Porträt:Eine schöne Zeit

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Ob Armbanduhr, Mörser oder ein mondäner Rasierpinsel: Der Berliner Produktdesigner Mark Braun verhilft Alltagsgegenständen zu großer Form.

Von Max Scharnigg

Es ist gleichzeitig ein guter und ein schlechter Zeitpunkt, um Mark Braun in Mailand zu treffen. Gut, weil es der dritte Tag des Salone del Mobile ist, und Braun gerade erfahren hat, dass gleich zwei seiner Entwürfe mit dem Red-Dot-Designpreis ausgezeichnet wurden: Sein mondänes Rasierset "Hexagon" für den Traditionshersteller Mühle und eine Variation seines bekanntesten Entwurfs - der "Metro" für den sächsischen Uhrenmacher Nomos.

Es ist aber auch ein schlechter Zeitpunkt, weil Braun gerade aus dem Showroom der Firma Bonacina kommt. Das ist ein Mailänder Traditionsbetrieb, feinster italienischer Rattan-Adel sozusagen. Aber bei den Lampen, die Braun zusammen mit der Marke über die letzten Jahre entwickelt hat und deren Prototypen gerade erst fertig geworden sind, gab es kleine Fertigungsfehler auf der Ziellinie. Fehler, die kein Außenstehender sieht, der Berliner Designer aber sehr wohl. Dabei soll er die großen Lampenschirme doch gleich in einer Vernissage der versammelten Stil-Prominenz der Stadt vorstellen.

Mark Braun beißt sich kurz auf die Lippe, dann geht es schon wieder. "Schließlich bin ich ja keiner von den überperfektionistischen Designern. Ich versuche immer auch, die Machbarkeit und die Produktionszwänge des Auftraggebers zu verstehen und ökonomisch zu denken, anders geht es nicht." Wenn er lacht, sieht Braun aus, wie man sich Tim von TKKG vorstellt oder den perfekten Klassensprecher. Dabei müsste man ihn eigentlich mit Professor ansprechen, denn seit zwei Jahren unterrichtet er Industriedesign an der Hochschule der Künste in Saar - mit viel Empathie für die Studenten. Schließlich liegt die eigene Ausbildungszeit des 41-Jährigen noch nicht sehr lange zurück, genau wie die Erinnerung an sein erstes Produkt.

Preisgekrönter Entwurf von Braun: "Metro"-Uhr für Nomos. (Foto: Sarah Illenberger)

Das ist ein Wendebecher, halb Tasse, halb Eierbecher, den er selbst produziert und vertreibt und der sich aus dem Stand gut verkauft - Braun ist da gerad e mal 26 Jahre alt. Und mit dem ersten richtigen Auftrag nach seinem Studium in Eindhoven und Berlin schafft er etwas, auf das andere Designer oft lange warten müssen - sein Geschirr für den Hersteller Asa-Selection wird ein kommerzieller Erfolg. Es ist allerdings, was Braun einen "hidden hero" nennt. Bedeutet, der Name des Designers wird nicht kommuniziert, es ist einfach ein Geschirr, das Käufer anspricht und funktioniert, wie Design bis vor den Nullerjahren meistens funktioniert hat: Mit praktischer und ästhetischer Überzeugungskraft und ohne Signatur des Schöpfers. "Dieser Auftrag sorgte gleich für ein Grundrauschen bei mir, damit konnte ich losarbeiten. Seitdem ist zum Glück eigentlich immer was los", sagt Braun. Neben Grundrauschen ist es wohl auch Selbstbewusstsein, das damit einhergeht. Braun sei ein echtes Verkaufstalent für Ideen, sagen jedenfalls seine Kollegen anerkennend. Mit Vertrauen in dieses Talent gründet er als Newcomer 2006 gleich ein eigenes Studio in einem Hinterhof in Berlin.

Was er dort seither mit einem kleinen Team entwirft, ist markant, aber niemals effektheischend und jongliert souverän mit vielen Materialien: mundgeblasenes Glas für die österreichische Luxus-Manufaktur Lobmeyr, gefaltetes Aluminium beim Beistelltisch "Bond", Eichenholz für eine Schale bei E15 oder eben Marmor, bei dem preisgekrönten Mörser, den er aktuell für das schwedische Label Hem gestaltet hat. "Ich bin viel zu neugierig, um nur mit dem gleichen Material zu arbeiten. Aber es ist auch aufwendig, sich immer ein neues Feld zu erarbeiten. Man muss einen Werkstoff ja erst mal verstehen und die Verarbeitung kennen, bis man weiß, was damit gestalterisch überhaupt möglich ist."

Produktdesigner Mark Braun, 41. (Foto: S. Asmus)

Während sich viele Designer am Anfang ihrer Karriere den Möbeln widmen und über Garderobe, Stuhl und Tisch zu den Feinheiten vorarbeiten, ist Mark Braun von Beginn an irgendwie auf kuriose Produkte abonniert - und hat dabei oft ein glückliches Händchen. So entwirft er etwa für die Produktion des genialen Schnaps-Eigenbrötlers Christoph Keller eine sechseckige Schnapsflasche aus Braunglas, schon eher ein Flakon, die mit dem Erfolg der Brennerei Stählemühle bald zum ikonischen Blickfang in jeder Bar wird.

Und dann ist da die Uhr, der große Gongschlag in seiner Karriere. Von Beginn an eine ungewöhnliche Sache, denn eigentlich beauftragen Uhrenhersteller keine externen Designer. Aber die vergleichsweise junge Marke Nomos aus Glashütte will 2013 raus aus den alten Käuferkreisen und sieht in Mark Braun nicht nur einen Designer, sondern auch ein urbanes Vorbild. "Die haben zu mir gesagt: Entwirf eine Uhr, die du selbst gerne tragen würdest." Und Braun, der bisher eine einfache Vintage-Uhr getragen hat, versenkt sich in die Feinheiten der Uhrmacherei, sichtet Taschen- und Fliegeruhren des 20. Jahrhunderts und entwirft schließlich die Metro. Eine Uhr mit klarer Formsprache und minimaler, aber sehr effektvoller Farbgebung in Kupferoxidgrün. Weit weg von klassischen Layouts mechanischer Uhren, dafür leicht und modern.

Rasierset "Hexagon" für Mühle. (Foto: Studio Likeness)

Braun ist überzeugt von seinem Entwurf, deshalb baut er mit viel Aufwand einen Prototypen, der weit über das Übliche hinausgeht. Das Gehäuse wird erst im 3-D-Druck gefertigt, später lässt er es in Messing gießen, das er dann noch versilbert. Im Grunde legt er in Glashütte eine fertige Uhr auf den Tisch, obwohl man nur ein paar Skizzen erwartet hatte. "Da war man schon sehr erstaunt", erinnert sich Braun. Ein frecher Coup und eine ziemliche Investition, aber neun Monate nach Brauns großem Auftritt liegt die Metro in den Geschäften und bald darauf auf vielen Bühnen. Denn es hagelt Preise, sowohl von der Uhrenbranche als auch bei den Designpreisen, darunter den German Design Award, der als höchste deutsche Auszeichnung dieser Art gilt. Weltweit werden Nomos Glashütte und die Metro gefeiert. Erst kürzlich widmete der US-Schriftsteller Gary Shteyngart fast eine Hälfte eines langen Essays im New Yorker der Faszination der Nomos-Uhren, einen von Brauns Entwürfen nennt er: "Die schönste Uhr, die ich je gesehen habe." Shteyngart reist sogar nach Berlin, um Mark Braun die Hand zu schütteln.

So unterschiedlich dessen Projekte heute sind, alle eint eine augenzwinkernde Schlichtheit, topografisch könnte man auch sagen: Berliner Hinterhof trifft dabei auf skandinavische Tradition. Denn seine ästhetische Prägung erhielt Mark Braun von schwedischen Großeltern, die als Architekten gearbeitet haben. An die Besuche bei ihnen erinnert er sich als Eintritt in eine Welt des guten Stils, die man eben auch schon als Kind als etwas Besonderes wahrnimmt. "Mein Vater ist ein Sammler, von dem habe ich vielleicht den Hang, in den Dingen Geschichten zu lesen."

Marmormörser für Hem. (Foto: Hem)

Tatsächlich ist das Portfolio von Mark Braun verblüffend erzählerisch, seine Objekte könnten auch in einem Museum stehen, das nicht zwingend ein Design-Museum sein müsste. Futuristisch etwa wirkt die Aluminium-Tube, die ein medizinisches Einsatzkit beherbergt, historisch hingegen das feine Trinkglas-Sortiment mit goldenem Punkt für Dior. Vase, Rasierer oder Tischböcke - seine Sachen haben Charakter, sind aber niemals aufdringlich.

Das gilt auch für die neuen Rattan-Lampen, die an diesem Nachmittag im Bonacina-Showroom bestaunt werden. Mark Braun bespricht trotzdem, Prosecco in der Hand, schnell noch die allerletzten Änderungen.

© SZ vom 13.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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