New York Fashion Week:Pöbel in der Front Row

LC Lauren Conrad - Front Row - Spring 2016 New York Fashion Week

Schauspieler, Models und reiche Unternehmer besetzen normalerweise die erste Reihe bei Modenschauen. Das Label Givenchy will jetzt auch ganz normalen Menschen Plätze in der Front Row geben.

(Foto: AFP)

Nach Kim Kardashian und Kanye West setzt das Label Givenchy bei seiner Show jetzt auch Normalsterbliche in die begehrte erste Reihe. Fashion fürs Volk - oder doch PR?

Von Silke Wichert

Wenigstens in der Modewelt kann die Demokratie noch Erfolge verzeichnen. Wenn nach New Yorker Ortszeit an diesem Freitagabend um 18.30 Uhr die Show des französischen Labels Givenchy beginnt, werden im Zuschauerraum nicht wie sonst nur Fachpublikum und geladene Gäste sitzen, sondern - Sensation! - auch Normalsterbliche. 820 Tickets wurden über das Internet zugeteilt, wer sich zuerst registrierte, bekam den Zuschlag. Anna Wintour, Chefin der amerikanischen Vogue, dürfte unter dem einbetonierten Pony kurz der Schweiß ausgebrochen sein: Jetzt fällt in dem einst so aristokratisch geprägten System auch noch die letzte Bastion.

Auf Kim und Kanye folgt - das Volk

Givenchy-Designer Riccardo Tisci ist ohnehin eher Populist. Der Italiener setzte als Erster Kim Kardashian und Kanye West in die Front Row, als die gemeinhin noch "bäh" waren, er wirbt in seinen Anzeigen plakativ mit Konkurrentin Donatella Versace - und nun also das gemeine Volk. Da kann Hedi Slimane mit seinem Punk-Chic für Saint Laurent endgültig einpacken - wer heute noch für Aufregung sorgen will, macht das nicht mit ein paar Kleidchen, sondern erschüttert die Grundfesten. Die versammelte Presse von CNN bis New York Times sowie sämtliche Modeblogs reagierten erwartungsgemäß mit einem kreischenden "O-M-G!"

Dabei ist die Öffnung der Modenschauen nur die logische Konsequenz einer immer durchlässiger werdenden Branche. Mode ist zum Massenphänomen geworden, das viele Anhänger so gebannt verfolgen wie eine bis unter die Zehennägel ausstaffierte Reality-Soap. Wo bei den Schauen früher nicht einmal Fotokameras zulässig waren, wird heute per Live-Stream jedes Detail übertragen.

Name auf die Gästeliste gehackt

Aber nur am Bildschirm in der ersten Reihe zu sitzen, ist eben doch nicht ganz dasselbe, wie mit Topmodels und der Vogue-Riege die gleiche Luft zu atmen. Mancher Modefan hat schon die Computer von PR-Firmen gehackt, um seinen Namen auf die Gästeliste zu schmuggeln; wenn Chanel seine ohnehin zum Spektakel stilisierte Show öffentlich machen würde, könnte die Marke locker ein Fußballstadion füllen. Wie viele jetzt versuchten, ein Ticket für Givenchy zu ergattern, gab die Marke nicht bekannt, der Andrang sei jedoch "überwältigend" gewesen, hieß es.

Riccardo Tisci erklärte die neue Volksnähe in einem Interview mit dem Branchendienst WWD mit seiner Herkunft. Das jüngste Kind einer Großfamilie wuchs mit acht Schwestern auf, der Vater starb früh, die Mutter hatte nie Geld - da sei es immer sein Traum gewesen, "Teil dieser Welt zu sein, die der Laufsteg war", sagte Tisci. Für ihn ging er später in Erfüllung, weil Gott ihm dieses "schöne Karma" mitgegeben habe, jetzt könne er ein bisschen davon zurückgeben.

Von der Fashion-Show in den Flagship-Store

So eine Geschichte klingt natürlich rührender, als zu sagen: "Hey, wir machen in New York gerade unseren neuen Flagship-Store auf - kann sich irgendwer vielleicht eine bessere PR dafür vorstellen?" Nur deshalb zeigt Givenchy im Übrigen diese Saison nicht wie sonst in Paris.

Und wie es sich für ein Mega-Event gehört, wird es auch noch so etwas wie eine Vorgruppe geben: Die Performance-Künstlerin Marina Abramović, eine Freundin von Tisci, ist ebenfalls angekündigt. Der Ort der Show wurde zunächst geheim gehalten, vorab sickerte lediglich durch, dass sie auf offener Straße stattfinden würde, Tausende Schaulustige garantiert.

Zurück zur Mode

Vor allem die Konkurrenz wird sich nun das Spektakel am Freitag genau ansehen. Läuft das Experiment reibungslos ab, benehmen sich die Zivilisten gut und bleiben hübsch getrennt von Fachpublikum und Prominenten, dürften die nächsten Marken nachziehen und ihre Shows auf die ein oder andere Art öffnen. Alle gewiss nicht, denn den Gegentrend zu immer größer und bombastischer werdenden Shows gibt es natürlich auch. Die Präsentationen von Labels wie Alexander McQueen oder Gucci wurden zuletzt eher wieder kleiner, exklusiver, offenkundig mehr auf die Mode konzentriert.

Ah ja, die Mode! Zum Zehnjährigen wird auf dem Laufsteg "Tisci pur" erwartet. Der Italiener hat eine Vorliebe für Gothic, gern mit Street Fashion gepaart. Sicher wird es etwas sein, das man auf amerikanischen Straßen tragen will. Aber erinnern werden sich daran in ein paar Jahren nur die wenigsten, an den ersten Einmarsch des Pöbels dafür alle. So schreibt man Modegeschichte.

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