Portrait:Bums, der große Raumeffekt!

Menschlich und mintgrün: Hinrich Baller hat mit seinen Wohnungsbauten in Berlin Architekturgeschichte geschrieben. Ein Treffen zu seinem 80. Geburtstag.

Von Laura Weissmüller

Mehr altes Westberlin geht nicht. Die herrschaftlichen Prachtbauten tragen schwer an ihren stuckverzierten Fassaden, Karyatiden wuchten breite Balkone in die Höhe, und um die großstädtische Eleganz noch zur Vollendung zu bringen, weitet sich die Straße und macht dem Lietzensee Platz. Die so oft hyperventilierende Mitte dieser Stadt, die sich ständig ihrer eigenen Metropolenhaftigkeit versichern muss, ist von hier nicht nur geografisch meilenweit entfernt. Charlottenburg-Wilmersdorf, das ist Berlin in seiner alten Größe, urban, entspannt, zufrieden, vor allem und zu allererst mit sich selbst.

Genau hier wohnen Hinrich Baller und seine Frau Doris. Der Architekt, der diesen Montag 80 Jahre alt wird, ist auch eine Art menschliches Westberlin in Reinform. Nicht, weil er fast sein ganzes Leben in der Nähe des Ku'damms gelebt hat, hier jedes gute Restaurant kennt, den Osten dagegen nach wie vor meidet. Sondern weil sich in seinen Bauten, die fast ausschließlich in Berlin stehen, das Inseldasein der Stadt in den Siebziger- und Achtzigerjahren kondensierte. Baller war damals der Star-Baumeister. Seine mintgrünen, gerne ornamental geschwungenen Stahlbalkone - eines seiner Markenzeichen - schmücken Schulen, Kindergärten, vor allem aber öffentlichen Wohnungsbau. Die Fassaden seiner Häuser sind so lebendig wie die Weltverbesserungsdiskussionen damals in den Kneipen Kreuzbergs morgens um halb drei Uhr früh. Ballers Stil: irgendwas zwischen Friedensreich Hundertwasser und Rudolf Steiner. Organisch, rund, märchenhaft. Kein Wunder, dass die etablierte Architekturwelt damit nicht viel anfangen konnte. Eine Stilschublade, in die sie Baller hätte einsortieren können, gab es nie. Trotzdem gewann er damals einen Wettbewerb nach dem anderen. Er entsprach ganz offenbar dem Zeitgeist dieses eingemauerten Stadtbiotops. Auch die Bewohner seiner Häuser hatten mit seiner Architektur kein Problem, im Gegenteil.

"Es gibt keine Wohnung bei uns, von der die Menschen nicht begeistert sind. Und wenn, dann haben die irgendwie einen Knick", sagt Hinrich Baller, der seit 1989 in einem Altbau am Lietzenseeufer ein gemeinsames Büro mit Doris hat, das gleichzeitig auch ihr Zuhause ist. Baller empfängt im Hauseingang, ein einziger goldener Traum mit Stuckgirlanden und reichlich Ornament. Auch Baller selbst sieht ein wenig aus, wie die Figur aus einem Märchen, nur eben eins, das ein Altlinker geschrieben hat. Groß und hager baut er sich kerzengerade vor dem Besuch auf. Sein langes schlohweißes Haar trägt er offen, dazu ein dickes Lederwams, unter dem ein weißes Hemd hervorflattert, und Karohosen. Wer auf dem Weg zum Haus genau hingesehen hat, weiß jetzt schon, dass es sich das Architekten-Paar nicht in einer großbürgerlichen Wohnung gemütlich gemacht hat. Aus der Ferne kündigten das mintgrüne Streben an, die aus dem obersten Stockwerk hervorragen. Passiert man die altrosafarbene Wohnungstür, bestätigt sich der Eindruck.

"Mausoleen können andere bauen. Eine Wohnung muss Lebensfreude übertragen."

"Bums, der große Raumeffekt", beschreibt es Baller stolz. Bescheidenheit gehört nicht zu seinen Charaktereigenschaften. Warum auch? Der mehrere 100 Quadratmeter große umgebaute Dachstuhl kennt keinen toten Winkel, alles ist offen. So etwas wie einen Flur gibt es nicht. Wer die Wohnung betritt, steht mittendrin, und so eilt der Blick über die gläsernen Schreibtische, entlang unzähliger dicker Papierrollen, die sich über die Regale und den Boden verteilen - Ballers Archiv -, rüber zum Klavierflügel und kurz zur frei stehenden Badewanne. Dann nimmt er die mintgrüne Stahltreppe, die sich filigran hoch zur Küche schwingt und steht auf einem der Balkone. Auf dem Weg zurück gleitet das Auge über allerhand Grünpflanzen, die an dünnen Drähten von der Holzdecke baumeln, und spielt dann Pingpong mit den Ausblicken nach draußen. Denn große Teile der Wände sind hier aus Glas. Das Berliner Dächermeer breitet sich dahinter aus. Doch dessen Lebendigkeit kann gerade mal so mit dem mithalten, was hier im Inneren geboten wird. "Mausoleen können andere bauen", sagt der Architekt. "Eine Wohnung muss Lebensfreude übertragen."

Nicht nur für das großzügige Dachgeschoss, sondern auch für die kleine Sozialbauwohnung überlegt Baller deshalb genau, wo die Sonne zu welcher Uhrzeit durchs Fenster kommt. Zur Not wird dann ein kleines Eck auf Fußhöhe einfach verglast; er spielt mit unterschiedlichen Materialien, kombiniert Holz mit Marmor und verlegt Kokosteppiche in schmalen Streifen, wodurch ein Türvorleger schnell zum Ornament wird. Und greift zur Farbe. Mintgrün und Altrosa, vor allem aber natürliches Grün. Was sich in ihrem Zuhause in dem Dschungel an Topfpflanzen andeutet, zeigt sich in Ballers Wohnanlagen mehrere Nummern größer. Sie alle besitzen große Gärten, fast schon Parks mit Wasserläufen. Das macht sie zu Biotopen mitten in der Stadt.

Das Wichtigste für Hinrich und Doris Baller ist aber: Alles soll "federleicht" wirken. In ihrer Wohnung haben sie selbst den Drucker so umgebaut, dass er zu schweben scheint. Alle Regale sind nur an Drahtseilen aufgehängt. Das Konzept "federleicht" wird bis ins kleinste Detail durchexerziert. "Weil das die Menschen so wollen. Keiner will dick und schwer aussehen, sondern jeder will die natürliche Anziehungskraft der Erde überwinden," sagt der Architekt und blickt etwas bemitleidend auf die in der Tat etwas weit geschnittene Garderobe seines Gegenübers. Darum also die schlanken Stahlstreben in Ballers Häusern, die filigranen Treppen oder die leicht nach oben gezupften Balkone. "Wenn Sie sich hier hinstellen, werden Sie immer schön aussehen!"

"Wenn man die Musik mit so simplen Mitteln aufbauen würde wie die Architektur unserer Tage, dann würde keiner auch nur fünf Minuten zuhören"

Ist Hinrich Baller also ein verträumter Fantast? Auf den ersten Blick bestimmt. Doch wer sich länger mit dem Mann unterhält, der sich bis heute meist mit seinem Motorrad durch die Stadt bewegt, merkt, dass es hier jemandem wirklich um guten Wohnraum geht. Das klingt banaler, als es ist. Leider. Denn wer heute all die ewig gleichen Kisten studiert, die gerade in unsren Städten aufgestellt werden, kann von diesem Wunsch beileibe nichts bemerken. Und zwar ganz egal, ob sich die Bauten an Arm oder Reich wenden. "Wenn man die Musik mit so simplen Mitteln aufbauen würde wie die Architektur unserer Tage, dann würde keiner auch nur fünf Minuten zuhören", sagt Baller dazu. Da sei kein Luxus zu erkennen. Kein eindrucksvoller Auftakt in den Marmorschlachten der neuen Foyers. Auch keine Oase in den Gärten der Innenhöfe, die ihr Grün so freudlos einkasteln, als hätte es etwas verbrochen.

Und es stimmt: Der Großteil des neuen Wohnraums, der gerade entsteht und den die Menschen so händeringend brauchen, er orientiert sich nicht an den Bewohnern, sondern am schnellen Profit.

Das kann man nicht allein den Architekten vorwerfen. Und doch: Kämpfen sie vielleicht zu wenig für eine gute Architektur? "Das sowieso. Es ist völlig aus der Mode gekommen zu kämpfen. Und die Architekten können es auch gar nicht mehr. Es ist verdammt schwer, so etwas durchzubekommen", sagt Hinrich Baller mit Blick auf eine neue Luxuskiste, die gerade auf der anderen Seite des Lietzensees hochgezogen wird. Der Architekt weiß von was er spricht. Nicht, weil er regelmäßig wegen Urheberrechtsverletzungen und sonstigen Baurechtsstreits vor Gericht zieht - aktuell beschäftigt er nur einen einzigen Mitarbeiter: seinen Anwalt -, sondern weil er vor allem öffentlichen Wohnungsbau entworfen hat. Da ist nicht nur das Budget äußerst knapp bemessen, sondern das Regelwerk so streng wie sonst nirgendwo. Küche, Schlafzimmer, Bad, alles muss sich an eine bestimmte Norm halten. Warum wissen wohl nicht mal mehr die Beamten in den Baubehörden, die diese einfordern.

Es sind die kleinen Details, die Hinrich Ballers Architektur so charmant machen

"Genehmigungs-Chose" nennt Baller das. Er kennt viele Tricks, wie man den Wohnraum optisch größer macht und trotzdem die Norm erfüllt. Den Flur weglassen zum Beispiel. Oft half er sich bei seinen Bauten auch mit einer ausgefeilten Statik. Sein Ziehvater an der TU Berlin, der Architekt Bernhard Hermkes, brachte ihm das bei. "Ich habe gelernt die Welt über die Konstruktion aus den Angeln zu heben", so Baller. Sei die gut, brauche man weniger Material. Das schone die Umwelt und spare Geld, das wiederum für etwas anderes ausgegeben werden kann.

Für Grün zum Beispiel. Ballers Wohnhaus am Kreuzberger Fraenkelufer, sein bekanntestes Projekt, das für die Internationale Bauausstellung 1987 entstand, bietet im Innenhof eine weitläufige Parklandschaft, mit Hügeln, Brücken, Flüsschen. Die Bewohner schätzen diese so sehr, dass sie darauf achtgeben. Am frühen Abend sammeln sie den liegen gebliebenen Müll ein. Das Ufer am Landwehrkanal direkt vor dem Haus kann von so viel Sorgfalt nur träumen. Bierflaschen, Zigarettenstummel, Picknickreste künden von den Besuchern des Tages.

"Man kommt hier rein und fühlt sich wohl", sagt eine Bewohnerin in Ballers Haus am Preußenpark. Sie lebt seit 2004 in einer der 144 Wohnungen, die ursprünglich für Bundesbedienstete geplant waren. "Viele Einzelheiten habe ich am Anfang gar nicht verstanden", sagt die Charlottenburgerin. Etwa das schmale Fenster an der Ecke im Gästezimmer. Doch dann hat sie gemerkt: "Morgens kommt da immer das Licht rein." Es sind diese kleinen Details, die Ballers Architektur so charmant, ja menschlich machen. Für seine Gärten entwirft er sogar die Mülleimer. Natürlich in mintgrün und ornamental gebogen.

Welchem Stil er sich selbst zuordnet? "Wenn schon, dann dem der Romantik. Verträumter geht es manchmal gar nicht mehr. Das ist vielleicht auch der Grund, warum die Leute unsere Bauten so lieben. Weil sie sich in ihren Sehnsüchten abgeholt fühlen."

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