Pferdesport:Prinzen, Ponys, Dosenbier

Sentebale ISPS Handa Polo Cup

Beim Sentebale ISPS Handa Polo Cup in Rom traten nicht nur der Duke of Sussex an (Mitte), sondern auch Nacho Figueras, einer der besten Spieler der Welt (Dritter von rechts).

(Foto: Chris Jackson/Getty Images)

Polo ist eine der ältesten und elitärsten Sportarten der Welt, aber trotzdem ganz einfach zu genießen - und für Neulinge eine beeindruckende Ganzkörpererfahrung. Zu Besuch bei einem königlichen Spiel.

Von Max Scharnigg, Rom

Es gibt gute Sportgeräusche und weniger gute. Gut ist zum Beispiel das "Pffft" der Matten beim Bodenturnen oder das harte "Klack", mit dem der Golfschläger den Ball trifft. Nicht so schön ist das Gestöhne der Tennisspieler oder das Dröhnen von Formel-1-Motoren. Vermutlich das aufregendste Geräusch ergibt sich aber, wenn der Ball beim Polo zufällig etwa dort vor der Bande zum Liegen kommt, wo man als Zuschauer steht. Und wohin dann folglich zwei Mannschaften plus zwei Schiedsrichter, bedeutet also in Summe zehn Pferde und 40 Stück Hufe, gestreckt galoppieren. Für den Unerfahrenen klingt das mindestens nach Indianerangriff und legt spontane Flucht nahe. Jedenfalls ist die Kulisse aus Huftrommeln, bebendem Boden und den treibenden Rufen der Reiter eine eindrucksvolle Ganzkörpererfahrung.

Menschen, Tiere, Emotionen und Fähnchen - auf den ersten Blick wirkt so ein Polomatch eigentlich wie ein Jahrmarkt. Wären da nicht die eleganten Zuschauer, die bei diesem Benefizturnier in Rom den Rand säumen und dabei eine Kleiderordnung zwischen Ascot, Cocktailparty und, tja, Ralph Lauren befolgen. Dabei hat dessen großzügige Verteilung des Polospieler-Logos über die ganze Welt eigentlich nichts für den kleinen, platzintensiven Sport getan. Ralph Lauren macht nämlich gar keine Kleidung für Polospieler, und das namensgleiche Hemd wurde erst beim Tennis populär. Trotzdem kann sich jede Marke, die ihre Nähe zum Polosport im Namen vermerken möchte, juristischen Ärger mit Ralph Lauren einhandeln - nur eine von vielen merkwürdigen Fußnoten des bekanntesten unbekannten Sports der Welt. Der Vollständigkeit halber: Eine Marke, die wirklich aus dem Polosport kommt, ist zum Beispiel der argentinische Ausstatter La Martina.

Was die Polospieler heute anhaben, sieht oben aus wie ein Fahrradtrikot mit Knopfleiste und angedeutetem Kragen, unten trägt man traditionell unpraktisch eine weiße Jeans. Dazu kommen Helm, Stick, Gerte und Reitstiefel und, am wichtigsten, das Pferd, das heißt, gleich mehrere pro Spieler. Denn nach jedem "Chukka" genannten Spielviertel muss das Tier pausieren, der Mensch sattelt um. Das Fitnessoutfit der Pferde beschränkt sich auf Bandagen an den Beinen, gekürzte Mähnen und einen getapten Schweif.

Aber wer vom Pferd spricht, outet sich sowieso als Neuling, beim Polo sagt man Pony. Klingt auch richtig angesichts der kräftigen, aber mit einem Stockmaß um 1,60 Meter eher kleinen Tiere. Sie sind meist eine teure Mischung aus britischen Vollblut-Rennpferden und der robusten argentinischen Criollo-Rasse. Es geht, wie man beim Auto sagen würde, um gute Beschleunigung und einen kleinen Wendekreis. Passend zu den Pferden sind Großbritannien und Argentinien immer noch die wichtigsten Polo-Nationen, gefolgt von den USA, aber auch Ländern wie Aserbaidschan, wo Reitspiele tief in der Kultur verwurzelt sind. Die europäischen Meisterschaften finden 2020 in Baku statt.

Jede Gefahrensituation für die Ponys wird rigoros geahndet

Deutschland kann den ältesten Poloklub auf dem europäischen Festland vorweisen, der 1898 im anglophilen Hamburg gegründet wurde. Weniger als 400 aktive Spieler gibt es heute im Land, bei ein paar Millionen Reitern. So klein ist die Nische, dass der deutsche Poloverband einfach die Liste der aktiven Mitglieder auf die Homepage stellt, zweimal scrollen, und man ist durch. Um einem Vorurteil entgegenzutreten - nur etwa jeder zehnte Name dort enthält Spuren von Adel. "Es gibt auch die Polo-Puristen, die beim Turnier Dosenbier aus dem Kofferraum trinken. Denn echte Polofreunde sind vor allem Pferdefreunde, denen geht es nicht so sehr um das schicke Drumherum. Aber einige Turniere ziehen eben eine gewisse, reiche Klientel an", sagt Stefanie Stüting. Sie ist als Chefredakteurin des einzigen deutschen Polomagazins Polo+10 an diesem Nachmittag auch auf das Gelände des Roma Polo Club gekommen, wo man gerade stimmungsvoll die britische Flagge gehisst hat.

Die Briten haben das berittene Ballspiel Mitte des 19. Jahrhunderts aus den indischen Kolonien mitgebracht, dieses Jahr feiert man auf der Insel groß den 150. Geburtstag des Sports. In Wirklichkeit ist er aber viel älter - in Persien soll es schon 600 vor Christus Vorläufer und neben dem Kaiserpalast von Konstantinopel um das Jahr 400 bereits einen Poloplatz gegeben haben. Trotz dieses Alters wirkt das Spiel modern, zumindest was das Thema Diversität angeht. Nicht nur treten in den Mannschaften an diesem Nachmittag Männer und Frauen gemischt an, ein Spieler im Team U. S. Polo Assn. ist auch erst 15 Jahre alt. Das gegnerische Team Sentebale St. Regis kann dafür an Spielerposition zwei mit dem Duke of Sussex aufwarten. Das Publikum quittiert weder den berittenen Knaben noch den artig winkenden Prinz Harry mit besonderem Erstaunen. Man applaudiert den einreitenden Spielern so höflich, wie es mit Champagnerglas in der Hand eben möglich ist. Dann geht's los.

Das Spiel zu beschreiben, ist gar nicht so einfach, dem Schauspieler und Polospieler Sylvester Stallone (auch so eine Fußnote!) gelang aber mal eine anschauliche Zusammenfassung: "Polo ist wie Golfspielen während eines Erdbebens." Entscheidend für das grundlegende Verständnis des Zuschauers sind vor allem zwei Regeln. Erstens ändert sich nach jedem Tor die Spielrichtung. Und zweitens entsteht das häufigste Foul dadurch, dass ein Spieler nicht "in the line of the ball" agiert. Es gilt also unbedingte Vorfahrt für denjenigen, der sich in der Bewegungslinie des Balles befindet. Diese Regel ist für das Wohlergehen von Mensch und Tier sehr wichtig. Wenn wie beim Fußball von allen Seiten auf den Ball gestürmt werden könnte, wären verheerende Kollisionen die Folge. Aber auch so ist Polo noch ziemlich ruppig, die wuchtig geschwungenen Sticks, das hohe Tempo und die rasanten Wenden auf engstem Raum sorgen bei den Reitern häufig für Blessuren. Interessant ist dabei: Jede Gefahrensituation für die Ponys wird rigoros geahndet. Fällt hingegen ein Spieler vom Pferd, wird nicht unbedingt abgepfiffen.

Durch die ständigen Richtungswechsel wogt das Match sehr schön hin und her. Vielleicht befördern aber auch die Drinks am Spielfeldrand diesen Eindruck. Die Torszenen jedenfalls sind auf dem riesigen Spielfeld (274 auf 182 Meter) kaum zu erkennen, die Dynamik dazwischen, das gegenseitige Abreiten des Balles, ist das spektakuläre Element. Es liegt eine elegante Rasanz in dem Spiel, und auch als Nichtreiter sieht man, wie anspruchsvoll die Manöver sind. Nach siebeneinhalb Spielminuten werden etwa zehn Minuten lang die Pferde gewechselt, was dem ganzen Ablauf eine gewisse Gemächlichkeit verleiht und klarmacht: Das hier ist eigentlich mehr als Sport, das ist eher Lebensart mit Pferden. Besonders deutlich wird das auch beim beliebten "divot stomping", bei dem zur Halbzeit die Zuschauer barfüßig und hemdsärmelig über den Spielrasen schlendern und ausgerissene Grasnarben eintreten. Diese Lässigkeit gehört allgemein zum Polo - selbst in den Top-Nationen sind feste Mannschaften mit Löhnen und Sponsoren selten, Spieler formieren sich oft erst für die Matches zu Teams. Erst in jüngster Zeit haben einige Turniere Preisgeld eingeführt, eine neue Xtreme Polo League will den Sport professionalisieren. Davor gab's für die Sieger nur Pokal und Handschlag.

Prinz Harry hat drei Tore und eine gute Figur gemacht

Wie beim Golf wird auch beim Polo für jeden Spieler ein Handicap errechnet, das seine Spielstärke klassifiziert. Von Winston Churchill ist sinngemäß eine Bemerkung überliefert, wonach es keine stilvollere Eintrittskarte für die große Welt gibt als das eigene Polohandicap. Tatsächlich ist Polo ein ebenso kleiner wie globaler Sport, durchaus abgestimmt auf die Jetset-Reisepläne. Die Turniere in St. Moritz und Kitzbühel, das Veuve Clicquot Polo Classic in New Jersey oder die German Polo Masters auf Sylt (31. Juli bis 4. August) sind Gesellschaftsevents - die Ergebnisse beschäftigen außer den Spielern und Verbandsmenschen kaum jemanden.

Auch die Pferde reisen viel, aber nicht immer - hier in Rom etwa spielt man heute auf Tieren des örtlichen Poloklubs. "Ich habe meine Pferde erst kurz vor dem Spiel kennengelernt, ich habe in meinem Leben schon auf Tausenden verschiedenen Pferden gespielt", sagt der Spieler Nacho Figueras nach dem Match, das er gerade neben seinem Kumpel Harry gewonnen hat. Figueras ist Argentinier und spielt seit seinem neunten Lebensjahr Polo. 2009 gehörte er nicht nur zu den besten Spielern, er wurde auch von den Lesern von Vanity Fair zum zweitschönsten Mann der Welt gewählt - nach Robert Pattinson, aber vor Brad Pitt. "Als Junge wollte ich nur Tore schießen. Aber das Erste, was man als Polospieler lernt, ist, dass die wichtigen Dinge geschehen, bevor du den Ball triffst", sagt Nacho. "Die zweite Sache ist, dass du irgendwann anfängst, die Pferde noch mehr zu lieben als das Spiel."

Zum Ende des Benefizturniers wird folgerichtig erst das beste Pony geehrt. Dann bekommt Prinz Harry, der drei Tore und auch sonst eine gute Figur gemacht hat, eine neue Aktentasche aus Leder und eine Flasche Whisky in die Hand gedrückt, was allen Beteiligten ein bisschen unangenehm ist. Es dauert nur etwa zwanzig Sekunden, bis er die Prämien an Helfer am Spielfeldrand weiterverschenkt hat. Polo hat bei den Windsors Tradition, schon Großvater Prinz Philip war ein passionierter Spieler. "Tatsächlich ist Polo heute überall oft ein Familiensport", sagt Stefanie Stüting. "Es treten auch manchmal reine Familienteams an. Um ein guter Spieler zu werden, muss man eben von Kindheit an Zugang zu Pferden und zu diesem Spiel haben." Die meisten Gäste in Rom hatten den nicht, haben sich aber trotzdem gut unterhalten. Jetzt geht es für sie ins noble St. Regis Hotel, wo der Prinz noch eine Spendengala zu Ehren seiner Aids-Stiftung gibt. Er springt dazu quasi direkt vom Pferd in den Smoking, hält eine Rede und sammelt händisch Spenden ein. Er ist hier an diesem Tag der Einzige, der wirklich gearbeitet hat. Neben den Ponys, natürlich.

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