Oktoberfest:Ist Tracht eigentlich noch tragbar?

Dirndl Trend Olympia 1972

Dirndl-Trends 2018: Im Vordergrund Modell Monika von Gottseidank und zwei Hostessen bei Olympia 1972

(Foto: LIMBERRY; dpa; Jessy Asmus)

Guter Stil auf der Wiesn? Den beweist, wer die Regeln bricht. Jetzt interessieren sich auch Millennials wieder für Tracht.

Von Julia Werner

Falls jemand wissen möchte, was die Trends in Sachen Tracht sind für die diesjährige Wiesn - bitte schön: gedeckte Töne, Oliv und Dunkelblau. Midilänge bei den Röcken. Schlichte Materialien wie Leinen und Baumwolle sowie jede Menge Samt.

Aber halt: Im normalen Kleidungsalltag nimmt auch niemand mehr erfundene Modetrends ernst. Wieso sollte das beim Schürzen- und Rüschenspektakel Oktoberfest anders sein? Es geht doch vielmehr darum, was zu einem passt. Deswegen sollte auch die Frage, wie man Stil auf der Wiesn beweist, anders angegangen werden. Nicht als Trendgeplänkel, sondern ungefähr so: Ist Tracht eigentlich noch tragbar?

Unter Münchner Millennials scheint sich jedenfalls gerade eine gewisse Trachtenmüdigkeit breitzumachen. Die Liebe zu Miederkleid und Häkelstrumpf schwächelt also ausgerechnet an der süddeutschen Basis. Um zu verstehen, warum, muss man nur in der Bunten blättern. Für die aktuelle Ausgabe ließ sich die Digital-Bayerin Dorothee Bär auf vier Seiten in Dirndl-Kreationen ablichten. Die Staatsministerin trägt so etwas bekanntlich auch gerne zu offiziellen Anlässen, zuletzt in Kenia. "Für mich bedeutet Dirndl ein Stück getragene Heimat", sagt sie. Klar, so würden Millennials nie denken. Deren Heimat liegt irgendwo im virtuellen Raum - und sie haben folglich kein Bedürfnis, in Afrika durch weiße Puffärmel ihre Herkunft zu betonen. Moderner Lifestyle sieht so jedenfalls nicht aus.

Im Idealfall spiegeln sich in der aktuellen Mode gesellschaftliche Entwicklungen. Trachtenmode war davon jahrelang ausgenommen, ungefähr so wie Karnevalskluft (die nie den Anspruch hatte, echte Kleidung zu sein). Vielleicht ist gerade diese adrett-harmlose Neutralität in gar nicht harmlosen Zeiten ein Grund für das abflauende Interesse? Wobei auffällt: Das Angebot an hochgeschlossenen Blusen, seit einigen Saisons im Kommen, war nie größer als dieses Jahr. Man trägt sie unter weit ausgeschnittenen Dirndln. Wenn das kein Beitrag zur Sexismusdebatte ist, "Me Too" hat die Theresienwiese erreicht! Allerdings in einer abenteuerlichen Form von Bierzeltfeminismus: Von den Herren wird verlangt, dass sie, trotz Busenbalkon, den Damen in die Augen schauen. Kann man so sehen. Aber man muss (und will) es nicht als fortschrittliche Frau.

Dass wir wieder in den Neunzigerjahren landen, ist trotzdem unwahrscheinlich. Damals gingen Münchnerinnen der Gesellschaft in Jeans auf die Wiesn und hatten nur abfällige Blicke für die heillos unmodernen Trachtenträger. Nein, für so eine Kehrtwende ist das Wir-verkleiden-uns-als-Bayer inzwischen einfach zu großes Business. Der Wahnsinn begann Anfang der Nullerjahre, als Lederhosen und Dirndl plötzlich wieder schick waren. Die ländlich wirkenden Kleidungsstücke hatten schon mal eine ähnlich Erfolgsstory hingelegt, nach den Olympischen Spielen 1972. Ein Marketing-Genie steckte damals hübsche Frauen in Dirndl und pflanzte damit auf der ganzen Welt das Fantasiebild der sexy Bajuwarin in die Köpfe.

Seitdem werden wir beim Heimkommen aus den Sommerferien jedes Jahr von einem grellbunten Feuerwerk der Trachtentrends empfangen. Mit langen Modestrecken, Stylingtipps ("Aufbrezeln") und ganzen Etagen in Kaufhäusern. Es gibt außerdem immer mehr feine Nischenmarken, die sich auf Trachten spezialisieren. Und natürlich die Polyester-Massenware in der Innenstadt, flammend rosa und apfelgrüne Schürzen, wohin man schaut. Außerdem schafft es der Heidi-Look seit Jahren, als von Lodenfrey gesponsertes sogenanntes Advertorial, sogar in die Vogue. Dabei wird das Magazin national vertrieben - aber es ist immerhin möglich, dass die Hanseatin einen Businesstermin auf der Wiesn hat. Und das Schöne an Tracht ist ja, dass darin alle Menschen gleich lustig aussehen, egal, wo sie herkommen.

Das heutige Dirndl wurde für Hitler entworfen

Der klassische Dirndlschnitt mit einfachem Rock und schmaler Taille, den wir heute tragen, ist seit Langem unverändert. Er wurde in dieser Form von Gertrud Pesendorfer entworfen. Die Innsbruckerin leitete bis 1945 die sogenannte Mittelstelle Deutsche Tracht und arbeitete für Hitler emsig an der Neuerfindung eines Nationallooks, basierend auf regionalen Trachten. Deren Unterschiede sollten zunichtegemacht werden. "Zentnerschwere Röcke, Ungetüme von Hauben werden unsere Bäuerinnen nicht mehr belasten", schrieb die Nationalsozialistin in ihrem Werk "Neue deutsche Bauerntracht". Die Tracht sei ein Mittel, "unsere Art zu erhalten gegenüber allem Fremden". Jüdinnen war das Dirndltragen verboten.

Auch von "Überwucherung durch fremde Gewächse" schwadronierte Pesendorfer. Und sie schnitt, als Angriff auf die katholische Kirche, dem Dirndl die züchtig langen Ärmel ab. Auch die knappe Dirndlbluse, wie wir sie heute kennen, geht also auf ihr Konto. Ihr bis 2013 verlegtes Buch "Lebendige Tracht" gilt als Standardwerk. Pesendorfer konnte sich bis zu ihrem Tod als Instanz fühlen und prägte bis in die Achtzigerjahre unsere Vorstellung von traditioneller Bekleidung.

Wobei sich seither unter Stil-Gesichtspunkten Erfreuliches getan hat. Denn als sich der Käferzelt-Promi-Look (Organzabluse, Spitzenschürze, geschürzte Lippen) und die Touri-Aufmachung (Made-in-China-Dirndl auf Pofaltenhöhe, Heidizöpfe) optisch annäherten, setzte ein Umdenken ein. Jetzt wollen es alle extrapuristisch. Selbst die Fußballergattin möchte nun die Frau im schlichten Baumwolldirndl sein, die unter all den Billigoutfits so angenehm wirkt, dass sie für ihre Anmut und ihr Traditionsbewusstsein gelobt wird.

Ein reizendes Kompliment, natürlich - aber historisch kaum haltbar. Dirndl und Lederhose sind alles andere als die althergebrachte Wiesn-Uniform. Das Volksfest ist viel älter als das Bauernkleid, zum ersten Mal wurde es 1810 anlässlich einer Adelshochzeit gefeiert. Aber erst ab den 1880er-Jahren trugen Hofmägde überhaupt Dirndl, im Alltag, bei der Arbeit. Zur Freizeitkleidung wurde ihr Gewand erst sieben Jahrzehnte später, als Städterinnen mit Industrialisierungspanik bei der Sommerfrische in den Alpen das Dirndl imitierten und, je nach Gusto, verfremdeten. Es gibt also nicht den Wiesn-Look, er ist reine Geschmackssache.

Man muss deswegen nicht gleich auf Tracht verzichten. Guter Stil auf der Wiesn heißt eben: die von selbsternannten Brauchtumsspezialisten aufgestellten Regeln souverän zu brechen. Wie wäre es mit Western Boots zum Dirndl anstelle der ewigen braven Ballerinas? Oder statt Dirndl einen wunderschönen, von Lederhosen inspirierten Rock des Labels Feder Rock mit Strickjacke in Regenbogenfarben. Dirndl aus afrikanischem Wax-Stoff fertigt die Marke Noh Nee aus München. Und für die Herren gibt es, statt brachial kariertem Shirt, ein schmales, gekrempeltes, geradezu elegantes Trachtenhemd von "Hund sans scho".

Die Pesendorfer zitierte gern den von ihr verehrten Turnvater Jahn: "Solange eine klein gedrängte Völkerschaft noch ihre volkstümliche Kleidung trägt, ist sie gegen Einschmelzung geharnischt." Was volkstümliche Kleidung heute ist, das bestimmen auf der Wiesn zum Glück: dicht gedrängte Menschen aus aller Herren Länder. So gesehen ist das Oktoberfest sowieso das Epizentrum des weltoffenen, lässigen, kurz, des guten Geschmacks.

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