Pfälzische Schuhfirma wird 175:Kaisers neue Schuhe

Schuhfirma Peter Kaiser wird 175

Seit 1838 produziert die Firma Peter Kaiser Markenschuhe im pfälzischen Pirmasens.

(Foto: Peter Kaiser)

Lammleder, Lack, Glitter: Die Firma Peter Kaiser produziert seit 175 Jahren in der pfälzischen Kleinstadt Pirmasens, zum Jubiläum sogar Schuhe mit goldener Sohle. Wachstum war nie das Ziel des Traditionshauses, doch das wird sich nun ändern.

Von Elisabeth Dostert

Schuhe. Hunderte. Pumps, Ballerinas mit kleinem Absatz, bedruckt mit floralem Muster. Lammleder, Lack, Glitter, der von Hand aufgetragen wird. Eine Ahnung von Sommer. Paarweise auf blassgrünen Wägelchen, von denen an einigen Stellen die Farbe abblättert, so alt sind sie. Es riecht nach Klebstoffen, Leder und Farbe. Eine Frau steppt Schleifen auf Sandalen, eine andere kontrolliert jedes Paar. Stimmen die Nähte? Sitzen die Absätze richtig? Viel Handarbeit. "Schuhe in dieser Qualität lassen sich nicht voll automatisiert herstellen", sagt Marcus Ewig, Geschäftsführer der Peter Kaiser Schuhfabrik GmbH in Pirmasens. 100 bis 150 Arbeitsschritte sind für einen Schuh nötig. Allein zwölf Stunden braucht es, um einen Pumps herzustellen. Sie sind das Markenzeichen der Fabrik. Pumps kommen nie aus der Mode.

Pirmasens ist aus der Mode gekommen. Die Stadt in Rheinland-Pfalz war mal das Zentrum der deutschen Schuhindustrie. Aber das ist lange her. Um die Jahrhundertwende gab es in Pirmasens und in den Nachbarorten Hauenstein und Waldfischbach mehr als 300 Schuhhersteller. Die meisten sind verschwunden, riesige Firmen wie Rheinberger oder Neuffer. Straßennamen erinnern noch an die Fabrikanten. Die alten Werkhallen sind längst abgerissen oder umgewandelt, Kulturdenkmäler.

Im "Rheinberger", der einst größten Schuhfabrik Deutschlands, sitzt seit 2008 das Dynamikum, ein Technikmuseum. Zu den Exponaten gehört eine Unendlichkeitsmaschine. Aber was ist schon unendlich? In Pirmasens zeigt sich, wie endlich eine Industrie sein kann. In Hauenstein gibt es ein Schuhmuseum. Eine Schuhkönigin gibt es auch seit ein paar Jahren. Gerade amtiert Nadine I. Welche Schuhe sie trägt, ist auf vielen Fotos gar nicht zu sehen.

Rund drei Dutzend mittelständische Schuhfirmen gibt es noch in Pirmasens, Firmen wie Kennel & Schmenger oder die Schuhfabrik Carl Semler. Peter Kaiser wird in diesem Jahr 175 Jahre alt. Schon das Überleben ist ein Erfolg. Vielleicht war es der Verzicht auf Wachstum, dass die Firma allen Widrigkeiten widerstand, oder doch nur pfälzische Sturheit?

Rückblick: Als Peter Kaiser 1838 seine Werkstatt aufschließt, ist er nicht der Erste in Pirmasens. Es gibt viele Schuster, die so ihren Sold im Dienste des Landgrafen Ludwig IX. aufbessern. Nach dessen Tod wird die Truppe aufgelöst, und die Soldaten fertigen aus alten Uniformen Schlappen. Viele Möglichkeiten zum Broterwerb gibt es in der Pfalz nicht.

Das Elend findet heute in Asien statt

In einer Schriftenreihe für das Hauensteiner Museum hat Michael Wagner die Geschichte aufgeschrieben. Die Zustände in der Produktion müssen noch um die Wende zum 20. Jahrhundert erbärmlich gewesen sein: Elf Stunden täglich, die Löhne reichen zum Leben nicht aus, viele Arbeiter betreiben nebenher Landwirtschaft. "Singen, pfeifen und Tabak rauchen" verboten, mit Beginn der Arbeitszeit wird der Zugang zur Fabrik geschlossen. Was Wagner aus einer Fabrikordnung zitiert, liest sich wie mancher Bericht aus der heutigen Textil- und Schuhproduktion in Asien. Das Elend scheint gegenwärtig, es findet heute nur woanders statt, weiter weg, in Asien. Man kann aus der Geschichte lernen - oder auch nicht.

Lange Zeit, sagt ein altgedienter Mitarbeiter im Lederlager von Peter Kaiser, sträubten sich die Pirmasenser Schuhfabrikanten gegen die Ansiedlung von Unternehmen aus der Auto- und Chemieindustrie, weil sie fürchteten, dass ihnen die Mitarbeiter wegen der höheren Löhne davonlaufen. Auch deshalb fehlten Alternativen, als Mitte der Sechzigerjahre die Strukturkrise die Schuhindustrie schüttelte, bis fast nichts blieb. Allein zwischen 1963 bis 1973 werden in der Stadt und im Landkreis fast 180 Betriebe mit gut 7000 Beschäftigten stillgelegt, schreibt Wagner. Schuhe lassen sich billiger im Ausland produzieren.

Peter Kaiser scherte sich nicht um die Konkurrenz. Erst Anfang 2000 bauten die Pfälzer eine Produktion in Portugal auf, die gibt es immer noch. Nach Asien drängte es die Pfälzer damals - wie auch heute - nicht. Geschäftsführer Ewig kennt die Firmengeschichte ganz gut. Er hat sie sich aufschreiben lassen. Der Betriebswirt arbeitet erst seit Mitte 2012 für Peter Kaiser. Er hat eine Menge aufzuholen. Jahrzehnte. Wachstum war nie die Strategie der Firma.

Freiwilliger Winzling

Andere, jüngere Unternehmen wie Gabor, Deichmann, Hamm-Reno, Ara Shoes oder Wortmann sind an den Pfälzern vorbeigezogen, wobei die Grenzen zwischen Hersteller und Händler verschwimmen. Das Rosenheimer Familienunternehmen Gabor etwa, 1949 gegründet, 370 Millionen Euro Umsatz, 3200 Beschäftigte, verkaufte im vergangenen Jahr neun Millionen Paar Schuhe, drei Viertel davon unter dem Namen Gabor. Hergestellt werden sie zu 90 Prozent in den eigenen Werken in der Slowakei und in Portugal. In Rosenheim gibt es noch eine Musterfertigung. Und Deichmann - 33 700 Mitarbeiter, mehr als 3300 Filialen, 4,5 Milliarden Euro Umsatz - verkaufte 2012 mehr als 165 Millionen Paar Schuhe. Der Konzern, gerade 100 Jahre alt geworden, hat keine eigene Produktion. 80 Prozent seiner Schuhe kauft der Essener Konzern in China ein.

Allein in den vergangenen zwei Jahrzehnten ist die Zahl der Betriebe nach Angaben des Bundesverbandes der Schuh- und Lederwaren-Industrie in Deutschland von gut 200 auf heute knapp 50 gesunken. Kleine Hersteller mit weniger als 50 Beschäftigten, die in der amtlichen Statistik nicht erfasst werden, mit eingerechnet, dürften es rund 80 Betriebe sein. 2012 wurden in Deutschland 26 Millionen Paar Schuhe produziert - eine verschwindend kleine Menge verglichen mit der Produktion im Ausland. "Legt man die gesamte weltweite Produktion aller deutschen Schuhhersteller zugrunde, liegt das Produktionsvolumen bei rund 400 Millionen Schuhen", sagt Manfred Junkert, Hauptgeschäftsführer des Verbandes. So sieht es auch auf dem deutschen Markt aus: Gut die Hälfte der Importe stammt aus China.

Im Kreis der Auserwählten

Peter Kaiser ist ein Winzling. Freiwillig. Bis in die Neunzigerjahre habe sich die Firma selbst eine Produktionsgrenze gesetzt, sagt Ewig. Eine Million Paar Schuhe. "Das genügte den Gesellschaftern." Auch mit der Rendite von fünf bis sechs Prozent vor Steuern gaben sich die knapp zwei Dutzend Erben von Peter Kaiser zufrieden. Eine Expansion hielten sie für zu riskant. Und sie wollten den Markt "nicht überschwemmen". Die Schuhe wurden mehr verteilt, als aktiv vertrieben. "Der Händler sollte stolz sein, wenn er zum Kreis der Auserwählten gehörte", erzählt Ewig.

Anders als die meisten Konkurrenten sei Peter Kaiser ein reiner Auftragslieferant. Auf Lager werden nur fünf bis zehn Prozent der Schuhe produziert. Ein solches System tauge eher für den klassischen Schuhfachhandel, sagt Ewig. Die anderen Hersteller haben Prognosen und Lager, weil große Filialisten wie Karstadt oder Kaufhof erwarten, dass der Lieferant die Fläche mehr oder weniger selbst bewirtschafte. Deshalb will auch Peter Kaiser künftig ein größeres Lager betreiben.

Ewig hat noch einiges vor. "Die Marke soll moderner, begehrlicher werden." Das Vokabular der Marketingexperten beherrscht Ewig ganz gut. Er kommt aus einem Unternehmen, in dem Marke alles ist. Bevor der 41-Jährige zu Peter Kaiser kam, arbeitete er zwölf Jahre für Porsche, zuletzt als Leiter Finanzen und Organisation der Porsche Leipzig GmbH. Für Ewig ist es wichtig, "für eine Marke mit starker Ausstrahlung und extremem Potenzial" zu arbeiten. Porsche oder Pumps, für ihn scheinen die Unterschiede nicht so groß zu sein.

"Wir sind in der Modewelt nicht der First Mover", sagt Ewig. Farben, Schnitte, wie die Mode einer Saison aussehen soll, das geben andere vor, Trendsetter seien nach wie vor die großen italienischen Modemarken. "Wir lassen uns von Prada, Gucci, Sergio Rossi inspirieren und interpretieren sie dann Kaiser-spezifisch", sagt Ewig. Statt eines markanten grünen Tarnmusters, wie es auf den Laufstegen zu sehen ist, wählt Kaiser gedecktere Farben. 90 Prozent der Kollektion bewegen sich Ewig zufolge im Bereich der Galanterie, wie es im Fachjargon heißt: moderne feminine Schuhe. Jede Kollektion besteht aus etwa 220 Modellen und 4500 Varianten. Auf Portalen wie Zalando, ein wichtiger Absatzkanal, verkaufen sich die Modelle mit Absätzen bis zu zehn Zentimetern am besten.

Made in Pirmasens

Zumindest die seit mehr als einem Jahr laufende Restrukturierung der Produktion hat Ewig Ende März abgeschlossen. Ein weiterer Teil der Produktion wurde nach Portugal verlagert, dort arbeiten 400 Mitarbeiter für Peter Kaiser. In Pirmasens wurden 100 der bislang gut 400 Stellen abgebaut, allein 85 in der Produktion. Mit fast 20 Euro ist der Stundenlohn für gewerbliche Mitarbeiter in Pirmasens fast dreimal so hoch wie in Portugal. "Eigentlich lohnt die Produktion in Deutschland nicht. Aber von einer totalen Verlagerung haben die Gesellschafter Abstand genommen", sagt Ewig. "Sie bekennen sich klar zum Standort und zum Made in Germany." Man könnte auch sagen, in Pirmasens haben sie ein Gesicht zu verlieren, eine Achtung.

Die Abfindungen haben Ewig zufolge das Ergebnis belastet, 2011 lag es nur noch leicht im positiven Bereich. 2012 lag der Gewinn wieder im "hohen sechsstelligen Bereich". Der Umsatz stieg um drei auf 50 Millionen Euro. Bis 2016 will der Neue die Produktion von 940 000 Paar Schuhen im Jahr 2012 auf 1,2 Millionen steigern. Dafür reichen die derzeitigen Kapazitäten nicht aus. Ewig ist schon auf der Suche. "In Südeuropa, Spanien oder Portugal gibt es genug freie Kapazitäten." Dieses Jahr wird gefeiert. Das Überleben. Gemeinsam mit dem Berliner Label "C'est tout" hat Peter Kaiser eine Jubiläumskollektion gemacht: Schuhe mit goldfarbenen Sohlen.

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