Apps für Pflanzen:Blatt vor der Linse

Apps für Pflanzen: Was wächst denn hier? Impressionen vom Europaplatz in München Bogenhausen.

Was wächst denn hier? Impressionen vom Europaplatz in München Bogenhausen.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Was da genau in Wald und Wiese wächst, wissen immer weniger Menschen. Zum Glück gibt es inzwischen gleich mehrere Apps, die Pflanzen bestimmen können.

Von Ramona Dinauer

"Dich verwirret, Geliebte, die tausendfältige Mischung, Dieses Blumengewühls über dem Garten umher." Ähnlich ratlos wie Goethes Lebensgefährtin, an die er diese Zeile aus seiner Theorie zur "Metamorphose der Pflanzen" im Sommer 1798 richtete, blicken viele Menschen heute auf eine Blumenwiese. Denn die Spezies der Hobby-Botaniker wird immer seltener. Eine Befragung des Bund Naturschutz zur "Erosion der Artenkenner" kam 2016 zu dem Ergebnis, dass es 20 Prozent weniger Experten von Tier- und Pflanzenarten gebe als noch 20 Jahre zuvor. Zudem seien viele von ihnen 60 Jahre oder älter. Ein paar Begründungen lieferte die Studie auch gleich mit: Kinder verbrächten weniger Zeit in der Natur, Lehrkräfte trauten sich seltener an die Botanik und Universitäten konzentrierten sich stärker auf marktwirtschaftliche Bereiche der Biologie.

Doch würde Goethe noch leben, er wäre vermutlich verzückt, denn den verstaubten Zweig der Botanik beleben nun Algorithmen und Handykameras wieder. Apps zur Bestimmung von Pflanzen sind beliebt wie nie. Meist fotografiert der Nutzer das unbekannte Gewächs, das dann mit den Fotos in einer Datenbank abgeglichen wird. Mehr als 27 000 wilde Arten aus allen Teilen der Welt lassen sich zum Beispiel in der App "Plantnet" bestimmen. An mehreren Forschungseinrichtungen in Frankreich haben Informatikerinnen und Informatiker das bürgerwissenschaftliche Projekt entwickelt. Jeden Tag erweitern etwa 140 000 Nutzer die Plantnet-Datenbank mit ihren Pflanzenbildern. Die tragen dann zur weltweiten Bestandsaufnahme der Biodiversität bei.

Manche Apps nutzen die Pflanzenbilder zu Forschungszwecken

Ebenfalls zu Forschungszwecken nutzt "Flora Incognita" die hochgeladenen Fotos, quasi das deutsche Gegenstück zu Plantnet. Beide Apps sind kostenlos und werbefrei, befassen sich jedoch nur mit Wildpflanzen. "Flora Incognita" ist vor allem auf mitteleuropäische Gewächse spezialisiert. Besonders viele Observationen verzeichnet die App an Feiertagen und am Wochenende - "dann werden bis zu 300 000 Pflanzen abgelichtet", sagt Jana Wäldchen vom Max-Planck-Institut für Biogeochemie (MPI). Gemeinsam mit Informatikern und Ökologen der TU Ilmenau und des MPI in Jena hat die Biologin "Flora Incognita" entwickelt, um Menschen einen niederschwelligen Zugang zur Pflanzenbestimmung zu ermöglichen. "Man schützt nur das, was man kennt und gerne hat - deshalb ist es so wichtig, die Aufmerksamkeit auf die Vielfalt der Pflanzen vor unserer Haustür zu lenken", sagt Wäldchen. "Flora Incognita" wird häufig von jungen Eltern genutzt, aber auch von Studenten und Schülern im Biologie-Unterricht. Einige Seniorinnen und Senioren, die zuvor mit Handbüchern Pflanzen bestimmt haben, ließen sich "Flora Incognita" als einzige App von ihren Kindern aufs Handy laden, berichtet Wäldchen.

Tatsächlich ist die digitale Pflanzenerkennung kinder- und seniorenleicht: Auch ohne eigenes Nutzerprofil zeigt "Flora Incognita" drei Blüten als Menüpunkte: eine zum Bestimmen einer neuen Pflanze, eine mit den bereits fotografierten Gewächsen und eine mit einem Verzeichnis von mehr als 4800 Arten. Anhand einer besonders großen Datenbank und zusätzlicher Informationen lassen sich Pflanzen mit der App "Picture This" bestimmen - allerdings nur mit kostenpflichtigem Abo.

Dank Smartphone zurück in die Natur

Statt auf den Abgleich mit einer Datenbank setzt die kostenlose App "Andy Green" auf eine Community aus Artenkennern. Hier identifizieren Hobbygärtner Pflanzen und besprechen Gartenthemen. Ebenfalls ohne Bezahlung, da vom Bund gefördert, funktioniert "Naturblick". Entwickelt hat die App das Berliner Naturkundemuseum. Mit ihr lassen sich einige Hundert Arten, vor allem in der Großstadt, bestimmen. Neben Bäumen und Wildblumen ordnet Naturblick auch Vogelstimmen zu.

Bei einer derart großen Auswahl an Apps zur Artenbestimmung sollte sich Goethes Erleben der Pflanzenwelt bald bewahrheiten: "Jede Blume, sie spricht lauter und lauter mit dir." Denn für fast jede Blüte scheint es ein passendes Gegenstück in einer digitalen Datenbank zu geben. Ob nun der Wiesenduft oder der Handybildschirm zur Entdeckung der Natur anleiten, hält Biologin Wäldchen für zweitrangig. Hauptsache die Menschen werden auf die Schönheit und das Schutzbedürfnis der Natur aufmerksam. "Seitdem wir ,Flora Incognita' entwickelt haben, sehe ich viele Informatiker auf dem Campus an der TU Ilmenau herumlaufen und Blumen fotografieren. Später erzählen sie mir dann, dass sie am Wochenende 20 neue Arten bestimmt haben." Auf Tinte und Feder, wie sie Goethe noch benötigte, können moderne Artenkenner heute verzichten. Ihr wichtigstes Instrument ist - Romantik hin oder her - das Handy. Aber löst ein zwischen Mensch und Pflanze geschaltetes Gerät nicht automatisch die Naturverbundenheit auf? Jana Wäldchen widerspricht. Vielmehr brächten Pflanzen-Apps Menschen übers Digitale mit Flora und Fauna zusammen. "Die Hürde, sich mit Pflanzen zu beschäftigen, ist endlich wieder niedriger geworden."

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