Ladies & Gentlemen:Haut und Spiele

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Die Turnerin Sarah Voss in ihrer neuen Dienstkleidung. (Foto: N/A)

Endlich voll angezogen oder immer noch fast nackt? Bei den Olympischen Spielen wird dieses Jahr viel über das angemessene Outfit der Sportler und Sportlerinnen gesprochen.

Von Julia Werner und Max Scharnigg

Ein langer Anlauf: Die Turnerin

Zum ersten Mal tragen Turnerinnen bei Olympia Ganzkörperanzug. Jahrzehntelang schienen knappe Bodys bei rhythmischer Sportgymnastik & Co. quasi eine gottgegebene Angelegenheit zu sein - als seien die Wahnsinnstaten dieser Frauen nur halbnackt überhaupt möglich. Jetzt endlich stellt das deutsche Team die entscheidende Frage: Warum? Der neue Anzug ist nicht weniger sexy als die Outfits jener Athletinnen, die immer noch den hohen Beinausschnitt favorisieren. Dabei ist die Verhinderung der freien Publikumssicht direkt in den Schritt, das weiß jede Frau, der erste Move Richtung Freiheit! Wie eine Wahnsinnige flikflaken und dabei auch noch Sorge haben, da könnte was verrutschen? Von den Jungs wurde so was nie verlangt, sie konnten sich schon immer voll und ganz auf ihre Kunststücke konzentrieren. So gesehen ist der neue Bodysuit, hier vorgeführt von Sarah Voss, eine Metapher für modernes weibliches Leben generell: Weniger Haut ist mehr, weil das Gehirnkapazitäten freisetzt. Was aber nicht heißt, dass eine Frau in einem Kartoffelsack rumlaufen muss! Aus Designsicht gibt es natürlich Kritikpunkte: Die Farbkombi erinnert an Zirkusakrobaten auf galoppierenden Pferden, und auf den obligatorischen Glitzer an Dekolleté und Armen hätte man verzichten können. Nachricht aus dem Mode-All an Turnverbandsentscheider: Strass ist kein Zeichen von Eleganz, und für moderne Sportlook-Inspiration muss man sich nur auf der Straße umschauen! Aber sei es drum: Dieser Olympia-Look ist trotzdem ein kleiner Schritt für eine Turnerin, und ein großer für die Menschheit.

Knappe Entscheidung: Kunstspringer Lars Rüdiger hat Bronze im Snychronspringen geholt. (Foto: N/A)

Ein kurzes Vergnügen: Der Kunstspringer

Alle zwei Jahre ertappt man sich bei der müßigen Überlegung, in welchen Disziplinen man selbst gerne zu Olympischen Spielen gereist wäre. Wenn man sich nicht für den endlosen Nervenkitzel des Schreibtischlebens entschieden hätte! Der Kunstspringer ist dabei meist nicht in der engeren Wahl. Aber warum eigentlich? Die Disziplin vereint Wagemut und Feingefühl, sie serviert ihre Helden spektakulär auf dem Präsentierteller, und wie man hier bei Lars Rüdiger sieht, ist eine nahezu ideale Muskelverteilung ein angenehmer Nebeneffekt. Klar, man ist als Springer nur sehr kurz im Bild, während sich Tennisspieler oder Langstreckenläufer stundenlang bei ihren Kämpfen und Krämpfen inszenieren können. Aber ist das der Grund? Oder doch eher, weil es für die meisten eine unbehagliche Vorstellung bleibt: Nackt bis auf ein winziges Höschen in zehn Meter Höhe zu stehen, beobachtet von einem Millionenpublikum? Wobei sich weder beim Athlet im Wettkampf noch beim Durchschnittsmann im Freibad das Unbehagen dabei um die Frage drehen dürfte, ob die Badehose alles verdeckt. Oder ob der eigene Auftritt gerade Anlass für sexistische Eskalationen ist. Dass man mit seiner Anatomie zur lustvollen Sättigungsbeilage der Sportschau degradiert wird, diese Sorge ist bei Männern herzlich unterentwickelt - und das ist unfair. Grund für Scham sind eher ein paar Kilo zu viel oder die Angst, nicht ganz den tollen Hecht ins Wasser zu bringen, den man auf dem Brett markiert. Anders gesagt: Wenn die Turmspringer morgen in Shorts anträten, gäbe es dazu keine Essays in den Zeitungen. Und wenn sie ganz nackt sprängen, wohl auch nicht. Aber dann gäbe es ein paar lustige Zeitlupenbilder.

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