Süddeutsche Zeitung

Tracht im Büro:"Na, heute im Kampf-Outfit?"

Ist es albern, in Tracht zu arbeiten, nur weil man abends auf die Wiesn geht? Andererseits: Sich kurz zuvor auf dem Klo umzuziehen - ist das nicht noch alberner? Ein Selbstversuch.

Von Violetta Simon

Sie sind wieder unterwegs, die Dirndl- und Lederhosenträger. München ist voll davon. Schon morgens sieht man Menschen in schwingenden Röcken und Haferlschuhen das Haus verlassen. Da schau her, denkt man, die Frau Nachbarin geht heute feiern. Da fällt einem ein, dass der Wiesnbesuch mit Kollegen ansteht. Und dass man noch keine Antwort auf die Frage gefunden hat, wo das Dirndl solange hingehört: an den Leib oder in die Tasche? Sprich: ob einem die anderen schon morgens in der Tram ansehen sollen, dass man den Feierabend in einem Bierzelt verbringen wird.

Als gebürtige Münchnerin hat man ja meist ein entspanntes und gesundes Verhältnis zu Tracht. Schließlich erscheint man zu Familienfeiern durchaus schon mal im Dirndl. Auch bei einer Landhochzeit kam es bereits zum Einsatz. Und doch fühlt sich das Ritual - Mieder knöpfen, Schürze binden, Schmuck aus Altsilber anlegen - auf nüchternen Magen fremdartig an. Unvorstellbar, dass der Chef die Konferenz in der Krachledernen leitet. Oder die Chefin einem im geschnürten Mieder gegenübersitzt. Unwahrscheinlich aber auch, dass sie einen dafür aus dem Saal verweisen.

Es hilft nichts, außer es auszuprobieren - also Augen zu und durch. In der Tram begrüßt einen die erste Kollegin auch gleich mit den Worten "Na, heute im Kampf-Outfit?" Womöglich eine Anspielung auf das, was einen später im Bierzelt bei der Suche nach einem Sitzplatz erwartet? Und täuscht es oder öffnet sich die Schiebetür am Haupteingang zum Bürogebäude an diesem Tag mit einem wirklich viel zu auffälligen Tataaa!? Ein Hintereingang wäre jetzt recht. Und seit wann ist das Foyer überhaupt so übertrieben weitläufig?

Im Aufzug wünschen einige Kollegen "Viel Spaß!", andere erkundigen sich scheinheilig "Na, wo geht's denn heute noch hin?" In der eigenen Abteilung angekommen, wird abgerechnet: Die Trachtendichte beträgt 20 Prozent, zwei von zehn - eine Kollegin und ein Kollege sind bereits eingekleidet. Angeblich aus praktischen Gründen, Umziehen und so. Egal, es sieht umwerfend aus. Beim Gruppenfoto sind spätestens jetzt Anzeichen von Verunsicherung, ja sogar Reue zu erkennen - bei jenen, die gekniffen haben und Zivil tragen.

Die Skrupel waren offenbar überflüssig. Im Laufe des Tages erntet das Dirndl viele Komplimente, selbst von Menschen, die einen gar nicht kennen. Und dennoch ist man darin ebenso alleine, als wäre man im Tenniskleidchen oder in Bergsteigerklamotten zum Meeting erschienen. Während in manchen Betrieben ganze Abteilungen in Tracht kommen und sich nach Feierabend auf den Weg Richtung Theresienwiese machen, sieht man in anderen Münchner Unternehmen nur vereinzelt Personen in volkstümlicher Garderobe.

Aus dem Etagen-WC kommen plötzlich Menschen in Tracht

Warum eigentlich? Gehen Mitarbeiter bestimmter Branchen aus Prinzip nicht miteinander aufs Oktoberfest? Natürlich. Tragen sie dort niemals Tracht? Aber sicher. Doch warum erwischt man die dann so gut wie nie damit, weder im Flur noch in der Konferenz - wohl aber einige Stunden später im Zelt auf der Bierbank balancierend, lauthals "Cordula grüüün" grölend? Irgendwie müssen diese Menschen ja hineinkommen in den Fummel, zwischen Büro und Bierzelt.

Tatsächlich macht ein beträchtlicher Anteil der kollegialen Trachtenträger eine Art Metamorphose durch, um für den Eintritt ins Bierparadies angemessen gekleidet zu erscheinen. Allerdings keine im Sinne der griechischen Mythologie, etwa wie Odin, der sich vorübergehend in einen Wurm verwandelte, um an den Dichter-Met zu gelangen. Sondern eher eine überaus weltliche Verwandlung: Sie führt auf das Etagen-WC, das man in Büroklamotten betritt - und in Dirndl oder Lederhose wieder verlässt. Andere deponieren Dirndl und Lederhose gar im Auto und nutzen die Umkleide im Untergeschoß neben der Garage.

Im Grunde habe sie ihr Dirndl gekauft, um endlich Ruhe zu haben, sagt eine Kollegin. Sie wollte nicht mehr danach gefragt werden. Offenbar gilt die Tracht vielen als Verkleidung, die man trägt, um sich nicht ausgeschlossen zu fühlen. Und genau das ist ja auch die Aufgabe einer Tracht: die Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen oder regionalen Gruppe zu demonstrieren.

Doch zu welcher Gruppe fühlt sich jemand zugehörig, der nach Feierabend auf dem Klo verschämt in seine Tracht hineinschlüpft? Eindeutig zur Teilzeitgruppe der Wiesnbesucher. Eine verschworene Gemeinschaft, die von 18 - 23 Uhr in einem Parallelkosmos lebt. Eine Welt, in der sich Angehörige unterschiedlichster Regionen und Kontinente zuprosten, während sich Banksteher und Hockenbleiber stoisch ignorieren. Eine Welt, in der das Afterwork-Bier in Litern gezählt und in Scheinen bezahlt wird. Wo einen der Bierdurst nicht nur viel Geld - sondern mitunter auch Haltung und Würde kosten kann. Und man auch als Nicht-Kölner für einen Abend so tun darf, als würde man "Das Leben, die Liebe und die Lust" lieben.

Verständlich, dass die meisten das lieber für sich behalten, statt sich zu outen. Jetzt ist auch endlich klar, was der Begriff Wiesn-Outfit zu bedeuten hat.

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