Portrait:Ignorieren zwecklos: Hier kommt Philipp Plein

Philipp Plein

"Besser geht's nicht": Philipp Plein auf dem Balkon seines Büros in New York.

(Foto: Roderick Aichinger)

Die Branche hält ihn für ein Großmaul, das niveaulose Mode für Neureiche macht. Doch der Erfolg gibt ihm recht. Ein Tag in New York mit dem deutschen Designer.

Von Tanja Rest

In den teuersten Etagen der Fifth Avenue liegt der Quadratmeterpreis aktuell bei 50 000 Dollar, aber unten auf der Straße ist der Verkehr ein Demokrat geblieben: Egal, ob du in einem gelben Taxi oder einem schwarzen Rolls Royce Wraith sitzt, er behandelt alle gleich schlecht. Philipp Plein am Steuer des Rolls kommt der Stau nicht unrecht, er kann jetzt auf seinem Handy rumwischen und das Foto rüberreichen. "Schau mal, ich in New York, mit 14. Wir haben im miesesten Hotel gewohnt, weil wir kein Geld hatten damals."

Man sieht: die frühen Neunziger. Jeansjacke, weißes Poloshirt, darüber ein überwältigtes Jungsgesicht, Wind in den Haaren. Süß. "Nein, nein! Schau mal, wo ich da stehe!" Er zeigt auf das Foto und dann auf einen Punkt hinter der Windschutzscheibe, wo sich die Fifth Avenue Richtung Downtown ausklinkt.

Ein paar Tausend Euro für eine Bikerjacke

Man sieht: zwei Mal exakt dieselbe Häuserfront. Südostecke Central Park, rechts davon das Park Plaza, dahinter das Luxuskaufhaus Bergdorf Goodman. "Und hier oben", abermaliges Tippen aufs Foto, "ist jetzt mein Büro. Zwei Etagen, Terrasse, Blick über den Park. Besser geht's nicht." Er schaut einen strahlend an, komm schon: Hier stand der kleine Philipp und hatte keinen Schimmer, was für ein Kerl der große Plein mal werden würde. Ist das irre?

Es ist eine irre Karriere. Von der man in Deutschland nicht viel mitbekommen hat, kann sein, weil sich seine Kleider hierzulande nicht so gut verkaufen, kann sein, weil sich sein Typ hierzulande nicht so gut verkauft. Richtig ist: Philipp Plein, Arztsohn, geboren in München, erster Shop in der Diskothek P1, ist der erfolgreichste deutsche Modedesigner der Gegenwart, mal abgesehen von Karl Lagerfeld, aber der ist ja nur angestellt. Plein ist Unternehmer.

Aus 20 000 D-Mark Startkapital von den Großeltern hat er erst eine Möbelfirma und dann, 2004, ein boomendes Modelabel gemacht. Heute hat er einen Firmensitz in Lugano, ein Büro in Hongkong, ein Townhouse in Manhattan und eine Villa in den Hügeln von Cannes, die er "La Jungle du Roi" getauft hat. In diesem Jahr wird er sieben neue Stores eröffnen, das macht dann fast hundert weltweit. Mögen die Umsätze in der Luxusmode stagnieren, seiner weist steil nach oben: 225 Millionen Euro werden es 2016 sein, mehr als Roberto Cavalli. Er ist jetzt 38. "Noch sind wir ein Start-up", sagt Plein, "aber in fünf Jahren machen wir eine Milliarde."

Beim Transfer am Mailänder Flughafen ist man an einem Plakat vorbeigelaufen, auf dem die Standorte der "Philipp Plein"-Stores gelistet waren, und sie erzählen schon die halbe Geschichte. Alle Geldmetropolen sind dabei (und dort nur die feinsten Adressen), aber eben auch Ibiza, Marbella, Monte Carlo, Porto Cervo, St. Moritz. Die Spielplätze des Jetset. Wo die Leute ein paar Tausend Euro hinblättern für eine nietengespickte Bikerjacke mit "Philipp Plein"-Schriftzug oder für einen Hoodie mit Swarovski-Totenschädel und "Fuck U"-Print.

Plein sagt, er entwerfe Kleider für Menschen, die bei Cavalli, Versace und Dolce & Gabbana nicht mehr fündig werden, weil es denen jetzt um Akzeptanz gehe. "Und wenn du auch nur anfängst, darüber nachzudenken, wie du akzeptiert werden könntest, weißt du was? Dann bist du nicht mehr du selbst."

Es gibt in der Branche sehr, sehr viele Leute, die Plein für ein dahergelaufenes Großmaul halten, das niveaulose Mode für Neureiche macht. Aber zu ihrer Verblüffung: Ihn ignorieren hilft nicht mehr. Er veranstaltet die spektakulärsten Fashion Shows, er feiert die dicksten Partys, er verpflichtet die grellsten Stars und teuersten Rapper. "The unapologetic king of bling", schrieb die New York Times.

Wozu das alles, dieses permanente Gestrampel und Getrommele? Geht es ihm um eine modische Vision, um noch mehr Kohle oder am Ende eben doch um - Akzeptanz? Während man mit Plein kreuz und quer durch Manhattan eilt, fällt einem Fitzgeralds großer Gatsby ein. Der gigantische Partys veranstaltet für Leute, die ihn von Grund auf verachten - und all das nur, damit die mit altem Geld verheiratete Geliebte auf der anderen Seite der Bucht ihn bemerkt. Es ist eine hochtrabende Analogie, aber einmal da, kriegt man sie nicht mehr aus dem Kopf.

Erster Eindruck: Vollstrom. Zweiter: Nervosität

Der Tag beginnt in Pleins Townhouse, Upper East Side, drei Blocks vom Central Park entfernt. Die Entourage, bestehend aus dem Manager fürs US-Geschäft, zwei PR-Frauen, seiner Freundin und einem Kumpel aus Deutschland, der gerade bei ihm wohnt, ist versammelt und bester Dinge. Vor zwei Tagen hat man in den Hamptons eine Party gefeiert, nun hat das Wall Street Journal eine halbe Seite gebracht. Fünf Fotos! Models, Schauspielerinnen und die drei Meter hohe Torte mit Glitzer-Totenkopf. Beifällige Kommentare, dann kommt Plein die Treppe runter und bittet nach oben.

Auf einem Sims im Foyer stehen zwei gerahmte Fotos: er und Naomi Campbell, er und Snoop Dogg. Im Wohnzimmer dann ein ausladender Marmorkamin, das Drumherum - Sofa, Tisch, Tapete, Zeug - ist ostentativ Design. An der Decke hängen acht antike Kronleuchter, sie sind trotz der hereinflutenden Mittagssonne alle angeknipst.

Mode von Philipp Plein

Seine Mode verkauft sich überall dort gut, wo der Jetset daheim ist: Philipp Plein.

(Foto: PR)

Erster Eindruck von ihm: Vollstrom. Zweiter Eindruck, seltsamerweise: Nervosität. Er will erst mal wissen, wer sein Gegenüber ist, hört dann aber nicht zu. Knattert stattdessen die Features seines Hauses herunter wie fremdprogrammiert. Sieben Etagen, erworben vor einem Jahr für 20 Millionen Dollar, Einrichtung und Design zu einhundert Prozent nach seinen Vorgaben. Sechs Kamine, jeder aus einem anderen Marmor, Weinkeller, Fitnessraum, diverse Terrassen.

Das Haus gegenüber im Tudorstil gehört Sean Connery, auf der Treppe nebenan hat Audrey Hepburn eine Szene von "Frühstück bei Tiffany" gedreht, aber das Verrückteste ist: "Die Hausnummer. 162, der 16. Februar. Mein Geburtstag."

Inzwischen hat man Zeit, ihn anzuschauen. Er sieht auf eine Art gut aus, wie die Männer auf dem Titel von Men's Health gut aussehen. Ein bisschen zu gebräunt, ein bisschen zu glatt, der Körper erkennbar durchdefiniert; Plein macht täglich Work-out, komme, was wolle. Er trägt ausschließlich seine eigenen Designs, an diesem Tag ein T-Shirt mit extratiefem V-Ausschnitt, Jogginghose und weiße Sneakers, auf denen eine verspiegelte "78" prangt, sein Jahrgang.

Auf seinem rechten Unterarm steht "Philipp Plein", auf dem linken "Veni, vidi, vici", das jüngste Tattoo zeigt ein Wappen über dem Schriftzug "Falconview" und symbolisiert seine strahlendste Errungenschaft bis dato: 3000 Quadratmeter Grund in Bel Air, Los Angeles, die einmal Howard Hughes gehört haben. Da baut er jetzt ein Chateau. "Ich kann nicht schlafen, wenn ich daran denke", sagt Plein. "Genau das ist meine größte Stärke: dass ich mega-hyper werde, wenn mich etwas packt."

Der Mann ist eine Nähe-Vermeidungs-Maschine

Nun könnte eigentlich das Interview beginnen. Aber es wird kein Interview geben, nicht mit ihm. Philipp Plein, der auf der Mailänder Modewoche brennende Monstertrucks über Limousinen rollen lässt, der mehrmals täglich Fotos seines hell auflodernden Lebens bei Instagram postet, auf denen er nie alleine ist, immer eine Traube aus Mitarbeitern, Models und Bad Boys um ihn rum, dieser Mann ist, wie sich herausstellt, eine gut geölte Nähe-Vermeidungs-Maschine.

Wo will er hin? Ist ihm wirklich egal, was sie in der Branche über ihn sagen? Er hebt an zu einem Monolog, der weit und immer weiter weg führt von ihm. Es geht um Zeit und Träume, die das Wertvollste seien überhaupt, es geht um "die Menschen", die in ein Schema passen wollten, dem Materiellen nachjagten und dabei versäumten, ihren Traum zu leben, so traurig, so profan. Und so weiter und so weiter. Unmöglich, ihn zu unterbrechen - "nein, lass mich das noch zu Ende sagen" -, nach 20 Minuten gibt man auf. Weitere 20 Minuten später kommt die Hausangestellte und verkündet, dass die oberen Stockwerke gereinigt seien. Er federt hoch. "Rundgang?"

Hinterher soll auf der Treppe eigentlich das Foto gemacht werden. Aber Plein zögert. Er hat unterwegs Bedenken bekommen. "Nee, Leute, das könnte angeberisch wirken hier drin. Machen wir das Bild doch im Office. Blick auf den Central Park, das kommt super." Der Fotograf schraubt sein Equipment wieder auseinander und sagt sehr laut nichts.

Dann springen alle in den Rolls und fahren erst mal zu "Cipriani" zum Lunch. Unterwegs erfährt Plein, dass Fat Boy (der Rapper) später im Townhouse vorbeischauen will, dass Steven (Klein, der Fotograf) soeben Lara Stone (das Model) in Plein-Klamotten geshootet hat und dass Franca (Sozzani, Chefin der italienischen Vogue) daraus ein dreiteiliges Cover machen will. Wenig später sitzt man zu siebt bei "Cipriani". Plein sagt, dass alle den Bellini und den Cheesecake probieren müssen und bestellt selbst Wasser und Salat. Er ist jetzt prächtiger Stimmung.

Inzwischen hat man seinen Mitarbeitern ein paar Sätze über ihn abgeluchst. Ein Augenrollen über die großen Reden und fiebrigen Manöver des Chefs schwingt mit. Aber sie sprechen auch mit einer Wärme und Hochachtung von ihm, die echt klingt.

"Wir sind Working Class Heroes", doziert Plein, während er sorgfältig Salatblätter in den Mund gabelt und seiner Freundin Andreea, einem rumänischen Model, den Arm tätschelt. "Unabhängig. Konservativ. Wie ich meine Firma kontrolliere? Indem ich meine Rechnungen bezahle!" Die Blumen für den Shop in Zhengzhou, der Champagner für die Party in Cannes, die Limousine, die Rita Ora vom Flughafen abholt - Rechnungen in Höhe von drei Millionen Euro die Woche: Er zeichne jede einzeln ab. Wenn etwas nicht stimme, rufe er an.

"Und keine Schulden bei der Bank. Mein Vater hat mir mal gesagt: Kaufe nie etwas, das du nicht cash bezahlen kannst. Das war der beste Rat meines Lebens." Aus einem Impuls heraus fragt man, wie seine Kindheit war, und erhält hier tatsächlich eine Antwort. Er redet sachlich, kein Augenkontakt, kein Kommentar erwünscht. Eine Antwort wie ein Stopp-Schild.

Immer ein Outsider

Der Vater, ein Arzt, war Trinker und prügelte die Mutter im Suff. Bei der Scheidung war Plein drei Jahre alt. Geldprobleme, diverse Umzüge, immer neue Schulen. Wenn er bei Freunden übernachtete, hatte er Angst, die Mutter werde nicht wiederkommen. Dann der neue Mann, ein Herzchirurg, den er heute Vater nennt. Noch mehr Umzüge.

"Und du bist immer das New Kid on the Block. Sommerferien vorbei, du kommst wieder in eine neue Klasse, die Kinder dort kennen sich seit Jahren und starren dich an. Scheißegal, wie intelligent und nett du bist: Du bist der Outsider. Und genau so ist das in der Mode auch." Dann geht es rüber in sein Büro. Er hat sich jetzt ein Sakko übergestreift, blickt fürs Foto seriös von der Terrasse, ein Mann und seine Stadt.

Drinnen vorm Spiegel erneuert seine Freundin inzwischen ihr Make-up. Sie ist auf eine Art schön, wie ein Pin-up schön ist, also Brüste und Lippen und gletschergrüne Augen und Haare bis zum Steiß. Wie ist das Leben an seiner Seite, Chateau, Privatjet und so? "Aufregend", sagt sie. Als sie den Lipgloss aufträgt, sieht man an der Innenseite des Handgelenks die Tätowierung. Es ist ein Barcode, darunter steht sein Name.

Das ist der Moment, in dem man begreift, dass einer wie Plein nur in einem Zeichensystem existieren kann, das immer und immer wieder auf ihn selbst verweist. Als könnte er sonst verschwinden, sich auflösen. Einfach so. Gatsby brennt ein Feuerwerk ab, Plein pustet mit Kawumm seinen Namen in den Himmel, auf dass er weithin sichtbar Zeugnis ablege von seiner Existenz. Seht alle her, ICH BIN DA.

Downtown. Abend. An der langen Tafel des Restaurants "Indochine" ertönt vom Platz nebenan ein trockenes Lachen: "Typisch, 30 Gäste sitzen hier, und Philipp fehlt!" Er stellt sich vor als Mauro Porcini, Chief Design Officer von PepsiCo. Dass Beyoncé beim Super Bowl gesungen hat, war maßgeblich sein Verdienst, mit Plein ist er seit Jahren befreundet. "Er ist ein feiner Junge", sagt er, "ein bisschen schüchtern vielleicht. Kein Partytier. Kommt spät, geht früh, trinkt nur Wasser. Vielleicht mal ein Glas Champagner, wenn's hoch kommt."

Eine Stunde später trifft Plein ein, im Gesicht ein Siegerlächeln, er hat den Fotografen Steven Klein im Schlepptau und das dreiteilige Vogue-Cover unterm Arm. Er begrüßt jeden der Anwesenden einzeln, macht mit Porcini ein Bild für Instagram. 30 Gäste prosten ihm zu. Und für einen Moment ist alles gut.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: