Philosophie der Bomberjacke:Jacke mit Gewaltpotenzial

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Ryan Goslings goldglänzendes Teil in "Drive" soll die Epidemie der Schimmerjacke ausgelöst haben. (Foto: Universum Film)

Ryan Goslings goldglänzende Bomberjacke in "Drive" soll die Epidemie ausgelöst haben. Aber warum nur sollen wir uns jetzt wie Schlägertypen anziehen? Über Gewalt als Genussmittel in einer satten Gesellschaft.

Von Peter Richter

Bomberjacken. Auf einmal gibt es nur noch Bomberjacken. Es ist beunruhigend, wenn es in der Designermode-Abteilung von Barney's in New York plötzlich aussieht wie früher beim Hoolywood in der Schönhauser Allee, gleich um die Ecke vom Berliner Jahn-Sportpark. Denn dort waren solche Jacken bis vor kurzem noch ausschließlich zu Hause.

Dabei kann man über den Berliner Laden an sich nur Gutes sagen. Der Betreiber, ein Veteran aus dem Anhang des BFC Dynamo, nahm immer die Amazon-Pakete für seine Nachbarn an. Er blieb Union-Fans und sogar Sachsen gegenüber stets hilfsbereit. Auch ging er fast genauso oft ins Theater wie ins Stadion, was etwas über die Qualität sowohl der Berliner Bühnen als auch über die des dortigen Fußballs aussagt.

Seine Bomberjacken verkaufte er Leuten, die Bewegungsfreiheit als Lebensstil schätzten, und in ihrer Kleidung vielleicht auch ein wenig Erinnerung daran bewahren wollten, welch ungezähmte Burschen sie vor zwanzig, fünfundzwanzig Jahren einmal waren. Das Schöne an Läden wie dem Hoolywood war ja, dass es sie gab - und dass es in der Herrenabteilung von Barney's eben anders aussah. Feiner, fragiler, futuristischer.

Doch dann brach diese Frühjahrssaison herein.

Es ist, als hätten die Modemacher aller Länder die Massenmobilmachung befohlen. Von den Luxuskaufhäusern bis zu den Discountern; und sogar in der Damenabteilung von Barney's: Bomberjäckchen.

Ärger in der Luft

Das ist natürlich eine Übertreibung. Denn es ist nicht so, dass es gar keine Ausnahmen gäbe. Manchmal hängen zwischen den Bomberjacken auch sogenannte Collegejacken; das sind diese Jacken, die aussehen wie Bomberjacken aus Wollfilz. Die mit den weißen Lederärmeln. Da hängen auch diese Motorrad-Lederjacken mit dem versetzten Reißverschluss und dem großen Revers. Wobei man sagen muss, dass jetzt oft die Bomberjacke aus Leder ist und die Lederjacke aus Bomberjacken-Nylon, während die Collegejacken nun versetzte Reißverschlüsse und große Revers haben und auf den weißen Ärmeln diese kleinen Bomberjackenärmeltäschchen. Was sich Modedesigner eben so einfallen lassen, wenn ihnen etwas nicht mehr Verbesserbares in die Hände fällt.

Das Entscheidende ist: Wer in dieser Saison eine Jacke kauft, der muss herumlaufen wie einer, von dem er in den Achtzigern im Zweifel nichts Gutes zu erwarten hatte. Wer in den Achtzigern eine Bomber-/College-/Bikerjacke erblickte, der wusste, dass Ärger in der Luft lag, jedenfalls dann, wenn solche Jacken nicht von Angehörigen der Luftstreitkräfte/Collegestudenten/Motorradfahrern getragen wurden.

Dass man bei der Begegnung mit einer Bomber- oder einer Motorradjacke an einem englischen Badestrand lange Zeit sicher von Friktionen ausgehen durfte, das konnten sie bei der Firma Alpha Industries in Virginia ja nicht ahnen, wo man zunächst froh war, die U.S. Air Force mit Nylonjacken eindecken zu dürfen. Noch weniger geahnt haben konnte das Irving Schott, der 1928 in New York damit begann, Motorradfahrern eine Lederjacke mit dem schönen Namen Perfecto zu verkaufen.

Der Verkäufer, der einem jetzt bei Barney's in New York erklärt, diese Sorten von Jacken sähen "sharp" aus, der muss nicht wissen, warum und weshalb, lange vor seiner Geburt, im fernen Europa Mods und Rocker aufeinander losgegangen sind. Und warum die einen Bomberjacken und Armeeparkas trugen und die anderen eben Motorradjacken. Und auf welchen Wegen dann nicht nur diese Jacken an Skinheads und Punks vererbt wurden, sondern mit ihnen auch der darin vernähte Material-Konflikt von Leder und Nylon. Es reicht, dass er sich der in ihnen akkumulierten Aggressivität bewusst genug ist, um seine Kunden zuzuraunen, wie "sharp" auch sie aussehen könnten. Für Preise zwischen 500 und 2000 Dollar.

Für Lauren Laverne, die Modebloggerin des Observer aus London, ist das ebenfalls keine Glaubensfrage mehr, sondern nur noch eine des Geschmacks: "Rebellious but somehow brainier than a biker jacket" - rebellisch, aber vielleicht ein bisschen smarter als eine Motorradjacke ist "the bomber" ihrer Ansicht nach. Deshalb sei die Jacke immer schon von Jugendkulturen bevorzugt worden, deren ästhetisches Ideal eben darin gelegen habe, "sharp" auszusehen: Scooter Boys, Ska Kids, Skinheads, Hip-Hop-Pioniere. Mit "sharp" ist jetzt nicht gemeint, dass diese Jacken besonders scharf geschnitten wären. Im Gegenteil. Mit ihren Wollbündchen und den runden Schultern könnte man gerade Bomberjacken für etwas eher Gemütliches halten. Es ist schon die unheimliche Zweckmäßigkeit ihres militärischen Ursprungs, die für den Nervenkitzel zuständig ist. Hinzu kommt das entweder auf der Straße oder durch Film und Fernsehen zu erwerbende Wissen, dass dieses nach vorne Eingerollte ihres Trägers ganz gar nichts Geruhsames hat - sondern die Haltung eines Boxers ist.

Modewelt spricht von "Gosling Effekt"

Man liegt vermutlich nicht ganz falsch, wenn man dieses "sharp" eher mit der Art von Schärfe übersetzt, die etwa der kaum zu den großen Bomberjackenträgern der Geschichte zählende Adorno meinte, als er, natürlich tadelnd, über die "scharfen Genüsse" schrieb: Whisky, Zigarren, Krimis - all das im Prinzip ungesunde Zeug, für das man sich einen Geschmack erst antrainieren muss.

Das Gewaltpotenzial, das den Bomberjacken eingenäht ist wie ein zweites Futter, ist das ästhetische Genussmittel des Frühjahrs 2014, und da darf man sich schon mal die Frage stellen, was das eigentlich aussagt über diese Zeit und ihre Sehnsüchte. Immerhin ist das ja die Zeit, in der Bomberpiloten zu nostalgischen Figuren geworden sind. "Luftschläge" werden heute in fernen Kontinenten von Drohnen ausgeführt, die aus Bürogebäuden in Nevada gesteuert werden - von Männern, die nun wirklich nichts Heroisches mehr haben.

Nun sind zeitdiagnostische Erwägungen nicht unbedingt das, worüber sich Modebloggerinnen so ihre Gedanken machen. Die sprechen, was die Epidemie der Bomberjacken betrifft, gerne vom "Gosling Effekt" - mittlerweile ein stehender Begriff in der Modegeschichte: Ryan Goslings goldglänzendes Jäckchen in dem Neo-Noir-Film "Drive" (2011) von Nicolas Winding Refn soll schuld daran sein, dass schon kurz darauf von Stella McCartney bis Phillip Lim so gut wie alle Modedesigner ihre Models in metallisch schimmernden Bomberjacken-Derivaten über die Laufstege jagten.

Was da adaptiert, verfeinert und teuer weiterverkauft wird, sind natürlich nicht nur Stoff, Schnitt, Farbe; es sind auch hier die Energie und die Wut, die diese Jacke ausfüllen, kalte Aggression und Entschlossenheit. Die Elektro-FKK-Aktivisten der Berliner Band "Jeans Team" sprechen bei ihren "Bomberjaeckchen" ja schon lange von "DEM Jackengefühl", wenn sie sich ausschließlich(!) mit der Jacke bekleidet in die Hauptstadtnacht stürzen.

Ryan Gosling in "Drive" ist ein rechtmäßiger Nachfolger von Marlon Brando in "Der Wilde", der ein Film über die Motorradjacke Perfecto war, und von James Dean in "Denn sie wissen nicht, was sie tun", der von einer roten Windjacke handelt, und ja, auch von Tom Cruise in "Top Gun", wo es auch schon einmal um eine Bomberjacke ging, in der Hauptsache aber um eine Sonnenbrille.

Die Modedesigner haben sich für diese Saison bei geschmacksbildnerischen Kulturleistungen bedient, die andere für sie erbracht haben. Die Zweckmäßigkeit der Jacken aus Amerika ist das eine, die Popularisierung durch Hollywood das andere, aber bis heute "scharf" gehalten wurden sie meist in Europa: von Leuten, die man Halbstarke, Rowdies, Intensivtäter oder urban tribes genannt hat. Hier wurden sie in einer Weise aufgeladen, dass vor noch nicht allzu langer Zeit oft wortreich die Friedfertigkeit seiner Gesinnung beteuern musste, wer Gefallen an einer Bomberjacke fand.

Denn diese Jacken waren aus drei Gründen so beliebt: Sie signalisierten Zugehörigkeit zu selbstbewusst auftretenden Jugendkulturen, sie waren mit ihrem glänzenden Nylonstoff so etwas wie die Disko-Kugeln unter den Militärjacken, und das leuchtbojenhafte Orangerot des Innenfutters stand auch eher für aggressive Sichtbarkeit als für Tarnung. Vor allem erwies sich das, was für das Militär so zweckmäßig war, auch beim Nahkampf im Fußballstadion als praktisch: Diese Jacken waren verteidigungsbereit. Klassische Bomberjacken haben keine Kragen, an denen einer zerren könnte, sie wattieren den Körper wie ein Boxhandschuh, sie sind glatt und flexibel. Die mit ihr verfeindete Motorradjacke ist deutlich steifer, aber sie hat in Schlägereien exakt die Panzerungsfunktion, die sie bei Verkehrsunfällen auf der Straße haben soll. Die Fixierung der Arme vor dem Körper, wo ein Lenker gehalten oder eben ein Gegenüber in Bomberjacke bearbeitet werden will, geht im Prinzip in dieselbe Richtung: Es sind die ersten echten Turnier-Harnische seit dem späten Mittelalter.

Ösen zum Anbringen von Handgranaten

Die Burg von Meißen, so kann man in kunstgeschichtlichen Vorlesungen lernen, hat da, wo andere Burgen schmale Schießscharten haben, deswegen so ungewöhnlich große Fenster, weil man damals zeigen wollte, dass man militärisches Gehabe nicht mehr nötig hatte und sich einer konsolidierten Territorialherrschaft erfreute, in der Feinde nicht mehr mit dem eigenen Leib abgewehrt werden mussten.

Möglich, dass die hauchfeinen, hochanfälligen Wildleder-Blousons, die in den Achtzigern von Poppern so gern getragen wurden, ähnlich gedeutet werden sollten: Empfindlichkeit als Geste der Arroganz. Umgekehrt haftet dem Martialischen immer schnell auch der Geruch von Schwäche an, von Unsicherheit, von Unterklasse und schließlich auch von Provinzialität.

Als die Bomberjacken anfingen, in deutschen Stadien die Fankurven grün zu färben, hatten die stilprägenden englischen Hooligans ihre schon längst in die Altkleidersammlung gegeben und sich stattdessen bei Luxuslabels wie Armani, Gucci, Burberry gütlich getan. Das war von bomberjackenmäßiger Praktikabilität gegenüber Polizisten, die nach grünglänzenden Blousons mit orangefarbenem Innenfutter Ausschau hielten. Das war aber, mit dem britischen Sinn für Klassenkampf, irgendwie auch eine vorweggenommene Rache für die anstehenden Plünderungen der casual subculture durch die Couture. Und was soll ein Haus wie Burberry da auch groß dagegen sagen, wenn es selber sein Geld mit Trenchcoats macht, bei denen nach wie vor die Ösen zum Anbringen der Handgranaten am Gürtel angebracht sind.

War das dann Helmut Lang, der als erster den Bomberjacken die Luft rausgelassen hat, um sie seiner anorektischen Kundschaft schmackhaft zu machen, zu Preisen, bei denen sich Handgemenge von selber ausschlossen? Diese Art von Designer-Bomberjacken muss jedenfalls ungefähr zu der Zeit aufgekommen sein, als die letzten Dorf-Skins in Billigimitaten vom Polen-Markt durch die Thälmannstraßen Ostdeutschlands gespringerstiefelt sind: Irgendwann in den Neunzigern. In den Großstädten Westdeutschlands sah man die Jacken dann eher an Türkengangs oder Bettelpunks, die wirklich Rechtsradikalen liefen dagegen immer häufiger herum wie Linksautonome am Ersten Mai. Und um das Jahr 2000 waren dann die wirklich allerletzten in Berlin, die noch Bomberjacke zur Glatze trugen, jene homosexuellen Fetisch-Freunde, die in Erwartung von körperlichen Auseinandersetzungen ganz anderer Art auf dem Weg zur Diskothek Ostgut von desorientierten Antifa-Aktivisten aus Friedrichshain verhauen wurden.

Die kontinuierliche Verarbeitung von Macho Culture zu Gay Culture, von gewalttätigem Gebaren zu scharfen Stimulanzien, ist ein zivilisatorisches Projekt mit beträchtlichen Verdiensten, es dient einer allgemein wertsteigernden Sublimierung, von der dann irgendwann eben auch der Heteronormaloschnösel bei Barney's in New York noch etwas hat. Was nach Militarisierung der Zivilkleidung aussieht, ist ja immer nur ein Zeichen für die Befriedung der Gesellschaft.

Alltag als Kampfgebiet

Aber das hat eben auch eine Kehrseite. Und sie zeigt sich, wenn ein paar Jahre später diese Dinge ausgelaugt, abgetan, entkräftet - und gewissermaßen "unscharf" geworden - auf den Ramschtischen landen. Camouflagemuster und sogenannte Combat-Hosen mit Kartentaschen auf den Schenkelseiten - auch erst Militär, dann Streetstyle, dann kurzes Entzücken der Laufstege - werden heute vor allem von sozialschwachen Frührentnern getragen. Andererseits ist deren Alltag auch tatsächlich ein Kampfgebiet.

Kann sein, dass der Bomberjacke nach diesem Frühling ein ähnliches Schicksal bevorsteht. Dass sie von den Midasfingern der Modeleute in etwas auf Jahre hinaus Untragbares verwandelt wurde. Das wäre dann schade, weil sie, so wie sie seit einem halben Jahrhundert ist, eigentlich gut genug aussah.

Der Betreiber vom Hoolywood auf der Schönhauser Allee wird sie aber sicher weiterhin in seinem Sortiment führen. Wenn dann allerdings einer ankommt und so tut, als sei er in der Herrenabteilung von Barney's ("Bomberjacke? Really? It's sooo 2014" ). . . dann kann es natürlich sein, dass das ein bisschen Ärger gibt. Dass diese Jacke ihr Versprechen also doch noch einmal einlöst.

© SZ vom 24.05.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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