Süddeutsche Zeitung

Trachten-Trends für das Oktoberfest:Treffen sich Nadelstreifen und Hackebeil

Die Tracht wird vornehmer - auch auf der Wiesn. Im Fokus stehen Handwerk und hochwertige Materialien. Kreative und modische Details kommen trotzdem nicht zu kurz.

Von Violetta Simon

Auch in diesem Jahr setzt die Oktoberfestmode auf Tradition - was keinesfalls zu verwechseln ist mit Stillstand, sondern Vivien Westwood zufolge etwas ist, mit dem man sich auseinandersetzen kann. Dementsprechend stehen 2019 die Zeichen auf Nachhaltigkeit. Verarbeitet werden vornehmlich hochwertige Naturmaterialien, die man jahrelang tragen kann, kombiniert mit Accessoires aus der (groß)mütterlichen Schmuckschatulle. Dirndl und Lederhosen zeigen Mut zur Eleganz, die ohne Blingbling auskommt. Brauchtum und Mode gehen dabei eine stilvolle Symbiose ein, Abwechslung erzeugen Farb-, Stoff- und Mustermix, aber auch die Kombination unterschiedlicher Schnitte. Eines bleibt wie gehabt: dass Dirndl und Lederhose richtig sitzen müssen.

Das Dirndl:

Die Tracht wird vornehmer. Printmotive werden kleiner und - statt in strahlendem Weiß - lediglich einen Halbton heller gedruckt. Dezente Nadelstreifen-Prints auf hochwertigen Stoffen bringen Eleganz ins Spiel. Für den urbanen Lifestyle-Touch sorgt die Capsule Collection des Münchner Labels "Distorted People": Erstmals ist das Logo mit dem gekreuzten Beil und der Rasierklinge auf einem Dirndlrock zu sehen.

Das Wiesndirndl im traditionellen Grundschnitt kommt in zwei Längen: knieumspielend oder wadenlang - je länger, desto festlicher. Mehr als 85 Zentimeter sind allerdings selbst auf Hochzeiten nicht mehr üblich und sieht nach Heimatmuseum aus. Sehr beliebt ist der Bahnenrock, der oben schmal ist und unten schwingt. Dazu trägt man einen Unterrock, der seinem Namen gerecht wird. Und unterm Rock bleibt.

Akzente setzen modische Stoffen und Schürzenbänder mit Ethno-Mustern, etwa von Kinga Mathe, oder ein Dirndl aus Leder von Meindl. Klassiker bleiben hochgeschlossene rustikale Waschdirndl aus Baumwolle oder schimmernden Jacquard-Stoffen, aber auch Samtdirndl - mit und ohne Ärmel, mit und ohne Schößchen. Baumwolle, Leinen, Seide und Samt werden miteinander gemixt, dabei nimmt sich der Dirndlrock optisch zurück, nach dem Motto "Oben spielt die Musik!"

Apropos: Ob hochgeschlossen oder ausgeschnitten, im Mittelpunkt steht auch heuer wieder das Mieder, das dank Samtstretch Luft zum Atmen lässt. Dekolleté und Saum sind liebevoll verziert mit kleinen Froschmäulchen, Herz- oder Muschelborten, die eine besondere handwerkliche Technik erfordern und von Heimschneiderinnen in Österreich und Ungarn von Hand gefertigt werden. Gabriele Hammerschick, Leiterin der Trachtenabteilung von Lodenfrey, freut sich über die Wertschätzung für solch hochwertige Details. "Das geht maschinell einfach nicht so gut". Die Knöpfe sind aus Perlmutt oder Altsilber und nur dezent verziert. Eine Silberkette, die zwischen Haken im Zickzack nach oben verläuft, das sogenannte Gschnür, überlassen wir den Trachtenvereinen - ein Satinband tut es auch. Ein Reißverschluss? Passt nicht ins Konzept, viel zu praktisch!

Farblich orientiert sich die Mode an der Natur. Angesagt sind vor allem erdige Töne wie Schoko und Karamell, dunkle Beeren und Pflaume oder warmes Curry und Kupfer, zu sehen etwa bei den Münchner Labels "Ludwig und Therese" oder "Gottseidank".

Letzteres setzt bei den einfarbigen Dirndln Akzente mittels Colourblocking: Janker und Schürze werden in Kontrast gesetzt.

Wenn es glamouröser sein soll, kann man mit einem edlen Festtagsdirndl (z.B. von Susanne Spatt) glänzen oder mit einem exzentrischen Entwurf (z.B. von Lola Paltinger) aus dem Rahmen fallen. Das offiziell teuerste Luxusdirndl des Jahres 2019 kommt übrigens vom Stuttgarter Label Kinga Mathe - für rund 50.000 Euro.

Die Bluse

Auch die Blusen kommen heuer edler daher: Puffärmel sind endgültig passé, über Carmenblusen müssen wir hier nicht sprechen. Ärmel sind gerade geschnitten und in allen Längen denkbar. Zu hochgeschlossene Modellen, die mittlerweile vor allem bei jungen Frauen zum guten Ton gehören, bilden kurze oder angeschnittene Ärmel einen hübschen Kontrast - genau wie der geschlitzte Stehkragen, der das Dekolleté ablöst. Baumwollblusen, aufgewertet durch Hohlsaum, Lochsaum, Lochstickerei, werden nach wie vor gerne getragen und sind beim Trachtenrock ein Muss. Beim Dirndl schätzt man Baumwolle in Kombination mit Häkelspitze, oft auch als Komfortzone am Rückenteil, auf jeden Fall mit Stretchanteil. Ansonsten ist edle Spitze das Material der Stunde, wie es etwa Gottseidank und Julia Trentini vorgemacht haben - in Weiß, Creme, mitunter auch Schwarz. Wer sicher gehen möchte, greift zum Body, damit nichts verrutscht.

Ganz ohne Bluse kommen Vintage-Dirndl mit Flügelärmchen aus, die weniger ausgeschnitten oder gar hochgeschlossen sind (z.B. von Trachtenheimat, Cocovero oder Wenger). oder die Trachtenkleider von Gottseidank, die man mit und ohne Schürze tragen kann. Allerdings muss am nächsten Tag das komplette Teil in die Wäsche.

Schürze, Schuhe - und was der Mann trägt

Sie besteht meist aus Leinen oder Baumwolle, manchmal aus Taftseide und gaaanz selten aus Spitze (etwa bei Fußballer-Ehefrauen). In dem Fall sollte man zumindest den Kauf eines zweiten Modells in Betracht ziehen. Nach wie vor höchst angesagt sind handgestiftelte Schürzen mit Stretchgürtel und Schmuckschließen aus Altsilber, gefertigt nach alten Vorlagen. So verrutscht nichts, zudem bleibt der Familienstand Privatsache. Wer Schleife bevorzugt, kann dafür mehr Schmuck tragen - beides wird des Guten zuviel. Überhaupt werden Accessoires mit Bedacht eingesetzt, schließlich ist man kein Pfingstochse.

Beim Schuhwerk geht so einiges von flach bis halbhoch, von Pumps bis Boot - was man im Alltag eben auch trägt, empfiehlt Nina Munz von Angermaier Trachten. Doch es gibt Grenzen. Haferlschuhe für Damen? "Können in die Kiste zur Carmenbluse". Sneaker? "Bitte nicht, auch keine weißen". High Heels? "Nur, wenn Sie darauf gehen können". Muss man wollen. Und Stiefel? "Damit sieht man schnell aus wie Gräfin Maritza". Fehlt nur der Blumenkranz. Schnürstiefel passen gut zu Vintagemodellen und den schweren gewebten Stoffen von Gottseidank - bei klassischen Modellen rät Munz eher davon ab.

Die Lederhose

Bei den Herren gilt nach wie vor: Die perfekte Lederhose endet oberhalb des Knies. Sie ist mit Stickereien verziert, in der Regel mit Eichenlaub-Motiven. Und das Wichtigste: Sie besteht aus hochwertigem, sämisch gegerbtem Hirschleder.

Damit ist sie eine echte Investition, die sich allerdings lohnt: Das weiche, beinah textil anmutende Leder ist unverwüstlich, die Hose wärmt im Winter und kühlt im Sommer. Außerdem leiert sie nicht aus, sondern dehnt sich beim Tragen dort, wo es nötig ist. Um den perfekten Sitz zu erreichen, empfiehlt sich, die Lederhose sehr knapp zu kaufen. Oder ein bisschen zuzunehmen - was auf der Wiesn nicht schwer sein dürfte.

Zur Lederhose werden ausschließlich Haferlschuhe (glatte) und gestrickte Strümpfe getragen, deren Farbe sich an der Stickerei der Hose orientiert. Oder natürlich an der Weste, die mittlerweile zum festen Bestandteil der Tracht gehört. Gut macht sich eine Samt- oder Lodenweste mit Stretch-Rückenteil in Nadelstreifenoptik. Die dehnbare Rückseite ist auch nötig, denn die kugelförmigen Knöpfe aus Altsilber werden - bis auf die ein, zwei untersten - geschlossen.

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