Porträt:An der Nahtstelle der Macht

Lesezeit: 6 Min.

Ruth Löffelholz enwtirft Mode für Frauen in Führungspositionen - und hilft ihnen dabei, sich für immer vom Hosenanzug zu verabschieden.

Von Alexandra Borchardt

Zugegeben, man hatte diesen Blick erwartet. Diesen Blick, mit dem Verkäuferinnen einen taxieren, wenn man eine Boutique gehobener Preisklasse betritt. Passen Frisur, Tasche, Schuhe, sprich: Kann sie zahlen? Trägt sie die Hose zu eng (kämpft gegen Pfunde) oder zu weit (will Pfunde kaschieren)? Macht sie auf Mädchen oder Dame? So fällt das Sekundenurteil darüber, ob es sich bei der Kundin um eine penible, eine ewig suchende, lässige oder fröhlich-verschwenderische Person handelt, der man gleich irgendetwas andrehen kann, das ihrem Bild von sich selbst möglichst nahekommt.

Dann begrüßt einen Ruth Löffelholz, die hellen Augen blitzen, die grauen Locken kämpfen gegen die Frisur. Und schon sitzt man vor ihr und einem Kaffee in ihrem Atelier in einer dieser schattigen Frankfurter Westend-Straßen. Ein Schaufensterpuppen-Duo im Arbeitskostüm schmückt die Auslage, im Hinterzimmer surrt eine Nähmaschine, den prüfenden Blick hat man wohl verpasst. Dann begreift man: Löffelholz zieht ihre Kunden mehr mit Fragen aus als mit den Augen, bevor sie einen bitten würde, sich zum Maßnehmen wirklich auszuziehen, wäre man eine echte Kundin.

Die Namen ihrer Kundinnen nennt sie nicht, da schweigt sie wie ein Psychotherapeut

Löffelholz macht Mode für Frauen mit Macht, in zweierlei Hinsicht: Einerseits macht sie Mode mit Macht, nämlich aus Leidenschaft, seit ihrer Schulzeit und getrieben von der Überzeugung, dass Kleidung etwas mit Menschen macht. "Kleidung ist Kommunikation", sagt sie. Sie soll nichts sein, das einen drückt und in Formen presst, sondern etwas, das Luft verschafft für das Spiel mit den Möglichkeiten. Ein passendes Outfit schaffe innere Freiräume, das ist ihre Philosophie.

Andererseits macht Löffelholz Mode für die Mächtigen, vor allem für Frauen. 250 feste Kundinnen habe sie, mancher habe sie einen, nein, zwei Kleiderschränke gefüllt mit Teilen für die Business-Bühnen. Namen nennt sie nicht, da schweigt sie wie ein Psychotherapeut. Und womöglich schlüpft sie zuweilen in eine ähnliche Rolle. Man stellt sie sich vor, wie sie ihre Kundinnen ermutigt, ein bisschen schiebt in Richtung Zartrosa oder Hellgrau, flatternde Ärmel oder Wasserfall-Ausschnitt. Nur als "verkleinerter Herrenanzug" dürfe es nicht enden, endlich Augenhöhe, bitte!

Wer von Ruth Löffelholz ein paar Tipps erwartet ("So kleiden Sie sich richtig im Büro"), ist an die Falsche geraten, von Dos and Don'ts hält sie nichts. Sie recherchiert vorher, wenn sie kann: Wer ist diese Frau? Und dann plaudert sie mit ihr, um das herauszufinden. Ist ihr Gegenüber offen oder gehemmt, weiblich oder burschikos, wagemutig oder schüchtern? Sie startet von dort.

Die Variation des Herrenanzugs ist dabei nur der Anfang. "Um wo hinzukommen, ist der okay", sagt sie, also irgendwas für Zwischenschritte auf dem Karrierepfad, aber dann möge die Frau ihn bitte ablegen. "Mit einem Augenzwinkern kann man den Anzug aufnehmen, dann aber in die Freiheit führen."

Der Stoff darf es schon sein, feines Männertuch, in Ballen lagert er im Hinterzimmer, klebt als Muster auf Karteikarten. Aber dann braucht das gute Stück Schwung, sollte Taille zeigen oder andere Kurven - ein "schönes Hohlkreuz über rundem Po" tut's auch. Aus Knöpfen können Haken werden, T-Shirts Manschetten bekommen, Revers sind kein Muss. Und natürlich muss Löffelholz wissen, wohin das Teil getragen werden soll. Für Klientinnen der Business Class gibt es dann schon mal das Kostüm für Frankreich (verspielter) und das für London oder New York (cooler).

Frauen hätten alle Möglichkeiten, auch in der Arbeitskleidung, findet Löffelholz, weil Männer die subtilen Signale ohnehin nicht verstünden. "Uns wird in Coachings beigebracht, wie Männer ticken", sagt Löffelholz, sie hat selbst schon welche besucht. Aber umgekehrt? Wer bringt den Männern bei, wie Frauen kommunizieren? "Sie können eine teure Handtasche auf den Tisch stellen, und der Mann versteht das nicht!" Besser funktioniert dort, was sie von einer Kundin weiß: "Die leiht sich einen Porsche-Schlüssel aus, wenn sie zu wichtigen Terminen geht."

Was Frauen auch wissen, von Mädchenbeinen an: Ihr Äußeres wird immer bewertet, sind sie in herausgehobenen Positionen, gilt das sowieso. Natürlich kommentieren sowohl Männer als auch Frauen. Theresa Mays Leoparden-Schuhe (steckt in der Konservativen ein wilder Kern?), Hillary Clintons weißer Hosenanzug (spielt sie auf die Suffragetten-Bewegung an?), Angela Merkels Blazerfarbe (ist das eine Koalitionsaussage?): Kaum ein Journalist, der dem widersteht, auch bei der SZ.

Klar, das kann auch Spaß machen. Nun werde in der Vorstandssitzung auch mal über Schuhe geredet, sagt zum Beispiel Siemens-Personalvorständin Janina Kugel. Immer über Fußball reden, sei das denn besser? Und je mehr Frauen es nach oben schaffen, umso einfacher wird's.

Angela Merkel zum Beispiel musste noch neues Terrain erobern, die farbigen Blazer wurden zu ihrem Markenzeichen. Viele Kundinnen hätten ihr gesagt, sie solle mal die Bundeskanzlerin einkleiden, erzählt Löffelholz. Aber warum nur? "Angela Merkel ist gut angezogen." Schließlich habe die Kanzlerin früh gemerkt, was passiere, wenn sie sich allzu viel herausnehme, in einem Fall zu viel Haut. Noch immer erinnere man sich an dieses großartige Dekolleté bei einem Opernbesuch.

Anderen Frauen sagt Löffelholz schon mal: "Nutze es, dass du Brüste hast." An jeder Kundin ließen sich positive Seiten herausstellen. Gescheitert sei sie bislang nur an einem: der Jo-Jo-Figur. "Wenn wir Maß nehmen, und eine Frau legt dann zu oder verliert viel Gewicht, können wir nicht viel tun." Einer Kundin habe sie schließlich empfohlen: "Bleiben Sie lieber bei Strick!" Aus ihrem Mund klingt das wahrscheinlich wie "lebenslang".

Und was trägt Löffelholz selbst? Jedenfalls kein Dirndl, sagt sie. Als kleines Mädchen sei eine dunkelblaue Schottenkaro-Gummihose ihr Lieblingsstück gewesen, "Dunkelblau liebe ich noch heute." Ein Teil also, das Abenteuer ermöglicht und Schutz bietet. Denn Abenteuer sind ihr Ding, und ein bisschen Schutz wird sie gebraucht haben. Als mittleres Kind von fünfen und erste Tochter wuchs sie in einem Künstlerhaushalt auf. Ihr Vater war der Dichter und Verleger Franz Mon, ihre Mutter vor allem Freigeist, von der Hippie-Bewegung geprägt ("die hat ihr Leben genossen") und "erste Ökofrau Frankfurts".

Da kommt eine Schneiderlehre gerade recht, die einem Struktur und Rüstzeug gibt und dann auch noch Raum für die Leidenschaft, wenngleich zum Hungerlohn. "Ein dunkelgrünes Samtkostüm mit petrolfarbenen Paspeln war mein Erstlingswerk, das Schwierigste, was man sich vorstellen kann: Samt auf Samt nähen." Aber es hat geklappt, und danach noch einiges andere.

Ruth Löffelholz wurde Kostümbildnerin für Film und Fernsehen. Für die Musiker der Rodgau Monotones hat sie genäht, für die Verfilmungen der Schmachtfetzen von Rosamunde Pilcher. Dann wurde sie beim Deutschen Fernsehpreis für das beste Kostümbild nominiert, und entschied: Jetzt muss endlich mal wieder etwas Neues kommen.

1990 gründete sie ihren Betrieb, eine Manufaktur nennt sie ihn. "Wir haben Industrie und Handwerk gekreuzt." Dafür hat sie bei Branchen wie der Autoindustrie geklaut. Statt Schneiderinnen ein Teil vom Zuschnitt bis zum letzten Knopf alleine fertigen zu lassen, hat sie den Herstellungsprozess in einzelne Schritte aufgeteilt. Haute Couture nach dem Modularprinzip: Beratung, Schnitt, erste Anprobe, Produktionsvorbereitung, Schneiderei. "Jedes Modul wird von jemand anderem bedient. Du musst an jede Stelle eine professionelle Person setzen, die genau das am liebsten macht." Genäht werde mit Hand und Maschine. "Futter mit der Hand einnähen, das bezahlt einem keiner."

Etwa 2000 Euro muss man für ein Kostüm oder einen Anzug von ihr anlegen. Klar hat sie es deshalb eher mit älteren Kundinnen zu tun, "wobei es auch jüngere gibt, die sparen dafür". Und da fällt einem ein, dass von ihr die Aussage stammt, Frauen über 50 könnten auch im Büro wieder Röcke tragen, die über dem Knie enden; man hatte sich gefreut, als man das las.

Löffelholz selbst ist 52, also kompetent in dieser Frage. "Mit 50 beginnt eine andere Zeit", man müsse sich nicht mehr so beweisen, könne jüngeren Frauen den Vortritt lassen. Da lasse sich der kurze Rock mit Würde tragen, "solange er nicht ruft: Ich will jung bleiben, Hilfe, Hilfe!". Als Mutter zweier Töchter von 17 und 21 Jahren kennt sie den Unterschied zwischen Original und Kopie. Mit über 50 hätten Frauen hoffentlich verstanden: "Macht ist nicht Beherrschen, Macht ist Sein."

Bei der globalen Konferenz tragen die mächtigen Frauen Sari, Tracht oder Kopftuch

Diese Lektion gilt auch für Männer, für sie entwirft Löffelholz deshalb lässige Teile, die die Luft herauslassen sollen aus all dem Gehabe und Gewese, der Welt der dunklen Anzüge, gestärkten Hemdkragen und Manschetten. Und dann stolpert sie in einen dieser Sätze, die einem zeigen, dass sie dem Phänomen Mensch und Macht unbedingt näherkommen will. "Bei Männern geht es darum, in diesen Ballon hineinzustechen. Damit aus dem 'ich muss' ein 'ich bin' wird." Damit will Löffelholz wohl sagen: Männern ist das Streben nach Macht angeboren, man muss es ihnen abtrainieren. Frauen dagegen müssten erst einmal Lust an der Macht gewinnen, sich ein bisschen anstrengen, bevor sie sich entspannen können. Diese Anstrengung möchte Löffelholz ihnen angenehm machen.

Wenn sie in großer Mehrheit auftreten, beherrschen mächtige Frauen das Entspannen übrigens ohne Probleme. Noch nie hatte man sich im dunkelblauen Hosenanzug so deplatziert gefühlt wie beim ersten Besuch des Global Summit of Women, einer internationalen Konferenz, auf der Frauen aus Indien, Südafrika, Malaysia oder Kasachstan ganz selbstverständlich Sari, Tracht oder Kopftuch tragen und die Präsidentin in bonbonfarbener Seide glänzt. Für Löffelholz liefe das Geschäft dort womöglich schlecht.

© SZ vom 06.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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