Süddeutsche Zeitung

Online-Handel:Kauf dich dumm und dusselig

Elektrische Ohrenputzer und grüne Kloschüssel-Beleuchtung: Her damit, kostet ja nur ein paar Euro. Die Shopping-App "Whish" steht für hemmungslosen - und sinnlosen - Konsum.

Von Laura Hertreiter

Die selleriegrüne Kloschüsselbeleuchtung für zwei Euro zum Beispiel. Das Glitzerbrautkleid für nur sechs Euro. Oder der elektrische Ohrenputzer für drei Euro. Wegschauen ist unmöglich, wer erstmals per App auf dem Online-Marktplatz Wish landet, muss weiterscrollen. Magnetohrringe zur Gewichtsreduktion, ein Euro. Saunagürtel, größenverstellbar, fünf Euro. Schlumpfblauer Kunstklee, vierblättrig, drei Euro. Mit jedem Bild, jedem Sonderpreis, jedem Wisch übers Display wird die eine Frage drängender: Wo zur Hölle ist man hier gelandet?

Die Antwort ist so erstaunlich wie die Tatsache, dass es einen Markt für grünes Klolicht gibt. Gerrit Heinemann, Handelsexperte der Hochschule Niederrhein, erklärt das Phänomen: "Wish ist ein Erfolgsmodell, ein absoluter Shooting Star." Und: "Apps wie diese sind die Zukunft." Und die ist keineswegs unproblematisch.

Die App

Wer Wish auf dem Handy öffnet, landet in einem digitalem Wühltisch. Sieht aus wie Instagram oder Pinterest, ein unendlicher Strom an bunten Bilderkacheln. Weil sich Nutzer mit ihrem Facebook-Profil anmelden, erkennt das Programm Alter, Geschlecht, Vorlieben, passt das Sortiment daran an - und wird mit jeder Suchanfrage besser darin, Wünsche zu erkennen, von denen der Kunde selbst noch nichts weiß.

Die Plattform mit Sitz in San Francisco vernetzt Kunden mit Herstellern von Billigware, die vor allem in Asien produzieren, und behält 15 Prozent Provision ein. In Plastik verpackt werden die Produkte direkt aus den Fabriken rund um den Globus verschickt - zu Versandkosten von wenigen Euro. Verkauft wird alles, was dafür klein und leicht genug ist und nicht zu offizieller Markenware zählt. Bademäntel, Schuhe, Smartphones, Sexspielzeug.

Was man geschickt bekommt, hat bisweilen wenig mit dem zu tun, was man bestellt hat. Peter Szulczewski, der Ex-Google-Manager, der Wish mit einem Ex-Yahoo-Manager gegründet hat, sagte einmal, man müsse chinesischen Händlern noch beibringen, dass Kunden keinen blauen Pulli wollen, wenn sie einen roten bestellt haben. Und dass sie keine Markenlogos auf ihre Produkte kleben dürfen.

Die bestellten Dinge landen nicht selten kaputt oder gar nicht beim Käufer, Foren sind voll von negativen Erfahrungsberichten. Der Versand dauert gern mal drei Wochen - was für Amazon-Kunden eine Beleidigung wäre. Klingt nach Katastrophe, ist aber das Gegenteil. Für Wish-Käufer ist Warten okay, weil sie keine Dinge bestellen, die sie brauchen, sondern Dinge, die eigentlich kein Mensch braucht. Und wenn das Zeug kaputt ankommt? Bestellt man bei den Preisen einfach noch mal, wisch.

Der Hype

Wish selbst beschreibt sich so: 300 Millionen Kunden, 300 000 Hersteller und zwei Millionen Bestellungen pro Tag. Forbes schätzte den Wert der Firma, die über 1000 Mitarbeiter hat, auf mehr als 8,5 Milliarden Dollar. Und die Branche hyperventiliert. Amazon soll mit einem Übernahme-Angebot von zehn Milliarden Dollar abgeblitzt sein, auch der chinesische Konkurrent Alibaba soll sich vergeblich bemüht haben.

Mehr als 40 Prozent der Online-Einkäufe in Deutschland wurden vergangenes Jahr über Smartphones und Tablets gemacht, mehr als die Hälfte davon über Apps. Und Wish, 2011 gestartet, verdrängt gerade die Konkurrenz. In den USA wurde die App 2017 häufiger heruntergeladen als das Programm von Amazon. Aktuell liegt sie nun auch bei iPhone-Nutzern in Frankreich und Großbritannien auf Platz eins der Shopping-Apps, in Deutschland auf Platz drei, weit vor deutschen Anbietern wie Zalando.

Die Gefahr

Der Erfolg liegt vor allem am Wühltischcharakter: Während die meisten Einkaufs-Apps auf möglichst präzise Produktsuchen angelegt sind, richtet sich Wish an Leute, die gern Stöbern und aus Lust am Konsum kaufen. Und denen Nachhaltigkeit und faire Produktionsbedingungen völlig egal sind. Denn die sind bei derart billigen Preisen nicht einmal mit viel Phantasie vorstellbar.

Wer also sind die Millionen Kunden, die in Plastiktüten verpackten Billigschrott aus China bestellen, in einer Zeit, in der selbst Discounterkunden Bioware kaufen, in der Berichte aus Dritte-Welt-Fabriken auch Billigklamottenhersteller zu nachhaltigen Kollektionen bewogen haben, in der es schick ist, Obst in der Ökokiste zu bestellen und Gin vom regionalen Hersteller?

Ingo Balderjahn leitet den Lehrstuhl für Marketing an der Universität Potsdam. Er sagt: "Die App verführt vor allem junge Leute dazu, dass sie sich dumm und dusselig kaufen." Und genau um die bemüht sich das Unternehmen. Laut Fortune-Magazin gab es 100 Millionen Dollar pro Jahr allein für Facebook-Werbung aus und zählt damit zu den größten Werbekunden des sozialen Netzwerks.

Balderjahn hat in Studien gezeigt, dass Nachhaltigkeit beim Kauf erst für Erwachsene eine Rolle spielt. "Im Schnitt kann man sagen: Je älter die Menschen sind, desto nachhaltiger kaufen sie ein, selbst wenn sie wenig Rente haben." Wischen, tippen, gern später bezahlen. "Dieses schnelle, niedrigschwellige Shopping führt leicht zum Kaufrausch", sagt er, "gerade bei jungen Leuten".

Ähnlich verhält es sich mit dem Bewusstsein für Datenschutz. Experte Gerrit Heinemann sagt: "Wir wissen aus Studien, dass Jugendliche das völlig entspannt sehen, wenn Apps wie Wish alles über sie wissen."

Und zu guter Letzt wäre da noch die quälende Frage, wer ich eigentlich bin, dass mir grünes Klolicht, elektrische Ohrenputzer und glitzernde Brautkleider angeboten werden.

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Quelle:
SZ vom 10.03.2018/vs
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