Porträt:Die gute Fee

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"Stop labelling, start living" ist ihr Motto - man soll sie bloß nicht in eine Schublade stecken: Cara Delevingne in einem Dior-Kleid aus der aktuellen Herbstkollektion. (Foto: Thibault Camus/AP)

Cara Delevingne hat 43 Millionen Follower auf Instagram - sie ist Model, Werbestar und Schauspielerin in einer Amazon-Serie. Aber was ist so faszinierend an ihr?

Von Jan Kedves

Seit zehn Jahren verdreht Cara Delevingne der Welt nun schon die Köpfe. Aber wenn man ihr zum Jubiläum gratulieren will, verdreht sie die Augen und tut so, als wisse sie nicht, wovon die Rede ist. Dabei hat sie 2009, also vor zehn Jahren, ihren ersten Modelvertrag unterschrieben, bei der mächtigen Agentur Storm Management in London, die auch Kate Moss groß gemacht hat. Delevingne war damals 17 Jahre alt, und schon bald ging es steil bergauf. Sie wurde zum Gesicht von Burberry. Dann holte Karl Lagerfeld sie für Chanel nach Paris, und eine Weile redete die Modewelt über kaum etwas anderes mehr als über ihre "Monobrow". Oder darüber, dass sie offenbar nicht so viel Lust hatte, sich die Brauen zu zupfen, was sie gleich noch bekannter machte und im Kontext der Mode, in der strikte Beauty-Standards herrschen, etwas mutig wirkte. Ein Supermodel, das seit zehn Jahren gegen den Perfektionismus des Supermodeltums antritt, sogar mit Tattoos auf der Hand und in der Ohrmuschel - herzlichen Glückwunsch! "Echt? Zehn Jahre? Jesus, es fühlt sich viel länger an, aber danke", sagt sie mit einem Lächeln, das eventuell etwas spöttisch ist.

Der Anlass des Treffens mit ihr im Berliner Soho House ist die neue Amazon-Serie "Carnival Row". In der spielt sie an der Seite von Orlando Bloom eine Fee: die Freiheitskämpferin Vignette. Vignette schwirrt im Viktorianischen Zeitalter durch den dystopischen Moloch The Burgue, der an das historische London angelehnt ist. "Carnival Row" wird Ende November in synchronisierter Fassung in Deutschland starten, was im Soho House zunächst einmal bedeutet: Es wird erwartet, dass man Delevingne bevorzugt zur Serie befragt. Wobei man mit ihr ja über so vieles reden könnte. Über ihre Vorbildfunktion für Millionen Fashion-Fans, die es toll finden, wenn ein Model nicht immer nur lächelt. Delevingne schaut die meiste Zeit recht streng oder genervt, als wolle sie sagen: Supermodel, na gut, von mir aus - aber das kann es ja wohl nicht gewesen sein!? Der Blick ist ihr Markenzeichen.

In "Carnival Row" spielt sie eine Fee. Ganz schwerelos. Das geht nicht ohne Bauchmuskeltraining

Und sie ist ja auch nicht nur Supermodel. Sondern eben Schauspielerin. In "Carnival Row" bekämpft sie alte Probleme, die nur zu aktuell sind. Rassismus, Sklaverei, Hass auf Flüchtlinge und überhaupt: Hass auf alles Fremde. Von der Kritik wurde die Serie deswegen als Allegorie auf die heutige Welt von Trump und Brexit bezeichnet. In düsteren Zeiten braucht es Mutige, und Vignette ist so eine: Sie will Freiheit für ihr unterdrücktes Volk, die Faeries. "Sie ist unermüdlich, und sie verliert niemals die Hoffnung", schwärmt Delevingne. Und wie Vignette mit ihren schimmernden Flügeln durch die Lüfte schwingt! Wie erreicht man so eine schwerelose Feen-Körperspannung? "Mit viel Bauchmuskeltraining, uff!", sagt Delevingne.

Mit im Raum sitzen fünf oder sechs Frauen. Einige von ihnen gehören zu Delevingnes Team, eine Vertreterin von Amazon aus den USA ist auch dabei. Dass man Delevingne allein, unter vier Augen, sprechen könnte - was für eine naive Vorstellung. Dafür ist sie ein viel zu großer Star. Die Frauen gucken streng, oder: Sie wachen darüber, dass es um die Serie geht. Aber lässt sich die private Cara Delevingne denn von der Fee so trennen? Delevingne lebt, das zeigt sie auf Instagram, in einer Beziehung mit der Schauspielerin Ashley Benson. Sie ist zwei Jahre älter, Delevingne nennt sie "Sprinkles". Sie sind ein queeres Paar. Da schien es zu passen, als Delevingne vor einigen Wochen in einem Interview mit dem amerikanischen Magazin Variety über die Queerness von "Carnival Row" sprach. Sie verstehe ihre Figur als "pansexuell", sagte sie, so wie alle Feen in der Serie. Pansexuelle Feen - das Zitat ging natürlich um die Welt. Ein toller Werbeeffekt. In Berlin möchte Delevingne das aber so nicht stehen lassen: "Ich habe ein Problem mit solchen Labels und diesem queeren Aspekt, weil die Welt von 'Carnival Row' ja eine eigene Fantasiewelt ist. Ich glaube, in dieser Welt wäre das einfach ganz normal. Da wäre Liebe einfach Liebe, unabhängig vom Geschlecht", sagt sie.

Dass Liebe, egal in welcher Form, kein Label braucht - das ist auch privat ihre Überzeugung. In ihr Instagram-Profil (43 Millionen Follower) hat sie in Großbuchstaben "Stop labelling, start living" geschrieben, zu Deutsch in etwa: Hör endlich auf, immer auf alles ein Label draufzukleben, sondern fang lieber an zu leben. In dem Motto steckt natürlich ein hübsches kleines Augenzwinkern - denn Delevingne ist, auch wenn sie nur noch zu ganz besonderen Anlässen auf den Laufsteg geht, immer noch ein gefragtes Supermodel. Das lukrative Markenbotschafterinnentum ist für sie finanziell mindestens so wichtig wie die Schauspielerei.

Aktuell ist sie Werbestar für Labels wie Dior, Balmain, Burberry und Puma, für Sonnenbrillen der Marke Privé Revaux und für Volkswagen. Gerne wüsste man: Wenn die Labels erfahren, dass Cara Delevingne - zusätzlich zu den 43 Millionen Instagram-Followern - jetzt auch ein großes Publikum im Streamingmarkt erreicht, weckt das nicht Begehrlichkeiten? Wollen die Kunden mit ihren Produkten nicht gerne in der Serie auftauchen? Ihr Blick sagt: Wie kann ein Journalist so eine dumme Frage stellen! Sie sagt: "Das würde ja gar nicht funktionieren. Allein die Vorstellung, dass Vignette in der Viktorianischen Zeit eine Dior-Handtasche tragen könnte, ist ... zum Schreien komisch!"

Karl Lagerfeld nannte sie mal "den Charlie Chaplin der Modewelt". Das hat ihr gefallen

Da ist er wieder: dieser tolle, genervte Blick. Er lässt die strengen Frauen im Hintergrund auf die Sesselkanten rutschen. Aber eine Frage zu Karl Lagerfeld wird wohl erlaubt sein. Delevingne war eine Weile Karls Liebling, er sprach in Interviews darüber, dass sie keine gewöhnliche Superschönheit sei, sondern eher eine Charakterschönheit. Er pries sie als "den Charlie Chaplin der Modewelt". Hat Karl ihr eine interessante Lebensweisheit mit auf den Weg gegeben? "Ich kann nicht vergessen, wie er mir immer gesagt hat, dass er mich in einem Stummfilm sehen würde. Ich fand das immer komisch. Aber dann hat er ein Kampagnenvideo mit mir gedreht und den Ton herausgedreht. Er hat Dinge in Leuten gesehen, die die Leute selbst nicht in sich gesehen haben. Das fand ich immer interessant an ihm."

Interessant an Delevingne ist auch, dass sie sich für den Umweltschutz einsetzt. Sie macht mit bei der Initiative "My Eco Resolution", bei der es darum geht, sich in den sozialen Netzwerken gegenseitig Mut zuzusprechen, wenn man seine guten Öko-Vorsätze mal wieder nicht eingehalten hat. "Wir alle wollen anfangen, weniger Plastik zu benutzen oder kein Fleisch mehr zu essen. Aber es fällt uns nicht leicht. Und manchmal vergessen wir es auch", sagt Delevingne. "Bei My Eco Resolution geht es darum, trotzdem weiterzumachen. Nicht aufgeben, auch wenn du es einmal verbockt hast." In einem "My Eco Resolution"-Testimonial will Reese Witherspoon weniger Einweg-Plastikflaschen benutzen. Georgia May Jagger will auf Strohhalme verzichten.

Nun gut, man könnte das auch irgendwie inkonsequent finden. Delevingne macht parallel Werbung für Mini-SUVs mit Benzin- und Dieselmotor. Und was die Streaming-Industrie angeht, hat Greenpeace in einer Studie darauf hingewiesen, dass sie der Umwelt schadet. Diese gigantischen Datenmengen, die Abend für Abend von Cloud-Server zu Cloud-Server geschoben werden! Laut Greenpeace kommt der Strom in den großen Amazon-Datencentern in Virginia nur zu zwölf Prozent aus erneuerbaren Quellen. Könnte eine Eco Resolution also auch sein, nicht mehr in Amazon-Serien mitzuspielen - zumindest so lange, bis die Server zu hundert Prozent auf Ökostrom laufen? Natürlich traut man sich nicht, Delevingne das hier in Berlin ins Gesicht zu sagen - sie dreht ja schon die zweite Staffel! Und die Frauen im Hintergrund gucken so streng.

Wie blickt sie nun auf ihre zehn Jahre in der Mode- und Celebrity-Industrie zurück? Hätte sie, mit dem heutigen Wissen, gerne etwas anders gemacht, eine Entscheidung anders getroffen? "Nein, Dinge zu bereuen ist nur Zeitverschwendung", sagt sie. "Außerdem wäre ich ohne die Fehler, die ich gemacht habe, ja jetzt nicht hier." Eine lebensschlaue Antwort.

© SZ vom 12.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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