Süddeutsche Zeitung

No-Make-up-Bewegung:Ungeschminkte Perfektion

Unter dem Hashtag #nomakeup posten Cindy Crawford, Alicia Keys und Gwyneth Paltrow Selfies, die sie ohne Schminke zeigen. Doch wie schaffen es die Stars, trotzdem so unverschämt gut auszusehen?

Von Violetta Simon

"Ohne meinen Visagisten bin ich nichts!", sagten prominente Frauen früher gern. Pamela Anderson zum Beispiel, die frühere Baywatch-Hauptdarstellerin, verkündete, nach dem Aufstehen sei sie noch nicht Pamela Anderson - sondern müsse erst in einer dreistündigen Prozedur zu Pamela Anderson gemacht werden. Ein bisschen Koketterie mag dabei gewesen sein, doch im Grunde hatten Anderson und ihre Kolleginnen recht. Hollywood-Größen und Musiker verkauften uns den Traum vom perfekten Überwesen. Dafür ließ man sie auf den roten Teppichen antanzen und weidete sich an ihrem Anblick.

Seit Botox und intravenös verabreichtes Hyaluron Allgemeingut sind, haben perfekte Gesichter ein Glaubwürdigkeitsproblem. Vor allem aber macht sich zunehmend Unmut breit über das allzu bereitwillige Erfüllen gängiger Schönheitsideale - weiblicher Unmut, hauptsächlich. Der Feminismus gewinnt im Showbusiness immer mehr Anhängerinnen und dazu gehört auch der Ruf nach einer neuen Natürlichkeit.

Unter dem Hashtag #nomakeup posten A-, B- und C-Promis ungeschminkte Selfies von sich - aus dem Bett, der Küche, dem Badezimmer. Stars wie Gwyneth Paltrow, Kylie Jenner, Gigi Hadid, Beyoncé and Laverne Cox signalisieren ihren Fans: "Sieh her, ich bin ein ganz normaler Mensch." In Klammer sollte man allerdings dazulesen: "Nur, dass ich ohne Schminke eindeutig besser aussehe als du." Zwangspause für Visagisten, könnte man denken.

Sängerin Alicia Keys ist zur Symbolfigur des Make-up-Verzichts geworden, weil sie die Sache radikaler betreibt als ihre Kolleginnen. Seit Mai schminkt sich die 35-Jährige nicht mehr. Warum, hat sie in Lena Dunhams Newsletter Lenny erklärt. Sie sei es leid, alles, was sie ausmache, hinter einer Schminkschicht zu verstecken - nur, um einer Vorstellung von Perfektion zu entsprechen, die ihr von außen aufgedrückt werde.

Es kam ein Gesicht von natürlicher Schönheit zum Vorschein: jung und zerbrechlich, ein wenig irritierend, wie aus der Zeit gefallen. Dieses Gesicht präsentierte die Sängerin auf dem Cover ihres neuen Albums, aber auch auf der Bühne, auf dem roten Teppich, im Fernsehstudio der aktuellen "The Voice"-Staffel und bei den MTV Music Awards Ende August.

Die Reaktionen waren beeindruckend und verheerend zugleich. Manche jubelten über diesen mutigen Schritt, andere brauten aus ihrer Kritik an Keys' verändertem Aussehen einen Shitstorm zusammen und bestätigten damit deren Argumentation über festgefahrene Schönheitsideale.

Jetzt bekommen beide Seiten neues Futter: Die Visagistin der Sängerin hat sich zu Wort gemeldet. Alicia bekomme regelmäßig Gesichtsbehandlungen mit Gurke und Eis oder lasse Akupunkturen vornehmen, sagte die Visagistin dem W-Magazin. Außerdem treibe sie Sport und ernähre sich gesund. "Sie weiß, dass man innerlich in seine Haut investieren muss, damit sie äußerlich großartig aussieht."

Mit diesem Statement klären sich nun verschiedene Dinge. Erstens: Hinter diesem neuen, nackt anmutenden Gesicht steht eine Frau. Mal abgesehen von der wahren Alicia Keys, die jetzt viel besser zur Geltung kommt, handelt es sich um eine Visagistin, deren vorrangige Aufgabe es ist, eben dieses Make-up überflüssig zu machen.

Und noch etwas wissen wir jetzt: dass sich Alicia Keys ihr Gesicht einiges kosten lässt. Statt Schminke führt sie ihrer Haut täglich Selbstbräuner, Anti-Aging-Serum und eine mattierende Lotion zu. Ein Brauenstift dient zum modellieren von Fake-Sommersprossen, ein wenig Cremerouge noch - fertig. Alles in allem kostet der Spaß mehr als 300 Euro.

Nie waren prominente Gesichter so angewiesen auf die Künste der Make-up-Artisten wie seit #nomakeup. Nun, da die Stunde der ungeschminkten Wahrheit geschlagen hat, ist ihr Wissen gefragter denn je. Und das alles nur aus einem Grund: Um der Welt zu beweisen, wie verdammt perfekt ihre Kundinnen aussehen.

Vielleicht nicht perfekt im Sinne eines Schönheitsideals, das in Hollywood seit Jahrzehnten gepflegt wird. Aber doch unerreichbar für viele andere Menschen, die sich keine sündteuren Pflegeprodukte leisten können - und auch niemanden, der sie optimal aufträgt.

Damit wären wir wieder beim ursprünglichen Bekenntnis aller Hollywood-Damen: "Ohne meinen Visagisten bin ich nichts!"

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