Süddeutsche Zeitung

Kolumne "Eigener Herd":Das Beste kommt zum Schluss

Lesezeit: 3 min

Parmesan ist schon lange auch ein Lieblingskäse der Deutschen und gerade eine der wichtigsten Zutaten der Lockdown-Küche. Doch was macht man mit all der Rinde? Völlig klar: Parmesan-Popcorn!

Von Marten Rolff

Selten ist so viel von Resteverwertung und Genügsamkeit die Rede wie zu Beginn des Jahres. Das liegt natürlich vor allem am Überfluss der Feiertage, von denen früher so viele Vorräte übrig blieben, dass damit theoretisch der Kalorienbedarf bis Mariä Lichtmess gedeckt war. Heute geht es eher um gute Vorsätze und moralischen Ablass, die Kilos sollen wieder purzeln, nach Völlerei und Verschwendung muss ja nicht nur der Körper ins Gleichgewicht gebracht, sondern auch in jeder Hinsicht nachhaltig gewirtschaftet werden.

Doch in den vergangenen Wochen war von all dem wenig zu spüren. Weder Kalorien noch Kulinarik zählen gerade viel. Das erschöpfte Lockdown-Deutschland verharrt kollektiv in einer Art Eh-schon-wurscht-Haltung, hat sich irgendwo eingeschludert zwischen Lieferando-Pizza Quattro Formaggi, Spaghetti Taka-Tuka und Lasagne XXL; das Ideal-Gericht soll im Moment bitte schnell hergehen, unbedingt auch allen Kindern schmecken, von innen wärmen, nicht nur einsame Singles trösten und nicht zu viel kosten. Praktisches Soulfood lautet die Devise. Und weil dafür alles gerade doppelt herzhaft überbacken gehört, sind die wichtigsten Reste, die anfallen, so ergab eine vollkommen unrepräsentative Blitzerhebung vom Home-Office-Sofa aus, ganz richtig: Käserinden.

Parmesan-Enden, um genau zu sein. Ja, kann man denn damit etwas anfangen?

Man kann. Wir möchten uns hier dafür nicht verbürgen, doch vertraut man auf italienische Käsehersteller (eine von Fall zu Fall unterschiedlich gute Idee), so handelt es sich bei der Rinde von Original-Parmigiano-Reggiano mit Herkunftssiegel um ein reines Naturprodukt, das man, gut abgewaschen, notfalls seinem zahnenden Baby in den Mund stecken könnte. Im besten Fall sollte Rinde jedenfalls nur mit Salzlake behandelter, getrockneter Käse sein, mit dem sich aromatechnisch einiges anstellen lässt.

In Italien gründen ganze Karrieren auf Parmesanresten. Die bekannteste ist die von Masssimo Bottura, zweimal zum besten Chef der Welt gewählter Überkoch aus Modena. Seine Popularität verdankt Bottura auch der Netflix-Serie "Chef's Table", wo er sich in der Pilotfolge als absoluter Parmesanprofi, vor allem aber als vielleicht brillantester Storyteller seiner Zunft erweist. Erzählt wird dort, wie im Mai 2012 durch ein Erdbeben in der Region Emilia-Romagna 360 000 Laibe Parmesan (à 40 Kilo) kaputtgehen, die Hälfte der Produktion. Bottura entwickelt flugs ein Rezept für ein Käse-Risotto ( "Risotto cacio e pepe") und startet einen Nachkoch-Aufruf, an dem sich 40 000 Menschen beteiligen. Am Ende entsteht der Eindruck, Bottura habe quasi im Alleingang für das solidarische Verkochen von mehr als 14 000 Tonnen Parmesan-Bruch gesorgt und die Händler so vor dem Ruin bewahrt.

Das ist ein wenig übertrieben, doch dass der Starkoch sich für Lebensmittelreste nicht zu schade ist, gilt als bewiesen. Er baute auf der ganzen Welt Tafeln für Obdachlose auf. Und als Bottura einmal im Wolfsburger Spitzenrestaurant "Aqua" gastierte, soll zwar einiges mit seinem Menü schiefgegangen sein; doch dafür zauberte er aus Parmesanrinden eine so göttliche Pastasoße für das Personal, dass ihm der Respekt der kompletten Drei-Sterne-Mannschaft sicher war, wie frühere Aqua-Köche bis heute schwärmen.

Das Rezept von damals war leider nicht zu kriegen. Doch ohnehin eignen sich Botturas oft weltberühmte Parmesankreationen nicht durchweg für die häusliche Lockdownküche. Und im Grunde ist es mit der Rinde einfach. Als echte Umami-Bombe kann sie vor allem schlichten Gerichten wie Risotto, Suppe oder Eintopf zusätzliche aromatische Tiefe verleihen. Rezepte gibt es zuhauf, doch das Prinzip ist immer ähnlich: Man säubert sie, entfernt vielleicht etwas Aufdruckfarbe mit einem Sparschäler und lässt sie dann wie eine Speckschwarte mitkochen. Besonders gut macht sie sich in Minestrone oder im toskanischen Schwarzkohleintopf "Ribollita".

Es geht allerdings noch sehr viel einfacher - mit Parmesanpopcorn. Nach einem Rezept der einflussreichen " Academia Barilla" in Parma, zuständig für Weiterentwicklung und Vermarktung der italienischen Küche. Dafür einfach die gesäuberte Parmesanrinde in Würfel schneiden (1,5 Zentimeter Kantenlänge), auf einen Teller mit Backpapier legen und ab damit in die Mikrowelle, auf höchster Stufe, für zwei, besser aber drei Minuten. Kurz abkühlen lassen, fertig ist der Käsecrunch. Geschmacklich irgendwo angesiedelt zwischen Schweinekrusten, Mirácoli-Topping und Puffmais, eignen sich die Würfel als Fernseh-Snack, aber durchaus auch für Caesar Salad.

Natürlich geht es hier um die böse Rezept-Kategorie "leider geil", die ihren Erfolg ja gerade der Tatsache verdankt, dass sie verlässlich alle kulinarischen und kalorischen Standards unterläuft. Aber keine Sorge, es muss ja niemand wissen, dass Sie dank Corona inzwischen bei der fünften Wiederholung von "Eat, Pray, Love" mit Julia Roberts angekommen sind und dabei nun abwechselnd vor Rührung weinen oder wohlig in sich hineingrunzen. Und auch nicht, dass Sie dieses Elend mittlerweile mit Popcorn aus Käseresten begleiten. Genuss hat viele Gesichter, und nein, keine Scham, dieses hier ist beileibe nicht sein hässlichstes.

Stellen Sie lediglich sicher, nach dem Lockdown auf dem Weg zum Wertstoffhof eine FFP2-Maske zu tragen. Dann wird Sie niemand erkennen, wenn Sie endlich - #Resteverwertung - Jogginghose, fettige Sofakissen und die doofe Mikrowelle recyceln lassen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5196390
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.