Online-Shopping:Kaufen, anziehen und dann retour

Unseasonably Warm Weather Could Weigh on 4Q U.S. Retail Sales

Nicht jeder probiert die neuen Klamotten vor dem Bezahlen an. Bei Online-Shops funktioniert das oft umgekehrt.

(Foto: Bloomberg)

Skrupellose Kunden geben Gebrauchtes als Neuware zurück. In den USA ist das sogenannte "Wardrobing" längst zu einem milliardenschweren Problem für den Einzelhandel geworden. Doch die Angst, Käufer zu verlieren, ist größer.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Es gibt eine Folge in der Fernsehserie "King of Queens", in der die Protagonistin Carrie glaubt, die Bekleidungsindustrie austricksen zu können. Sie kauft teure Klamotten in der Gewissheit, sie nach einigen Tagen zurückgeben zu können und ihr Geld zurückzubekommen. Sie entwickelt eine komplizierte Strategie, durch die sie stets perfekt angezogen zur Arbeit gehen kann - ohne auch nur einen Dollar dafür zu bezahlen. Ihr Mann Doug verliert bei einer Rückgabe die Nerven, doch natürlich gibt es - wie immer in Sitcoms - ein fröhliches Ende.

Im echten Leben gibt es zahlreiche Carries, die sich auf das sogenannte Wardrobing spezialisiert haben. Das entwickelt sich zu einem milliardenschweren Problem für den amerikanischen Einzelhandel. Es geht nicht mehr nur um die Rückgabe getragener Kleidung oder halb voller Parfümflaschen, sondern auch um kopierte Rabattcoupons, falsche E-Mail-Adressen und das Behalten von Geschenken. "Viele Menschen glauben, dass es sich bei der Rückgabe eines getragenen Kleidungsstücks um einen normalen und legalen Vorgang handelt. Dabei ist es ein Verbrechen, es ist Betrug", sagt Hitha Prabhakar, Autorin des Buches "Black Market Billions".

Die National Retail Federation (NRF) gab kürzlich an, dass der durch Wardrobing verursachte Schaden im vergangenen Jahr bei 8,8 Milliarden US-Dollar lag und dass mehr als 94 Prozent aller Einzelhändler betroffen waren. Andere Analysten wie Prabhakar vermuten, dass der Schaden aufgrund neuer und noch nicht erfasster Methoden gar noch höher ist: "Rückgabe-Betrug dürfte der Industrie etwa 15 Milliarden Dollar kosten."

Eine Schauspielerin in Los Angeles ist so eine reale Carrie. Wir wollen sie Alexandra Ryan nennen, weil sie ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Sie wirkte bei zwei Hollywood-Produktionen mit, meist ist sie in Werbefilmen zu sehen. Sie kann von ihrem Beruf leben, berühmt ist sie nicht. "Ich bin nicht wichtig genug, um zu Filmpremieren oder Verleihungen von Designern mit Abendkleidern ausgestattet zu werden", sagt sie. "Dennoch wird von mir verlangt, bei diesen Veranstaltungen teure Klamotten zu tragen. Das kann ich mir nicht leisten, für einen Abend so viel Geld auszugeben."

Wie frisch aus der Waschmaschine

Ihre Strategie: Sie kauft die Kleider, trägt sie einen Abend lang - und gibt sie dann zurück. Manchmal sprüht sie auf das getragene Kleid ein Parfum, dessen Duftrichtung auf der Flasche mit "Frisch aus der Waschmaschine" umschrieben wird: "Es muss aussehen und riechen, als hätte es immer in der Verpackung gelegen." Erwischt worden sei sie in mittlerweile mehr als zehn Jahren noch nie, ein schlechtes Gewissen habe sie nicht, schließlich borge sie die Klamotten nur. Sie fühlt sich eher wie ein moderner Robin Hood: Sie nimmt von den Reichen (den Geschäften) und gibt es den Armen (sich selbst).

62 Prozent der amerikanischen Einzelhändler haben laut einer Studie der NRF im vergangenen Jahr Wardrobing erlebt, knapp sechs Prozent aller Rückgaben geschehen nach Angaben der NRF mit betrügerischer Absicht. Wardrobing beschränkt sich nicht nur auf Kleidung: Vor dem Finale der Footballliga NFL etwa - auch dazu gibt es eine Folge bei "King of Queens" - kaufen sich Sportfans einen sündhaft teuren Fernseher und geben ihn in der Woche nach dem Endspiel zurück.

Bei bevorstehenden Unwettern decken sich Menschen mit Generatoren und Gaskochern ein - und bringen sie zurück, wenn der Sturm vorbei ist. Viele Geschäfte akzeptieren die Rückgaben, weil sie glauben, am Ende von der Kundenfreundlichkeit zu profitieren. Die Kaufhaus- und Versandhauskette Nordstrom etwa ist bekannt dafür, Artikel großzügig zurückzunehmen. Kunden bekommen oft Jahre nach dem Einkauf noch Geld für offensichtlich benutzte Artikel.

Das Ziel der Kundenbindung

"Es geht darum, eine langfristige Beziehung zu den Kunden aufzubauen", sagt Nordstrom-Sprecher John Bailey. Diese persönliche Beziehung ist wichtig für die Geschäfte, konkurrieren sie doch mit Online-Versandhäusern und müssen deshalb durch Service dafür sorgen, dass die Menschen in die Läden kommen - und dort auch etwas kaufen. In den vergangenen Jahren hat sich nämlich noch ein weiterer Trend entwickelt: Kunden gehen ins Geschäft und probieren dort so lange Klamotten, bis sie die passende Größe gefunden haben. Danach bestellen sie die Produkte im Internet, wo sie teils deutlich billiger feilgeboten werden.

Die Geschäfte setzen deshalb auf Kulanz: Macy's etwa hat die Rückgabefrist von 180 Tagen auf "unendlich" verlängert, die Kunden bekommen sogar dann Geld, wenn sie keinen Beleg vorweisen können. Gezahlt wird der geringste Preis, den das Unternehmen in den letzten sechs Monaten für das Produkt verlangt hat. Diese überaus lockere Politik der Unternehmen sorgt dafür, dass manche Kunden immer dreister vorgehen. Beim in den USA überaus beliebten "Buy one, get one free"-Prinzip kauft der Kunde einen Artikel und erhält ein zweites Produkt geschenkt, das weniger kostet. Bisweilen bekommen sie beim Überschreiten einer gewissen Summe (meist 50 Dollar) oder beim Hinterlassen der E-Mail-Adresse für Werbenachrichten ein Geschenk. Nur: Nach wenigen Tagen geben sie die Einkäufe zurück, die Präsente oder das One-free-Produkt behalten sie. Über mehrere E-Mail-Adressen geben sie sich immer wieder als Neukunden aus, durch unterschiedliche Geburtsdaten bekommen sie mehrmals pro Jahr Geburtstagsgeschenke oder -rabatte.

Überaus beliebt in den Vereinigten Staaten ist auch das sogenannte Couponing, das Sammeln von Rabattmarken. In der Realityshow "Here Comes Honey Boo Boo" zeigt die Mutter der Protagonistin, wie das in Perfektion aussieht. "Ich bin süchtig danach, das ist besser als Sex", sagt June Shannon und berichtet stolz davon, wie sie einmal einen vollen Einkaufswagen zur Kasse geschoben und nicht einen Cent für die Einkäufe bezahlt hat. Diese Coupons werden im Internet nicht nur getauscht, sondern auch kopiert und gefälscht.

Die Konsequenz: striktere Regeln

In manchen Foren werden gar Kassenzettel für beliebte Produkte angeboten, damit mehr Menschen den gleichen Artikel retournieren können. Natürlich ist es illegal, wenn Menschen dieses Produkt in einem anderen Geschäft gekauft oder es bei einem sogenannten "Sale" billiger erstanden haben - und mit einem falschen Beleg den vollen Kaufpreis haben wollen. Ebenso beliebt wie illegal: Einkauf mit gefälschten Geschenkkarten und anschließende Rückgabe gegen Bargeld. Etwa drei Viertel der Geschäfte haben das im vergangenen Jahr erlebt.

Die Einzelhändler beginnen nun vorsichtig, striktere Regeln einzuführen. Laut NRF halten 74 Prozent der Unternehmen ihre Mitarbeiter an, wenigstens die Identität der Zurückgeber zu überprüfen, doch nur etwa 13 Prozent der Geschäfte verlangen sowohl einen Kassenzettel als auch einen Ausweis. Das soll sich in den kommenden Monaten ändern, einige Geschäfte haben schwarze Listen eingeführt, um Kunden zu identifizieren, die es mit Rückgaben und Coupons übertreiben. Manche Einzelhändler erstellen kopiergeschützte Belege und richten eine Rückgabe-Datenbank ein, damit Belege nicht mehrfach verwendet werden.

Dennoch gilt nach wie vor: Nur ja nicht die Kunden verärgern. Die Kaufhauskette Bloomingdale's versieht seit wenigen Monaten Abendkleider, die mehr als 150 Dollar kosten, mit einem schwarzen Plastikschild. Wer das Kleid tragen möchte, der muss das sogenannte B-Tag abnehmen - eine Rückgabe ist dann nicht mehr möglich. Eine gute Idee, mag man meinen - doch sogleich gab es Furor bei Twitter und in Internetforen. "Bloomingdale's bekam Probleme mit den Kunden", sagt Prabhakar, "wer will sich schon mit einem Geschäft herumschlagen, das lästige Rückgaberegeln hat?"

Der Kunde ist König - auch wenn er sich wie ein Schurke benimmt. In wenigen Wochen findet in Los Angeles die Oscarverleihung statt. Ryan darf nicht ins Kodak Theatre, sie ist auf eine Party in den Hollywood Hills eingeladen. Sie wird hingehen, um Kontakte zu knüpfen, so läuft das nun mal in Hollywood. "Ich brauche ein Kleid und Schuhe", sagt Ryan.

Sie hat nicht vor, dafür zu bezahlen.

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