Süddeutsche Zeitung

Schmuck:Um seine Hand anhalten

  • Mit unisex Partnerschaftsringen wendet sich die Schmuckindustrie zum einen an homosexuelle Paare.
  • Zum anderen aber auch an Frauen, die den Heiratsantrag selbst in die Hand nehmen.
  • Zahlreiche Juweliere haben ihr Angebot um genderneutrale Ringe erweitert - nennen diese aber Partnerringe anstatt Verlobungs- oder Eheringe.

Von Violetta Simon

Die Mode orientiert sich am Zeitgeist, alles andere wäre ja auch fahrlässig, und so kann es kaum überraschen, dass die Debatte um Genderneutralität längst auch in diesem Lebensbereich angekommen ist. Seit einiger Zeit schon baumelt daher das Label "unisex" an vielen Dingen, die sich früher auch ohne Label nicht klar nur einem Geschlecht zuordnen ließen. Seit Jahrzehnten tragen Frauen und Männer schließlich Rucksäcke, Hoodies, Jeans, Sonnenbrillen und Sneakers, ohne zu fragen, ob sie das eigentlich dürfen. Die Levis 501 gilt als eines der meistgetragenen Unisex-Modelle der Welt. Dass Echt Kölnisch Wasser im 18. Jahrhundert für Frauen und Männer gemacht wurde: geschenkt. Und wer bitteschön dachte bei den schäbigen Klos im ICE an Unisex-Toiletten, bevor die Wortschöpfung in dynamischen Start-ups eingeführt wurde?

Das Unisex-Accessoire der Saison ist allerdings kein Gepäckstück und kein Schuh, sondern ein Schmuckstück: der Unisex-Verlobungsring. Nicht nur homosexuelle Paare wurden von der Schmuckindustrie als Zielgruppe identifiziert, auch in heterosexuellen Beziehungen nehmen heiratswillige Frauen den Antrag auch mal selbst in die Hand statt abzuwarten und zu hoffen. Und auch Männer, die einen Antrag bekommen (egal ob von einem Mann oder einer Frau), tragen Ringe. Ehe für alle, seit bald zwei Jahren auch in Deutschland legal, bedeutet nun eben auch: Ringe für alle.

Das Versicherungsunternehmen "Protect your Bubble" hat herausgefunden, dass in Großbritannien die Umsätze bei Verlobungsringen zwischen 2016 und 2018 um 89 Prozent gestiegen sind. Zahlreiche Juweliere haben ihr Angebot um eine spezielle Auswahl erweitert, mit dem sie Paare aus der LGBT-Community ansprechen, wie zum Beispiel Woolton & Hewitt oder Stephen Einhorn. In England ist die gleichgeschlechtliche Ehe seit 2014 legal. Eine ähnlich starke Nachfrage hat sich in den USA entwickelt, nachdem die gleichgeschlechtliche Ehe hier legalisiert wurde. Jedes Jahr seien es mehr und mehr Aufträge geworden, berichtet die Designerin Shahla Karimi, die sich mit ihrer Serie "Every Love" an die Klientel richtet.

Selbst traditionelle Großunternehmen wie Cartier oder Tiffany & Co. gehen neuerdings auf die heterogenen Bedürfnisse der Millennials ein. Mit der "Will you?"-Kampagne sprach Tiffany erstmals gezielt gleichgeschlechtliche Paare an. Und präsentiert seither Ehe- und Partnerringe, die "Liebe in jeder Form repräsentieren", wie es auf der Webseite heißt.

Weniger Tradition, mehr Akzeptanz

Auch das Luxuslabel Cartier wagt mit Unisex-Modellen die Gratwanderung, die eigene Traditionen zu wahren und dabei die Lebensrealität potenzieller Kunden nicht aus den Augen zu verlieren. Die Ringe "Love" und "Juste un Clou", beidesKlassiker der französischen Schmuckfirma, werden auch für Männer angeboten - "Love" mit den integrierten Schräubchen sogar explizit als Verlobungsring für ihn. Wie ein Unisex-Ring aussehen soll, ist im Grunde zweitrangig. Es geht vor allem darum, wofür er steht: für eine Generation, die weniger auf Tradition setzt als auf Akzeptanz und die Definition eigener Werte.

Damit fällt eines aber schon mal flach: Auf keinen Fall darf man die Stücke Verlobungs- oder gar Ehering nennen! Jess Hannah Révész und Chelsea Nicholson, Gründerinnen des noch jungen US-Labels Ceremony, nehmen das V-Wort nicht in den Mund. Auch wenn ihre klassisch anmutenden Kreationen, die zwischen 500 und 17 000 Dollar kosten, genau so aussehen. Gedacht seien die Partnerringe als Symbole für "jede Art von Liebe", wird auf ihrer Webseite betont. Viele gleichgeschlechtliche Paare würden sich vom aktuellen Markt jedoch nicht angesprochen fühlen, sagte Révész der New York Times. "Und wenn doch, fühlte es sich eher nach Kampagne und Marketingtrick an."

Die deutsche Schmuckdesignerin Saskia Diez sieht den Trend mit gemischten Gefühlen. Zwar habe es eine positive Signalwirkung, wenn große Traditionsunternehmen sagen, sie seien genderlos. "Man sollte das jedoch ernst meinen - Schmuck sollte man immer ernst meinen." Häufig sei unisex nur ein Label. "Den Begriff gab es früher nicht, auch wenn ohnehin vieles unisex war, etwa die Eheringe", sagt Diez, die in einer kleinen Werkstatt im Münchner Glockenbachviertel begann und ihre Kollektion mittlerweile weltweit verkauft. Im Showroom der studierten Industriedesignerin wird man unter dem Attribut "unisex" nichts Spezielles finden - und doch alles Mögliche. Zwar muss man sich beim Durchstöbern der Webseite zunächst entscheiden zwischen der Kategorie Mann und Frau, zugleich werden viele Teile in beiden Sektionen angeboten.

Männern eine Brücke bauen

Oft sind es vor allem die männlichen Kunden, die in alten Strukturen verhaftet sind. "Sie denken, sie würden bei einer Schmuckdesignerin ohnehin nichts finden. Dass ein filigraner Ring verschwinden könnte an der breiten Hand. Oder dass sie unmännlich wirken." Für diese Kunden lässt sich mit dem Label "unisex" eine Brücke bauen. "Damit sie sich nicht über ihre Geschlechterrolle definieren, sondern über die Persönlichkeit". Ob Ring mit oder ohne Stein sei dann nurmehr eine Geschmacksfrage.

Eines Tages, da ist sich Saskia Diez sicher, werde man ohnehin nicht mehr nach Geschlecht unterscheiden, sondern nur nach Körperteilen: Schmuck für Ohr, Hand, Arm, Fuß oder Hals.

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SZ vom 27.04.2019/olkl
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