Süddeutsche Zeitung

Portrait:Kölsche Jung

Alexandre Arnault kennt sich aus mit Luxus-Taschen, Luxus-Champagner und Luxus-Cognac: Jetzt will der 24-jährige Franzose die Rimowa-Koffer der Ossendorfer Familie Morszeck perfektionieren.

Von Max Scharnigg

Einmal so ungeniert laut sein dürfen wie die Gruppe chinesischer Touristen im Kofferladen! Sie lachen, poltern mit den Koffern in den Regalen, klappern und rollen damit herum und achten nicht auf den schmalen, großen Mann, der ihnen lächelnd dabei zusieht. Dabei wäre er ein Selfie wert.

Nicht nur, weil dieser Alexandre Arnault der neue Chef der Firma Rimowa ist, deren Produkte sie hier so genüsslich prüfen. Er ist außerdem Sohn der legendären Arnault-Familie, zu deren Konzern viele jener Marken gehören, für die Chinesen ins Flugzeug Richtung Europa steigen. Es ist also sozusagen der Prinz von Louis Vuitton, Bulgari, Dior, Moët & Co., der hier neben ihnen steht.

Aber den Luxusmogul sieht man Alexandre Arnault nicht an. Er wirkt jünger als 24 Jahre und hat den frisch gewaschenen Charme eines Privatschul-Boys mit geröteten Wangen. Nicht zuletzt deshalb war die Personalie, die Anfang des Jahres durch die Spalten der Wirtschaftspresse ging, eine mittlere Kuriosität: Der Luxuskonzern LVMH, Paris, erwirbt die Mehrheit am deutschen Traditionsbetrieb Rimowa, Köln-Ossendorf - und setzt postwendend den eigenen Sprössling als Co-CEO ein. Dazu gab es ein Foto für die Presse, auf dem Rimowa-Chef Dieter Morszeck, Jahrgang 1953 und trutziger Inbegriff eines deutschen Familienunternehmers, einen symbolischen Louis-Vuitton-Koffer aus der Hand eines hochgewachsenen Knaben empfängt. Eines Knaben, dessen Vater 80 Prozent der Unternehmensanteile gekauft und der jetzt gemeinsam mit Morszeck das Sagen hat.

Rimowa-Koffer statt Gepäck von Louis-Vuitton: So rebellieren Superreiche in der Pubertät

"An die erste Woche in Ossendorf erinnere ich mich gut, es war im Januar, hat die ganze Zeit geregnet und war sehr kalt", sagt Alexandre Arnault über die Firmenübernahme. Tatsächlich hat das Gewerbegebiet dort auch ohne kalten Regen auf den ersten Blick wenig mit dem Glamour einer Familie zu tun, die ein Imperium aus Champagnerkellern, Manufakturen und Luxusboutiquen verwaltet. Glaubt man Alexandre Arnault, dann war das erste LVMH-Engagement bei einer deutschen Marke aber das Ergebnis einer kleinen Revolte des Sohns gegen den Vater. Der Sprössling ging nämlich schon früh privat mit einem Rimowa-Koffer auf Reisen und stellte sich damit gegen den Rest der Milliardärsfamilie, die zur LV-Hausmarke griff. Louis Vuitton vs. Rimowa, so sieht Pubertäts-Rebellion bei Superreichen aus. "Ich fand, es war eigentlich der erste Koffer, der auf Designebene wirklich durchdacht war, innen und außen, das hat mich angesprochen", sagt Arnault - und schrieb vor einigen Jahren einen Brief mit ungefähr diesem Inhalt nach Ossendorf.

Dort stand Dieter Morszeck gerade vor einem Luxusproblem. Er führte ein mittelständisches Unternehmen in dritter Generation so erfolgreich, dass es nahezu jedes Jahr einen neuen Umsatzrekord vermeldete. Ein Haus zudem, das auf eine Erfinder-Biographie zurückblicken konnte, in der drei Männer das gleiche Produkt immer wieder neu erfanden. Da ist der Großvater, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts eindrucksvolle Fichtenholzkoffer baute. Auf ihn folgte Richard Morszeck (von seinen Initialen leitet sich der Markenname ab), der um 1950 mit Flugzeugaluminium experimentierte und nach dem Vorbild der bekannten Junkers-Flugzeuge die ikonischen Rillenkoffer entwickelte. Und da ist Dieter Morszeck, der pünktlich zur Jahrtausendwende die beste Idee seines Berufslebens hatte.

Die Rillen blieben, aber er stanzte sie nicht mehr in Metall, sondern in Polycarbonat, einen schlagfesten Kunststoff, leichter als Aluminium und besser zu färben. Diese Erfindung katapultierte die Kölner auf dem Markt weit nach vorne und kam gerade richtig zum weltweiten Reisefieber mit Billigflügen und Internetbuchungen. Rimowa eröffnete Kofferfabriken in Brasilien und Kanada, um dem Hartschalen-Hype gerecht zu werden. Die Konkurrenz beeilte sich nachzuziehen und heute ist Polycarbonat der Standard in der Gepäck-Branche.

In Köln-Ossendorf entstehen trotzdem jeden Tag in Handarbeit ein paar hundert Alukoffer, sie sind immer noch das Markenzeichen des Unternehmens. Und wer am Check-in seine Weltläufigkeit beweisen möchte, setzt auf ein besonders verbeultes Exemplar.

"Ich habe mitbekommen, dass zu Beginn einige Mitarbeiter eher zurückhaltend waren."

Das Unternehmen war also hundert Jahre lang prächtig gediehen, als sich Dieter Morszeck die Frage stellte, wie es weitergehen sollte. Und da kam der begeisterte Brief des Arnault-Sprösslings offenbar gerade recht. "Vor drei Jahren haben wir uns zum ersten Mal getroffen. Herr Morszeck kam nach Frankreich, hat unsere Fabriken und Weingüter besucht, aber wir haben nie über eine konkrete Zusammenarbeit gesprochen. Eines Tages sagte er, dass er über die Zukunft und einen Geschäftspartner nachdenke und fand, dass wir die besten Partner wären." So schildert Alexandre Arnault die Anbahnung der deutsch-französischen Kofferübergabe, an deren Ende sein Schreibtisch in Köln stand. "Ich habe mitbekommen, dass zu Beginn einige Mitarbeiter bei Rimowa eher zurückhaltend waren", sagt er freundlich. "Klar, da kommt eine große Gruppe aus Frankreich, über die viele nichts Genaues wussten, und übernimmt das Familienunternehmen. Was wir aber von Anfang an klargemacht haben: Wir möchten nicht nur, dass es die Firma weiterhin gibt, sondern dass es sie noch sehr lange gibt."

Die Rimowa-Weichen für die Zukunft zu stellen, das ist die Aufgabe, mit der Papa Bernard Arnault ihn nach Deutschland entsandte, erzählt Alexandre, selbst studierter Ingenieur und so routiniert und wohlerzogen, als wäre er seit zwanzig Jahren Chef. Visionen sind aber gar nicht so einfach bei einem Unternehmen, das im Grunde nur ein einziges und schon ziemlich vollkommenes Produkt herstellt. Dieter Morszeck flog vor einigen Jahren noch eigenhändig mit einer restaurierten Junkers Ju 52 in die USA, um den Pioniergeist der Marke zu unterstreichen. Unter Arnaults Regie setzt man jetzt eher auf strahlkräftigen Input.

Botschaft: Außen die alten Rillen, innen neuer Glamour

Mit Rocky Jacob etwa hat Rimowa einen Produktdesigner vom kalifornischen Smarthome-Start-up Nest abgeworben. Der smarte Koffer, der sich selbst eincheckt und ortet, ist ja schon Teil des Rimowa-Programms. Außerdem hat mit Hector Muelas ein ehemaliger Herausgeber des coolen Vice-Magazins das Amt des Brand Officers übernommen. Hip-ness-Alarm in Köln-Ossendorf!

Ein Hinweis darauf, wie der Luxuskonzern die Marke aufladen möchte, ist auch das Geschäft in der Münchener Dienerstraße: 50 Meter vom Marienplatz entfernt und in der Aufmachung einer eleganten Boutique, nur eben mit Koffern. "An diesen Plätzen gab es früher die Chanels, Vuittons, Hermès dieser Welt. Heute sind es Apple, Aesop und eben Rimowa", sagt der junge Chef zu dieser Strategie. Botschaft: außen die alten Rillen, innen neuer Glamour. Die Chinesen hinter ihm wissen das natürlich schon längst.

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Quelle:
SZ vom 25.11.2017
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