Süddeutsche Zeitung

Stars ohne Make-up:Oben ohne

Lesezeit: 2 min

Cindy Crawford, Alicia Keys und Gwyneth Paltrow verzichten offensiv auf Make-up. Mit femininem Selbstbewusstsein hat das nicht viel zu tun.

Von Miriam Collee

Es begann leise, fast unbemerkt. Erst postete Sharon Stone ein Selfie, ungeschminkt am Küchentisch sitzend, mit Hund Joe auf dem Schoß. Die eigentliche Überraschung war dabei nicht, dass sie mit ungeschminkten 57 Jahren unfassbar gut aussah, sondern dass auch Hollywood-Stars in ziemlich normalen Resopal-Einbauküchen leben.

Dann erfreute Cindy Crawford ihre Fangemeinde mit einem make-up-freien Bild zu ihrem 50. Geburtstag.

Und natürlich musste man bei einem Hashtag, der Verzicht beinhaltet (#nomakeup) auch nicht lange auf ein Selfie der laktose-, gluten- und zuckerfreien Gwyneth Paltrow warten, die sich ungeschminkt mit einer Pulle Wasser an den Lippen zeigte, ein paar zarte Fältchen über Mund und Stirn offenbarend, der Rest der 41-jährigen Haut leuchtete dank grüner Smoothies, Yoga und Vaginaldampfbädern makellos in der Morgensonne.

Die Botschaft an die Fans: Ich bin wie du.

Noch vor ein paar Jahren bekam man Stars nur auf Paparazzifotos so zu sehen, wie die Natur sie schuf. Heute erledigen sie es selbst. Das hat den Vorteil, dass man der Natur heimlich doch etwas nachhelfen kann: mit hautton-korrigierenden Colour Corrector-Cremes, flüssigen Highlightern, getönten Tagescremes, Wimperngel und Augenbrauenpuder. Hinter dem neuen Promi-Trend steckt ein simples PR-Prinzip: Nähe aufbauen. Die Botschaft an die Fans: Ich bin wie du. Das klappt mal mehr, mal weniger gut.

Wenn It-Model Gigi Hadid ein laszives "Woke-up-like-this"-Selfie direkt aus dem Bett ins Internet stellt, hat sie mit normalsterblichen Frauen etwa so viel gemein wie ein Mango-Quinoa-Salat mit einem Nackensteak. Bei Sängerin Adele hingegen funktioniert die ungeschminkte Wahrheit bestens: Als sie im August ein ausverkauftes Konzert absagen musste, verkündete sie die schlechte Nachricht in einem Video auf Twitter - "bare-faced", also oben nackig, ohne Lidstrich, dafür mit roter Nase und aufgequollenen Augen. Statt enttäuschter Wut-Postings hagelte es mitfühlende Genesungswünsche und Sympathiebekundungen.

"Genauso müssen wir dich ablichten! Roh und echt."

Gibt man bei Instagram den Hashtag #Nomakeup ein, erscheinen mehr als 12,4 Millionen Beiträge von A-, B- und C-Promis und ihren Followern, inklusive "Make-up free Mondays" und "Fresh Faced Fridays". Fast hätte man diesen Trend samt den dazugehörigen No-Make-up-Tutorials auf Youtube genervt ad acta gelegt, da geschah etwas. Die Sängerin Alicia Keys gesellte sich auch zu den schminkfreien Jüngern und meint es besonders ernst damit. Denn die 35-Jährige hatte beschlossen, komplett auf Schminke zu verzichten, nicht nur für Selfies aus dem Wohnzimmer, sondern auch dort, wo es wirklich wehtut: auf der Bühne, dem roten Teppich, im Fernsehen. Nicht um zu kokettieren, sondern um eine Revolution auszulösen.

Sie sei verschwitzt aus dem Gym gekommen, berichtet Keys von ihrem Schlüsselmoment, ein Tuch um die Haare gewickelt, nicht den Hauch von Mascara oder Concealer im Gesicht, als eine Fotografin rief: "Genauso müssen wir dich ablichten! Roh und echt." Das nervöse, unsichere Gefühl beim Shooting wich schnell einem anderen: "Ich habe mich nie schöner, mächtiger und freier gefühlt", schrieb Keys in einem Essay für Lena Dunhams Newsletter-Magazin Lenny. Seit sie berühmt sei, habe die Show-Industrie sie zu einem Chamäleon gemacht: "Ich war nie ich selbst, sondern habe mich immer angepasst." Ab jetzt wolle sie sich nicht mehr verstecken, nicht ihren Geist, nicht ihre Seele, und auch nicht ihre Träume und ihre Kämpfe - nichts mehr.

Seit Mai kämpft sie nun. Auf dem Cover ihres Albums, auf Konzerten, bei Verleihungen, auf ihrem Jurorenstuhl bei der aktuellen "The Voice"-Staffel - alles mit nacktem Gesicht. Sie sieht befremdlich und bezaubernd aus, unschuldig wie ein Teenager. Anscheinend zu befremdlich. Nach dem letzten ungeschminkten Auftritt bei den MTV Music Awards fegte ein Shitstorm über die Sängerin. ("Allmählich reicht es", "Erklärt die fehlende Schminke auch, warum du so fertig aussiehst?") Da half nicht mal ein Interview mit Keys Visagistin, die erklärte, wie sie den No-Make-up Look kreiert: mit selbstbräunendem Anti-Age Serum, einem Brauenfilzstift für Fake-Sommersprossen und Cremerouge. There's no business like showbusiness.

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Quelle:
SZ vom 10.09.2016
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