Essen und Trinken:Das Hühner-Start-Up

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Lars Odefey mit einem seiner französischen Hühner der Rasse "Chair Fermier Rouge" auf der Weide. (Foto: Nora Reinhardt)

Der Landwirt Lars Odefey feiert mit nachhaltiger Geflügelmast auf seinem Hof nahe Uelzen in Niedersachsen große Erfolge. Dass Bio sich rechnen kann, hat er bei Prinz Charles gelernt.

Von Nora Reinhardt

Lars Odefey möchte eines seiner Hühner fangen, um es auf den Arm zu nehmen. Er kniet sich hin. Einen Menschen bei einem aussichtslosen Unterfangen zu beobachten ist immer interessant. Odefey möchte sich nicht blamieren, aber die Hühner wollen einfach in Ruhe picken. "Ich tu euch doch nix", sagt Lars Odefey, und Tatsache, ein Huhn kommt näher und lässt sich schnappen. Dann schiebt er hinterher: "Naja, zumindest jetzt noch nicht."

Damit ist das Businessmodell von Lars Odefey beschrieben: Er tut seinen Hühnern nichts, bis er ihnen dann doch etwas tut. Aber bis dahin lässt er eine Geduld walten, die in seiner Branche kaum noch jemand hat. Er füttert die 1800 Hühner auf seinem Hof nahe Uelzen in Niedersachsen dreimal pro Tag per Hand. Er lässt sie auf einer Weide frei herumlaufen und fährt die Hühner in mobilen Ställen auf nicht abgegraste Stellen. Er lässt sie fressen, wachsen und gedeihen. Nach drei Monaten schlachtet er sie auf seinem Hof, verkauft das Fleisch über seinen Onlineshop und verschickt sie per Paket. Odefey fühlt den Bauch der Henne auf seinem Arm: "Noch viel zu mager", sagt er, lacht, und setzt die flatternde Henne ab.

Lars Odefey, 36, ist ein sehr blonder Norddeutscher und einer jener modernen Landwirte, die statt Blaumann und Gummistiefeln bei der Arbeit Skinny Jeans und Sneaker tragen. Er ist ein Beispiel für den Trend, dass neuerdings auch die Geschichte der Lebensmittelproduzenten interessiert. Während früher die Köche die alleinigen Genies waren, die mit Zutaten arbeiteten, die irgendwoher kamen, stehen heute auch die Produzenten im Scheinwerferlicht. Das perfekte Produkt ist heute genauso wichtig wie eine raffinierte Idee.

Der Bauer als Marke. Das Restaurant des feinen Atlantic-Hotels in Hamburg etwa schreibt heute stolz "Odefey & Töchter-Weidehuhn" auf die Speisekarte. Nur zwei Jahre, nachdem er mit den Hühnern begonnen hat, liefert Lars Odefey an etliche Spitzenrestaurants, vom "Aqua" in Wolfsburg über den "Söl'ring Hof" auf Sylt oder das "Einsunternull" in Berlin. Allerdings hatten die auch schon vorher Huhn auf der Karte und nicht gerade auf Odefey gewartet. Zumal ein Huhn bei ihm 25 Euro kostet. Odefey telefonierte viel - Begeisterung löste seine Verkaufstaktik anfangs nicht gerade aus. Küchenchef Micha Schäfer vom Berliner Sternerestaurant "Nobelhart&Schmutzig" urteilte: "Das Huhn schmeckt gut, ist jetzt aber auch nicht der Wahnsinn." Andere hätten da womöglich aufgegeben, Odefey hat das erst richtig motiviert.

Der Hof von Lars Odefey nahe Uelzen in Niedersachsen: Apfelbäumchen, Trecker, freilaufende Hühner - ein Instagram-Traum. (Foto: Nora Reinhardt)

Wie er über die Wiese läuft, auf der gackernde Hühner in der Sonne picken, in der Kulisse stehen ein krumm gewachsenes Apfelbäumchen und ein Retrotrecker, da denkt man schnell: zu schön, um wahr zu sein. Das Hoffestplakat sieht aus wie das für eine Kunstausstellung; es gibt Kiezkneipenböden, die klebriger sind als Odefeys Ställe. Der ganze Hof ein Instagram-Traum; im Grunde fehlt nur noch der Cold Brew für die Hühner. Das Geschäft mit den paar Hennen dürfte eigentlich gar nicht laufen. Die Frage ist nur: Wie tut es das? Indem man etwas anders macht. Und das Geschäft beginnt mit dem Töten. Wer das nicht kann, dem nutzt das schönste Idyll nichts.

Als Lars Odefey das Hühner-Business aufzog, hatte er noch nie ein Huhn geschlachtet: "Ich wusste nicht, ob ich das Huhn vom Leben in den Tod überführen kann." Diese Prozedur beginnt am Sonntagabend. Odefey hebt die Hühner in Kartons und stellt diese vor den Schlachtraum, wo die Tiere über Nacht schlafen. Noch im Dunkeln, was stressfrei ist, nimmt er Huhn für Huhn aus dem Karton und schlägt ihm mit einem Eichenstock auf den Hinterkopf, das Tier stirbt sofort. Zwei ältere Damen helfen beim Ausnehmen, Rupfen und Säubern der Hühner in einem Raum, in dem beißender Geruch in der Luft hängt. "Ich träume immer wieder davon", sagt Odefey. Wenn er 200 Hühner hintereinander geschlachtet hat, sei er körperlich und mental fertig. "Selbst intelligente, aufgeklärte Menschen wollen nicht darüber nachdenken, dass es zuerst ein Tier und dann ein Stück Fleisch ist." Er würde sich wünschen, dass sich jeder beim Biss in die Wurst frage, ob das Tier ein gutes Leben gehabt habe.

Früher hatte die Familie Rassehühner zum Eierlegen. Geschlachtet hat die Nachbar Heini, der damals schon so gut wie blind war. Odefey erzählt: "Der stellte einen Holzblock auf, schlug zwei Nägel hinein, die er nach innen bog, legte den Hals dazwischen und hackte mit einer stumpfen Axt ewig herum, weil er ja nicht viel sah. Die Hühner rutschten herunter und liefen oft noch weiter, Blut spritzte gen Himmel." Kindheitserinnerungen. Seitdem hat sich viel geändert, das Tierwohl steht im Fokus. Odefey hat nicht nur den Anspruch, es besser als Heini zu machen, sondern auch als die Schlachtmaschinen der Industrie.

Sein Geschäft ist das in der Nische einer Nische. Weniger als fünf Prozent des Fleisches in Deutschland sind Biofleisch. Odefey gibt seinen Hühnern deutlich mehr Platz als die strengsten Bioregularien verlangen würden. Die konventionelle Geflügelmast erlaubt Gruppengrößen von 30 000, die Bionorm 4800. Bei Odefey leben auf der Weide immer 300 Hühner zusammen. Das Gesetz erlaubt, sie 8 Stunden, teilweise sogar länger, zum Schlachten zu transportieren - um immer noch als Bio zu gelten. Denn für das Schlachten von Tieren, die später als Biofleisch verkauft werden, gelten die gleichen EU-Richtlinien wie für konventionell gehaltene Tiere.

Wie Lars Odefey auf dem eigenen Hof schlachten? Das macht ein noch kleinerer Prozentsatz der Biolandwirte, denn das ist mit extrem hohen Auflagen verbunden. Noch die kleinste Abweichung wird registriert. "Letztes Mal nahm der Kreisveterinär ins Protokoll auf, dass ich keine weiße Jeans beim Schlachten trug", erzählt Odefey. Wichtig, um Verunreinigungen sofort sehen zu können. Nun trägt er weiße Jeans.

Odefeys Hühner sind für die Spitzengastronomie interessant, er verkauft schon mal 200 Tiere pro Woche - ein Umsatz von 5000 Euro. "Meine Hühner können sich natürlich nur die großen Restaurants leisten", sagt Lars Odefey. Ein ganzes Huhn wird im Lokal dann auch mal für 120 Euro angeboten oder aus einem Huhn werden fünf kleine Portionen. Auf der Website von Lars Odefey kann man auch privat bestellen, drei Hühner für knapp 90 Euro inklusive Versandkosten. Der Preis erscheint genauso absurd wie die neun Euro, die drei Hühnchen im Supermarkt kosten. "Sogar Vegetarier bestellen bei mir, die mal wieder ein Hühnchen essen wollen." Ihnen sei wichtig, dass das Tier würdevoll lebte und starb.

Plötzlich hält der Bauer inne, sieht in den Himmel. Ein Fiepsen. "Bussard oder Habicht", sagt Odefey. "Die Greifvögel warten im Baum ab und stechen dann wie ein Pfeil nach unten und schnappen sich die Jungen mit zartem Fleisch." Ohne zu bezahlen. Ein Nebeneffekt der Freilandhaltung.

Odefey hält auch Nackthalshühner, denen ihr langer Hals und ihr kleiner Kopf ein schalkhaftes Aussehen verleihen. (Foto: Nora Reinhardt)

Odefey hat durch sein Ökologie-Studium Fachwissen, kann über extensive Rassen, die Nachteile von "JA 757" und Hybridkreuzungen sprechen. Er recherchiert viel. Beim Hühnerfest, zu dem Sterneköche anreisen, soll es Kammragout geben. Inzwischen hält er rote Bauernhühner, "Chair Fermier Rouge", und 50 "Cous Nu", Nackthalshühner, die einen kleinen Kopf haben, der sie schalkhaft aussehen lässt. Odefey suchte nach der Kritik von Küchenchef Micha Schäfer eine neue Rasse, hangelte sich von Züchter zu Züchter, bis er im Elsass landete, wo er jeden Monat 800 Küken holt.

Zum Hoffest in Niedersachsen reisen Spitzenköche an. Es soll Kammragout geben

In der höfischen Gesellschaft gab es Bauern, Kaufmänner und Adlige. Jeder gehörte einer Gruppe an. Heute kann man wie Odefey Landbesitzer, Kaufmann und Bauer gleichzeitig sein. Internet und Paketversand machen die Direktvermarktung möglich. Odefey, der Start-up-Bauer. England hat sogar einen Thronfolger, der Landwirt ist, Prinz Charles. Bei ihm hat Odefey auch gelernt, auf der "Duchy Home Farm", Teil des Landsitzes Highgrove und die bekannteste Biofarm der Welt, "rund um die Uhr von Polizisten bewacht", sagt Odefey. Als 23-Jähriger arbeitete er auf den Feldern und in den Ställen des künftigen Königs. "Es ist nicht so, dass Charles dort Geld reinpumpt. Der Betrieb macht Gewinn. Genau das wollte er zeigen: Dass man mit nachhaltiger Landwirtschaft Geld verdienen kann." Prinz Charles besuchte Highgrove oft sonntags. "Er erkundigte sich bei mir, wie es mit den Schafen so laufe, was es Neues gibt." Der Prinz kenne sich sehr gut aus, baue Kalksteinmauern und pflanze Hecken. Auf Odefeys Zeugnis prangt das Wappen des Herzogtums Cornwall, darin werden seine Zähigkeit, aber auch sein Humor gelobt - eine hohe Auszeichnung aus England.

Der Landwirt Lars Odefey füttert seine französischen Hühner drei Mal täglich per Hand mit einer ausgetüftelten Mischung aus Raps, Mais, Weizenkörnern, Kartoffel-Eiweiß und Mineralien. (Foto: Nora Reinhardt)

"Biolandwirtschaft ist im großen Stil möglich", sagt Odefey. Das ist gut, denn dass Bürger demnächst 25 Euro pro Mahlzeit ausgeben - unrealistisch. Vermutlich ginge es, indem man Strafen für Billigfleisch verhängt und Biofleisch subventioniert. Odefeys Drei-Punkte-Plan: Erstens müsse weniger Fleisch gegessen werden. Zweitens müsse das ganze Tier verarbeitet werden. "Zwei Brustfilets haben 400 Gramm, die restlichen 1,3 Kilo bleiben übrig. Viele Reste werden dorthin exportiert, wo Füße und Köpfe verramscht werden. Solche Exporte werden durch Subventionen unterstützt, was etwa in Kenia die Preise der Bauern versaut." Drittens: "Man muss, wie in der Schweiz, die Qualitätsstandards für Fleisch anheben." So könne man schon in fünf Jahren etwas verändern.

Nur einmal stellten Odefeys Hühner ein nationales Sicherheitsrisiko dar. Eine Mitarbeiterin des Innenministeriums hatte für das Wochenende Hühner bestellt - ins Büro. Die wurden wie üblich in einem Karton mit Stroh und Eis versandt. Die Hühner waren ausgeliefert, aber nirgends zu finden. Am Montag kam ein Anruf aus der Sicherheitsabteilung: Man habe hier ein suspektes Paket. Die Security, auf Erpressungsversuche und Terror geeicht, war nicht auf Premium-Hendl eingestellt. Kein Problem: Die Hühner waren auch nach drei Tagen noch genießbar.

© SZ vom 25.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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