Süddeutsche Zeitung

Trend Töpfern:Super Dreh

Hollywoodstars wie Brad Pitt und Leonardo DiCaprio sitzen an der Töpferscheibe - und alle von ihren Händen entfremdeten Hipster machen bei dem Trend mit.

Von Claudia Fromme

Das Herrenzimmer ist eine der letzten Bastionen der Männlichkeit, in denen es nach klassischer Definition keine Streublumenkissen und Zierrat auf Musikboxen gibt, sondern wuchtige Ledermöbel, opulente Unterhaltungselektronik und zuweilen Billardtische. Einen "Raum, um seine Gefühle zu regulieren", nennt ihn der amerikanische Sozialpsychologe Sam Gosling. Auch, weil es ein Raum sei, in dem die weibliche Geschmackshoheit nichts verloren hat.

Interessant ist, was Brad Pitt kürzlich von seiner man cave berichtete. Da hockt der amerikanische Schauspieler seit einiger Zeit an einer surrenden Töpferscheibe. Manchmal lädt er auch seinen Kumpel Leonardo DiCaprio in seine Höhle, damit sie gemeinsam in den Lehm greifen. Ab und an kämen andere Männer dazu, und sie hätten dann ihre "Boys' Night" im Atelier.

Klebte lange das Klischee der weiblichen Selbstverwirklichung im Ferienkurs auf La Gomera am Töpfern, ist das Handwerk nun doppelt neu definiert. Als a) Männerding mit b) Hollywoodweihen. In Los Angeles haben einige ihr Töpfer-Outing bereits hinter sich. Der Schauspieler und Comedian Seth Rogen führte im April seine ersten selbst getöpferten, grün lasierten Aschenbecher vor, die "das Rauchen von Gras sehr viel angenehmer machen", wie er schreibt. Er bilanziert bei Twitter: "Es hat etwas Therapeutisches, es ist wie Yoga, wenn am Ende tatsächlich etwas dabei herauskommt." Model und Schauspielerin Emily Ratajkowski zeigte sich bereits vor längerer Zeit mit tonverschmierter Latzhose in einem Kurs an der Töpferscheibe.

Hollywood töpfert, und Bonn, Leipzig und Friedrichshain tun es auch. Gab es lange nur wenige Kurse, oft bei der Volkshochschule, bietet sie nun jedes Keramikatelier an, in Großstädten werden sie überrannt. Wer nur am Computer sitzt, und wem die Synapsen brennen vor lauter Change im Job, der fragt sich womöglich, was von dem bleibt, was man treibt - und landet an der Töpferscheibe. Der von seinen Händen entfremdete Mensch greift in einen Klumpen Lehm - und ist wieder ganz bei sich.

Ein Drittel der Kursbesucher sind Männer - sehr viel mehr als früher

Dabei sah es lange nicht so aus, dass selbst gefertigte Keramik instagramtauglich werden könnte. Nach der Hochzeit in den Siebzigern bestimmte zwei Jahrzehnte klinisch weißes Porzellan die Tischästhetik. Mit den Nullerjahren kamen die organischen Teller, Schalen und Vasen langsam zurück. Motoren waren der DIY-Trend mit Plattformen wie Etsy, die skandinavische Naturkuschelbewegung Hygge und die Idee, dass Nachhaltigkeit auch ein Stilthema sein kann. Nicht nur Foodblogger finden ihr Biogemüse stimmiger auf erdiger Keramik präsentiert als auf Ikea-Tellern.

Der neue Stil ist gleichwohl filigraner, schlichter in Form und Farbe als in den Siebzigerjahren. Weniger plakatives Orange und klarglasiertes Terrakotta ist zu sehen, mehr zartes Lindgrün, Grau und Anthrazit in skandinavischer Ästhetik.

Es gibt die Stars der neuen Keramikszene, Matthias Kaiser aus der Steiermark, den Londoner Florian Gadsby und vor allem dänische Ateliers. Berühmt sind die minimalistischen Schalen und Teller in Grau, Schwarz und Weiß mit Sprenkeln von K. H. Würtz im jütländischen Horsens. Sie decken der neuen nordischen Küche den Tisch, was eine kleine Revolution ist, denn Standard in der gehobenen Gastronomie war immer Fine Bone China. Im "Noma" hatte das Geschirr seinen ersten großen Auftritt, und weil das Restaurant in Kopenhagen auch für Stilisten das Maß aller Dinge ist, wurde der neue nordische Stil auch Trend an den Töpferscheiben in aller Welt.

"Es ist wie Geigespielen. Am Anfang quietscht es wahnsinnig - dann läuft es."

Bei Karla Ederer in München zum Beispiel. Seit 15 Jahren gibt die Keramikerin Kurse, und sie freut sich darüber, dass ihre Passion so viele neue Fans findet, die meisten sind zwischen 25 und 30, sagt sie, haben Computerjobs, ein Drittel sind Männer, was sehr viel mehr ist als früher. Ausgerechnet seit Töpfern wieder boomt, fährt die 68-Jährige ihr Kursangebot zurück. Es raube ihr Energie, zu viele Anfänger anzulernen, die brauche sie für ihre Kunst. Es ist nicht böse gemeint, nur eine Zustandsbeschreibung. 80 Prozent aller, die einen Basiskurs machten, hören danach auf, sagt Karla Ederer. Das liege auch daran, dass es nicht viele Werkstätten gibt, in denen man ohne Kurs arbeiten kann. Vor allem aber sei Töpfern anspruchsvoll, was viele unterschätzten. "Es ist wie Geigespielen. Am Anfang quietscht es wahnsinnig - dann läuft es." Vorausgesetzt, man übe, und zwar viel.

Wer sich aber jenseits aller Hypes darauf einlässt, sagt Karla Ederer, wird unglaublich bereichert. Sie kommt aus der Sozialpädagogik und hat therapeutisch an der Töpferscheibe gearbeitet, die Erfahrung, mit seinen eigenen Händen etwas zu schaffen, sei besonders intensiv. Auch, weil man sich absolut konzentrieren muss, sonst fliegt einem die Tonmasse um die Ohren. Studien zufolge fördert Töpfern den Stressabbau und macht entspannter, auch weil man voll in die Natur greife. Damit landet man wieder beim Gras von Seth Rogen, und es sei noch einmal daran erinnert, was er schreibt: "Es ist wie Yoga, wenn am Ende tatsächlich etwas dabei herauskommt."

Manchmal ist auch der Weg das Ziel. In der Filmszene in " Ghost", in der Demi Moore und Patrick Swayze spärlich bekleidet an der Töpferscheibe sitzen, flabbert der Ton zu lustvoll unkontrolliert in die Höhe, als dass daraus noch ein Teekännchen werden könnte. Bis heute findet man im Netz unzählige Parodien der Filmszene an der heißen Scheibe. Und natürlich kennt auch jeder Keramiker die berühmte Sequenz. Karla Ederer jedenfalls beriet vor Jahren einen Whiskyliebhaber auf Mallorca, der nicht nur Tonbecher bei ihr orderte. Er ließ auch die Schlüsselszene aus "Ghost" in ihrem Atelier nachdrehen.

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Quelle:
SZ vom 07.09.2019/mpu
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