er, wie er heute sagt, selbst schon lange im Kopf hatte.

Der Erste war er trotzdem nicht. Dafür aber der Erste, der Gigi geholt hat: "Mit einem Model hat noch niemand so eine Laufsteg-Kollektion gemacht. Aber Gigi ist mehr als ein Model. Sie ist ein smartes, hübsches, bodenständiges Mädchen aus Südkalifornien." Er denkt noch zwei Sekunden nach. "Mit einer enormen Zahl an Instagram-Followern." (24,5 Millionen).

Die nächste Kollektion mit ihr ist schon beschlossen. Auf seiner Homepage können Fans derzeit abstimmen, welche Kleidungsstücke auf der Show im Februar gezeigt werden. Jugendliche Kundennähe bei gleichzeitiger Wahrung der amerikanischen Upperclass-DNA, das ist vielleicht die Hilfiger-Formel zum Ende des Jahres 2016. Seine Biografie dürfte damit noch ein paar Kapitel mehr bekommen.

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