Farbtrend:Willkommen in der Grauzone!

Grauzone

Grau ist ebenso edel wie tolerant.

(Foto: dpa, Armedangels, AFP, Apple; Bearbeitung: SZ.de)

Möbel, Mode, Mobiltelefone: Plötzlich ist alles grau. Über die Rehabilitierung einer Farbe, die mal für Langeweile, schlechtes Wetter und Sehschwäche stand.

Von Anke Eberhardt

Spätestens als es auch die Blue Jeans erwischte, hätte man das Ausmaß des Grauen erahnen können. Denn wenn etwas, welches das Blau sogar im Namen trägt, plötzlich dauernd in einer anderen Farbe auftritt, darf man schon stutzig werden. Und dann auch noch in Grau, einer ehemals verpönten Nichtfarbe.

Die Farbe Grau verdrängt das Blaue - bei Hosen und in Möbelgeschäften

Farbtöne namens "Misty Grey" oder "Charcoal" haben die Blue Jeans also nun flächendeckend und unisex ersetzt und die Hose ist damit keineswegs allein: Während Grau lange Zeit allenfalls als die öde Verwandtschaft der Dauerbrenner Weiß und Schwarz durchging und der Volksmund graue Mäuse seit jeher belächelte, ist von der Hose übers Handy bis hin zur Haarfarbe derzeit fast alles grau in grau. "Grau ist zurzeit die modernste Farbe und unglaublich en vogue", bestätigt dann auch die Schweizer Designerin Joan Billing, die unter anderem für Trendikone Li Edelkoort arbeitet.

Ein Vormarsch, den auch jeder bestätigen kann, der in letzter Zeit ein Möbelgeschäft betreten hat. Denn kaum eine Couch, die nicht in Asche, Taube oder Schiefer in die Ausstellungsräume gestellt wird. "Grau ist so populär, dass wir viele Produkte sogar in mehreren Grautönen anbieten", heißt es zum Beispiel bei den hippen dänischen Möbelmachern von Muuto. Stuhl, Regal, Lampe, Teppich - fast jedes Produkt im aktuellen Katalog von Muuto ist in grau zu haben, der graue Einrichtungsmarkt floriert wie noch nie.

Der gegenwärtige Grauschleier ist kein neues Phänomen

Warum aber regiert die Farbe gerade jetzt weltweit Wohnzimmer und Laufstege? Wie kann es sein, dass eine Farbgruppe, die einstmals als trist und unscheinbar galt, auf einmal die Trendreports dominiert?

Zunächst einmal ist der gegenwärtige Grauschleier kein gänzlich neues Phänomen. Niemand weiß das so genau wie die amerikanische Firma Pantone,die die schier unendlichen Schattierungen des Regenbogens katalogisiert und mit ihrem Farbfächer die Bibel jedes Grafikers und Designers herausbringt. Wie "Pussywillow Gray", "Wet Weather" und Co. in der Mode zum Einsatz kamen, wird in Buchform in "Pantone on Fashion - A Century of Color in Design" beschrieben: Schon in den späten 1940er Jahren zeigten Balmain, Balenciaga und Dior wieder Grautöne in ihre Nachkriegskollektionen und überwanden damit die Assoziation mit grauen Wehrmachtsuniformen.

In den Achtzigerjahren dann, gestaltete Giorgio Armani nicht nur die Inneneinrichtung seiner Boutiquen am liebsten in Grau, seine persönliche Nuance "Greige", eine Mischung aus Grau und Beige, macht sich bis heute selbst auf Fingernägeln hervorragend.

Grau drückt ein Bedürfnis nach Sicherheit aus

Die Gründe für Grau haben weit mehr als nur "Fifty Shades". So erklären sich die Farbexperten von Pantone das Wiederaufleben von Grau zum Beispiel als eine Reaktion auf die Finanzkrisen unserer Zeit. "Mit Technologie als Treiber, der uns mit Informationen überfrachtet und unserer Wirtschaft, die zu wanken begann, gibt es eine Bewegung des Rückzugs und des Minimalisierens", erklärt Laurie Pressman, Vizepräsidentin des Pantone Color Institutes. Infolge dessen "drücken die Grautöne unser Bedürfnis nach Sicherheit aus und unseren Wunsch, uns nach innen zu kehren und uns von der hektischen und chaotischen Welt, in der wir leben, zu schützen."

Sabine Resch, Studienleiterin für Modejournalismus an der Akademie Mode & Design in München ergänzt, dass die Verknüpfung von Grau mit Moderne und Technik zu kurz gedacht sei und nicht außer Acht gelassen werden dürfe, dass Grau schließlich auch die Farbe der Steine ist. "Grau ist also einerseits eine Farbe aus der Natur, aber auch des Urbanen", so Resch. "In dieser Wechselwirkung steht auch der Zeitgeist: zum einen das Lob des Landlebens und der Nachhaltigkeit, zum anderen die Suche nach Optimierung des Stadtlebens. Wir erleben gerade einen Hype um Land und Stadt zugleich."

Grau vereint aber nicht nur Natur und Zivilisation, es vermittelt seit jeher auch eine gewisse, männliche Eleganz, man denke nur an die grauen Westen des klassischen Cutaways oder Gregory Peck in seiner Rolle als "The Man in the Gray Flannel Suit". Während Weiß mitunter klinisch und Schwarz gewollt artifiziell wirken können, bleibt deren Mischfarbe so erhaben wie die grauen Schläfen eines alterweisen Mannes - der selbst angesichts des gefärbten "Granny Hair" von Lady Gaga die Contenance bewahrt.

Grau ist edel, aber auch praktisch

Grau ist ebenso edel wie tolerant. Trendforscherin Joan Billing betont zum Beispiel, dass Grau neben dem Wunsch nach Sicherheit auch aufgrund seiner vielen Facetten als Spiegel der Gesellschaft angesehen werden kann. "Wir wollen nicht mehr polarisieren, sehen nicht mehr nur alles schwarz-weiß, sondern wollen differenzieren und integrieren. Grau weist Zwischentöne auf. So wird Grau die Königin der neutralen Farben und fungiert als Diplomat."

Diese Diplomatie ist natürlich auch im Spiel, wenn Mann und Frau vor der Wahl eines Sitzmöbelbezugs stehen und sich anstelle von schwarzem Leder oder burgunderfarbenem Alcantara auf einen Wollstoff in Anthrazit einigen. Grau ist schließlich eine Farbe, die geschlechterübergreifend gefällt. Und, nebenbei gesagt, Bröselflecken hervorragend kaschiert.

"Grau ist definitiv einer unserer Topseller", heißt es auch aus dem Hause des Möbelspezialisten Knoll. Wenn dort für fünfstellige Beträge Designersofas ausgewählt werden, ist die Farbwahl womöglich nicht auf hochkomplexe gesellschaftliche Strömungen zurückzuführen, sondern am Ende einfach nur praktisch? So wird grauen Gebrauchtwagen vom Verband der Automobilindustrie auch ein hoher Wiederverkaufswert bescheinigt - der sich vielleicht auch durch eingesparte Besuche in der Waschanlage amortisiert. Grau ist eben pflegeleicht.

Und wer sich ein teures Smartphone kauft, setzt heute immer noch häufiger auf Silbergrau als auf Kupfer oder Gold. Denn wer weiß, ob man sich daran nicht doch sattgesehen hat, bevor das nächste Modell herauskommt? Auch bei Pantone beobachtet man, "dass die zuverlässigen Grautöne vor allem bei jenen Produkten dominieren, die als langfristige Investitionen gelten." Kein Zufall also, dass es in der Mode gerade oft teuren Materialien graut, wie Seide bei Isabel Marant oder Cashmere bei Tom Ford, deren Wertigkeit zwar offensichtlich ist, die dank Grau aber trotzdem nie protzig wirken.

Auch immer mehr Wohnungen werden zur Grauzone

Auch wer nicht alle paar Jahre seine Wohnung streichen möchte, ist mit grauer Wandfarbe gut beraten. Das bestätigt unter anderem Louisa Grey, Interior-Designerin aus London, "und zwar nicht nur aufgrund meines Nachnamens", wie sie betont. "In den letzten Jahren hat die Popularität der Farbe unglaublich zugenommen und nachdem inzwischen selbst Beton in der richtigen Kombination gemütlich wirken kann, werden immer mehr Wohnungen zur Grauzone."

Auch Joan Billing sieht in der Vielfältigkeit der Farbe eine ihrer größten Stärken. "Grau steht vor allem für Wandelbarkeit, denn es passt sich wie ein Chamäleon an jedes Outfit, jede Einrichtung und Stimmung an."

Und Modetheoretikerin Sabine Resch stimmt in den Lobgesang mit ein: "Während Weiß einfach nur klassisch ist, Schwarz die Räume optisch verkleinert, weil es Licht schluckt; und man sich an satten Farben wie Rot oder Blau an der Wand auch schnell satt gesehen hat, trägt Grau dazu bei, einen Raum zu veredeln. Mit einer zusätzlichen anderen Farbe kombiniert, ergibt sich ein optimales Farbkonzept, weil Grau andere Farben neben sich gut dastehen lässt, statt sich selbst in den Vordergrund zu stellen." Das gilt sowohl für knallige Töne als auch für Pastell oder Metallic, denn Grau hat im Farbspektrum keine Gegenfarbe und erzeugt nicht so harte Kontraste wie Schwarz oder Weiß.

Erstaunliche Wandlung einer Farbe also, die vormals hauptsächlich für schlechtes Wetter, Trübsinn und Sehschwäche stand. Dass Understatement, Minimalismus und der Wunsch nach Beständigkeit in unsere Zeit passen, ist nicht zu leugnen. Und welche Farbe könnte dies besser transportieren als eine, die selbst gänzlich neutral ist und deswegen immer wieder neu aufgeladen und kombiniert werden kann?

Doch grau, teurer Freund, ist alle Theorie. Schlussendlich besteht die größte Kraft des Grauen vielleicht eher darin, dass es auch mit seinem neuen Charakter und noch so vielen Laufstegauftritten immer noch nicht als echte Trendfarbe erkannt wird. Wenn Senfgelb kommt, merkt es jeder. Senfgelb verschwindet aber auch bald wieder, denn der Sättigungseffekt tritt schnell ein. Grau hingegen hat wenige optische Kalorien und wird immer ein bisschen übersehen. Grau ist funktional. Grau ist praktisch. Und deswegen langlebig. Nie könnte es Opfer einer flüchtigen Mode werden! Es ist also keines, dass die Blue Jeans und das Wohnzimmer gerade ihr graues Wunder erleben.

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