Nordic Design:Gar nicht mal so schlicht!

Svensk Tenn ist das traditionsreichste schwedische Designunternehmen.Profite spielen bei der Firma längst keine Rolle mehr.

Von Kathleen Hildebrand

Das soll schwedisches Design sein? Ausladende, rundliche Polstersofas, die aussehen, als könnten sie Dreimetermenschen verschlingen, bezogen mit kribbelbunten, groß gemusterten Stoffen. Vorhänge, auf denen exotische Pflanzen in alle Richtungen wuchern, Blüten in Rot und Orange, Blätter in schreiendem Türkis. Stühle aus glänzendem Mahagoniholz. Unbehandeltes Kiefernholz, natürliche Grau- und Beigetöne? Fehlanzeige. Wo, fragt man sich im überbordend üppigen Ladengeschäft von Svenskt Tenn, bleibt die gemütliche Askese des skandinavischen Minimalismus?

Gerade hier hätte man sie erwartet, denn Svenskt Tenn, übersetzt "schwedisches Zinn", ist eines der ältesten und traditionsreichsten schwedischen Einrichtungsunternehmen. Gegründet 1924 von der Zeichenlehrerin Estrid Ericson als Werkstatt für Zinngeschirr und -kunsthandwerk, ist Svenskt Tenn heute Hoflieferant für alles, was mit Einrichtung zu tun hat. Ganze Ausstellungen widmeten sich schon der Ästhetik des Unternehmens. Seine Möbel und Accessoires sind teuer und exklusiv, das einzige Ladengeschäft - neben einem kleinen Shop in Göteborg - residiert im Erdgeschoss und der ersten Etage eines prunkvollen Gründerzeitbaus an Stockholms Luxusboulevard, dem Strandvägen. Gleich nebenan steht das berühmte Grand Hotel, gegenüber legen weiße Schiffe ab, hinaus zu den Inseln im Schärengarten.

Der Wiener Josef Frank, der es gerne bunt und üppig mochte, prägt den Stil der Firma bis heute

Neun Uhr morgens an einem Dienstagmorgen im Spätsommer, ein kühler Wind fegt schon an den großen Schaufenstern des Ladens entlang. Eigentlich öffnet der erst eine Stunde später, aber Thommy Bindefeld ist schon da und macht die Tür auf, hinter der dunkles Holz, elegante Lampen und weiche Polster die Kälte draußen vergessen machen. Er ist ein schlanker, zarter Mann mit sehr dunklen Augen und sehr kurzen Haaren, sein Zehntagebart ist akkurat gestutzt. Bindefeld ist Kreativdirektor und Marketingchef von Svenskt Tenn, eine ungewöhnliche Doppelfunktion, die ihn zum Chefverwalter des ästhetischen Erbes von Svenskt Tenn macht. Ein Erbe, das maßgeblich der aus Wien stammende Architekt Josef Frank geprägt hat. Estrid Ericson holte ihn 1934 als Chefdesigner zu Svenskt Tenn. Die Firma hatte sich unter ihrer Führung schnell von der kleinen Zinnwerkstatt zum eleganten Einrichtungsgeschäft entwickelt. Josef Frank sagte zu, nicht zuletzt, weil der Nationalsozialismus für ihn als Juden in Österreich immer bedrohlicher wurde.

Die Tausenden Entwürfe, die er bis zu seinem Tod 1967 für Svenskt Tenn anfertigte, lagern in einem Archiv am Ufer des Mälarsees. "Wir ändern fast nichts an seinen Entwürfen", sagt Thommy Bindefeld, "fügen höchstens mal ein paar Zentimeter an der Höhe eines Tischs hinzu. Die Menschen werden ja immer größer." Svenskt Tenn bringt nicht jede Saison eine neue Möbelkollektion heraus, es gibt auch keinen Katalog, der an Millionen Menschen ausgeliefert wird. Bindefelds Aufgabe ist es nicht, jeden Monat ein neues Sofa zu erfinden, obwohl es immer wieder Kooperationen mit jungen Designern gibt, die neue Stücke für Svenskt Tenn entwerfen. Vor allem hält er die Designs von Josef Frank lebendig. Die Designfirma ist "klein und geheim", sagt Bindefeld. Vielmehr vergleichbar mit einem sehr schicken Museum, dessen Exponate man kaufen kann.

Mit Josef Frank änderte sich der anfangs schlicht-elegante Stil von Svenskt Tenn. Der Designer brachte Farbenfreude nach Stockholm, üppige, organische Formen und neue Materialien wie Teak, Rattan, Mahagoni und Marmor, von der englischen Arts-and-Crafts-Bewegung inspirierte Muster. Für die schwedische Designwelt, damals durch und durch vom Funktionalismus des Bauhaus geprägt, war das ein Affront. "Seine mitteleuropäische Ästhetik kam in ein kaltes, minimalistisches Land", sagt Thommy Bindefeld. Und: "Josef Frank hatte einen humanistischen Blick auf Design."

Elegant sollten seine Interieurs sein, vor allem auch heimelig und auf keinen Fall monoton. Stühle etwa konzipierte er so leicht wie möglich, mit offenen Rückenlehnen, um keine zusätzlichen "Wände" in den Raum zu ziehen. Seine Vision war die einer weicheren, menschlicheren Moderne, verwurzelt in der Vergangenheit, aber nicht romantisch verklärt. Ein wie zufälliges Design als Alternative zum strengen Bauhaus. "Das Wohnzimmer, in dem man frei leben und denken kann", schrieb er 1958 in der in Designfragen tonangebenden schwedischen Zeitschrift Form, "ist weder schön noch harmonisch noch photogen. Es ist auf Grund von Zufälligkeiten entstanden, ist nie fertig und kann alles in sich aufnehmen, um die wechselnden Ansprüche seines Bewohners zu erfüllen." Die Redaktion setzte neben den Text eine Distanzierungserklärung.

Doch Svenskt Tenn wurde immer erfolgreicher. Estrid Ericson sorgte mit ihrem Auge für Arrangements dafür, dass Franks Designs in Ausstellungen und im Laden am Strandvägen perfekt zur Geltung kamen. Nach der Weltausstellung 1937 in Paris schrieben Zeitschriften auf der ganzen Welt Lobeshymnen auf das Gespann Ericson / Frank, rühmten Charme und Erfindungsreichtum von Svenskt Tenn. Estrid Ericson wurde zur Meisterin der schwedischen Moderne erklärt. Josef Frank schrieb später mit der Grandiosität des Außenseiters, er habe den skandinavischen Stil kreiert. Einen Stil, der bis heute immer wieder Einfluss auf das Design der Gegenwart nimmt. Wer einen Ikea-Katalog aufmerksam durchblättert, findet Textilmuster, in denen man das wilde Geranke, die leicht naiven Blätter- und Blütenformen von Josef Frank erkennt. Schielt Ikea manchmal ein bisschen zu sehr in den Strandvägen, bevor es neue Designs in seine Möbelhäuser bringt? Thommy Bindefeld antwortet diplomatisch: "Das würde ich nicht sagen. Es gibt zwei Arten, mit vorhandenem Design umzugehen: Man kann sich davon inspirieren lassen. Das ist immer eine Ehre. Oder man kopiert es, und das ist nicht akzeptabel."

"Wenn es die Designs überall zu kaufen gäbe, wären die Leute bald gelangweilt."

Estrid Ericson verkaufte ihr Unternehmen 1975 an eine Stiftung, die Forschungsförderung in den Lebenswissenschaften betreibt. "Unsere Profite kommen der Forschung zugute", sagt Thommy Bindefeld, "im Gegenzug kann Svenskt Tenn niemals bankrottgehen. Wir müssen deshalb nicht nur an den Gewinn denken, sondern können alle Entscheidungen mit einer sehr langfristigen Perspektive treffen." Svenskt Tenn arbeitet zum Beispiel fast ausschließlich mit schwedischen Handwerksbetrieben, die Rattanmöbel werden ein paar Straßen weiter in einer Kellerwerkstatt gebaut.

"Es gibt etwa 200 Designs, die überdauern sollen. Wenn es sie überall zu kaufen gäbe, wären die Leute bald gelangweilt." Die üppig weichen Sofas und zarten Mahagoni-Schränkchen wird es also auch in Zukunft nur im Strandvägen geben und im Webshop von Svenskt Tenn. Die Exklusivität garantieren aber auch die Preise. Ein schlichtes Rollo aus einem der von Josef Frank entworfenen Stoffe kostet mehr als 500 Euro. "Svenskt Tenn ist nicht für jeden, die Produkte sind kostspielig, weil gutes Handwerk eben Geld kostet", sagt Bindefeld streng. Und zieht einem auch noch den letzten Hoffnungszahn: "Einen Sale wird es bei Svenskt Tenn niemals geben."

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