Klimaneutrale Rezepte:Die Küchen-Greta

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Lea und Koral Elçi beim Kochen. Die Tochter sucht die Rezepte aus, der Vater setzt sie als Profi um. (Foto: Seren Dal/Brandstätter Verlag)

Kochbücher für eine klimabewusste Ernährung gibt es viele. Aber nicht geschrieben von einer 15-jährigen Schülerin. Besuch bei der Hamburgerin Lea Elçi, die ihren Lesern gerade das "Umessen" schmackhaft machen will.

Von Peter Burghardt

Der Klimawandel. Die Ernährung. Große Themen, die leider auch noch eng zusammenhängen. Alles "ziemlich frustrierend und komplex", sagt Lea Elçi, die ungewöhnlich erwachsen klingt, wenn sie erzählt. Sie ist 15 Jahre alt und trägt einen Kapuzenpulli. "Ich kann da nicht einfach zugucken, wenn alles schiefläuft." Sie hatte deshalb diese Idee. "Umessen", also das Essverhalten ändern, lautet ihr Motto, das auch draußen - als rotes Graffiti - auf dem Garagentor ihrer Eltern steht, das "M" in Form einer stilisierten Gabel gesprüht. Und "Umessen" ist auch der Titel ihres Buches, das nun vor ihr auf dem Tisch liegt. Unterzeile: "Das Kochbuch für eine bessere Welt." Ein ziemlich hoher Anspruch, aber das muss ja nicht falsch sein.

Eine 15-Jährige, die vom Herd aus die Welt verändern will. Zumindest ein kleines bisschen. Mit einer Sammlung an nachhaltigen, oft regionalen, zumeist fleischlosen Rezepten und nachdenklichen Texten. Es geht um Steckrüben-Schnitzel, Sellerie-Shiitake-Pilze oder Pizza für den Netflix-Abend, aber auch um Massentierhaltung, Überfischung, Verpackungsmüll oder den Umgang mit Schokolade. Natürlich nimmt man dieses Kochbuch auch deshalb wahr in der Masse an Titeln, weil es von einer Neuntklässlerin kommt. Lea Elçi ist Schülerin einer Hamburger Waldorfschule. Natürlich präsentierte Elçis Verlag seine Autorin auch deshalb so prominent, ist auch deswegen das Medieninteresse größer als sonst.

Der Klimawandel wird unsere Ernährung mehr prägen, als wir uns vorstellen können

Andererseits geht es um ein Thema, das Aufmerksamkeit verdient. Es ist ja durchaus von Vorteil, wenn Nachhaltigkeit und klimabewusstes Wirtschaften in den Küchen Fuß fasst. Es gibt bereits Mathematiker, die CO2-Rechenmodelle für die Gestaltung von Speisekarten entwickeln. Das Thema, so viel ist sicher, wird unsere Ernährung in Zukunft mehr beeinflussen, als wir uns im Moment vorstellen können. Doch wie kam Lea Elçi nun dazu, mit - da noch - 14 ein Buch darüber zu schreiben?

Ein Hinterhof in Hamburgs Stadtteil Altona, ein altes Fabrikgelände mit Eventküche und Büro. Hier hat das Unternehmen Kitchen Guerilla seine Zentrale, "eine mobile Kocheinheit und Kreativagentur für Essen und Trinken", wie es sich etwas umständlich nennt. Die "Kitchen Guerilleros" kreieren Menüs für Kantinen, Restaurants oder Veranstaltungen und präsentieren auf ihrem Webportal Gerichte wie Ceviche vom Skrei mit gegrillter Spitzpaprika, Mangold Dolma, Maishähnchen Karaage (frittiert) oder Spargel-Vanille-Suppe. Ihr Credo: "In food we trust."

Chef ist Koral Elçi, Anfang vierzig, eine bekannte Figur der Hamburger Kochszene. Er ist an diesem Nachmittag einigermaßen beschäftigt, es geht nach der quälend langen Corona-Pause wieder los. Foto-Shooting, Besprechungen, Zoom-Konferenzen. Außerdem probiert er gerade ein paar Tage lang Heilfasten mit Brühe und Tee aus. Koral Elçi kommt und geht, ein Mann mit Bart und Terminen. "Mein Vater ist ja ziemlich busy, wie man sieht", sagt Lea Elçi amüsiert. Er hat ihr Vorspeisengemüse eingepackt. Sie geht nachher zum Kickboxen, und Schule ist auch wieder.

Einmal im Jahr isst sie Fleisch - Wildschweingulasch zum Geburtstag

Ohne ihre Eltern, die getrennt leben, wäre es zu diesem Buch wohl kaum gekommen. Der Vater ist Koch, die Mutter Konditorin und die Familie ziemlich international unterwegs. Koral Elçi kam vor mehr als zwanzig Jahren aus der Türkei zum Studium nach Hamburg, der Onkel ist in Norwegen, die Stiefmutter stammt aus einer israelischen Familie. Viele Einflüsse, viel Kultur. Lea Elçi kochte oft als Frühaufsteherin den Kaffee für alle und schob mit ihrer Oma türkische Teigfladen in den Ofen. Sie war ein Kind, das lieber Wasabi-Nüsse mochte als Pfannkuchen. Genau einmal in ihrem Leben war sie bei McDonalds, danach war ihr schlecht. "Auf Sylt hat sie Austern geschlürft", erinnert sich Koral Elçi. "mit fünf oder sechs."

Mit zehn oder elf entschloss sich seine Tochter dann, Vegetarierin zu werden. Sie konnte die Bilder von den Schweinen in Lastwagen und aus den Schlachthöfen nicht mehr ertragen, sie hatte fürchterliche Dokus gesehen. Genauer gesagt wurde sie "Flexitarierin", wie sie sagt. Einmal im Jahr isst sie Fleisch und zwar zuhause an ihrem Geburtstag, dem 23. Dezember. Dann gibt es Papas gut gewürztes Geburtstagsgulasch mit Spätzle - Wildschwein, es ist das letzte Kochrezept in ihrem gemeinsamen Buch.

Die meisten Rezepte, die Eli vorschlägt, sind vegetarisch oder vegan. "Laab Gai" mit Pilzen und Fleischersatz zum Beispiel. (Foto: Seren Dal/Branstätter Verlag)

Das Buch ist die Folge eines Schulprojekts während der Pandemie. Sie sollten sich ein Thema suchen, das mit ihnen zu tun hat, eine Freundin trug zum Beispiel selbst komponierte Lieder vor. "Was ist mir wichtig, was ist mir nah?", fragte sich Lea Elçi. Gutes Essen. Sie hatte auch mal eine Arbeit über den Klimawandel geschrieben, nun kombinierte sie beides für einen Entwurf, den sie online ihrer Klasse vorstellte. Dann wurde mit Hilfe von Koral Elçi und anderen Profis das Buch daraus, 168 Seiten.

Es ist auch ein Vater-Tochter-Projekt, denn Lea Elçi tut gar nicht so, als sei sie die große Köchin. Der Koch ist ihr Vater, aber die Rezepte sind ihre Favoriten, zusammen ausgewählt und ausprobiert. Eingeteilt nach Jahreszeiten. Im Winter zum Beispiel Ofengemüse aus Resten, Coleslaw mit Kichererbsen-Mayonnaise oder Mousse au Chocolat mit kandierter Orangenschale. Im Frühling Kartoffel-Käse-Frikadellen mit pochiertem Ei und Blattspinat, Hafer-Milchreis mit Rhabarber oder Papas asiatischer Gurkensalat. Im Sommer Laab Gai ohne Fleisch, confitierte Borlotti-Bohnen oder Blitz-Eis mit Roter Grütze. Im Herbst Kalamari aus Spitzpaprika und Zwiebeln oder Tomaten-Brot-Salat mit Haselnüssen oder Pilz-Burger mit Kartoffelecken.

Köstlich vegetarisch: Gebratene Salatköpfe. (Foto: Seren Dal/Branstätter Verlag)

Alles ohne Fleisch und nur zwei Variationen mit Fisch. "Der Saibling", heißt es beim Saibling-Sashimi, "hat eine viele geringere Öko-Bilanz als sein Verwandter, der Lachs, und schmeckt mindestens genauso gut". Alles saisonal und nicht zu kompliziert. Dazwischen Betrachtungen der Autorin über Drinks mit Aussicht auf dem Dach oder den Kakao für die Schokolade, die sie liebt, aber wegen der durstigen Kakaobäume nur noch streng dosiert isst. "Man muss das wertschätzen", sagt sie.

Wenn man Lea Elçi so ernsthaft reden hört, denkt man natürlich an Greta Thunberg. Gibt es so etwas wie einen Greta-Effekt in der Küche? "Das wird immer von den Erwachsenen gesagt", antwortet Lea Elçi. "Ich kann nicht für meine Generation sprechen", vielleicht lebe sie auch in einer Bubble, aber klar sei sie von Fridays for Future beeinflusst. Auch sie demonstriert freitags manchmal auf der Straße. Jedenfalls macht ihr der Umgang mit Tieren und Ressourcen Angst. "Ich werd' wirklich emotional. Ich krieg' wirklich Angst."

Zu den ersten Kapiteln zählt ein Gespräch mit ihrem Vater, mit dem sie auch hier am Tisch diskutiert, sofern er gerade da ist. "Sag' mal Papa", will sie im Buch wissen. "Hat sich deine Generation, als ihr in meinem Alter wart, Gedanken über das Klima gemacht?" In seiner Jugend sprach man vom Ozonloch, den Hungersnöten, es gab noch keine Greta, aber auch Koral Elçi denkt im Zuge des Trends längst um und lässt sich auch von seiner Tochter inspirieren. Umdenken müsse man, "umessen und umpowern", sagt er. Weniger tierische Produkte, weniger Energie.

Seine Tochter hat sich in ihren Interviews für das Buch von der früheren Landwirtschaftsministerin Renate Künast (Grüne) erklären lassen, welche Lobbys dem Wandel im Weg sind. Ein Fischhändler rät ihr von Thunfisch komplett ab und empfiehlt dafür Karpfen. Der Mitgründer einer Berliner Metzgerei erläutert ihr vertretbaren Fleischkonsum. Lea Elçi beschreibt plastikfreien Einkauf, energieeffizientes Kochen, regionale und pflanzliche Lebensmittel, ökologisches Putzen.

(Foto: Seren Dal/Branstätter Verlag)

Je mehr sie sich mit dieser Welt beschäftigt, sagt sie, desto komplizierter und manchmal auch deprimierender wird es. Allein die abgeholzten Regenwälder in Brasilen, damit irgendwo Tierfutter in Trögen und Rindfleisch möglichst billig in den Kühlregalen deutscher Supermärkte landet. "So absurd", sagt Lea Elçi. "Das macht einfach keinen Sinn." Alles hängt ja mit allem zusammen, "es hat so viele Auswirkungen", und der Schaden wird so gern verdrängt. "Wir müssen laut werden", sagt sie, "jede Stimme zählt."

Doch keine Sorge, ihre Vorschläge sind nicht zu erwachsen oder gar freudlos. "Nicht dogmatisch", wie ihr Vater Koral sagt. Eher Anregungen zum nachhaltigen Genuss, zum Beispiel für ein Picknick am Elbstrand mit Linsenfrikadellen und Grillfest ohne Wurst. Sie weiß, dass ihr Buch die Welt nicht rettet, es soll Anstöße liefern. Nicht jede Zutat muss immer aus der unmittelbaren Umgebung stammen. Von Januar an ist der neuseeländische Apfel den Äpfeln aus der Umgebung vorübergehend sogar vorzuziehen, wie der Koch Tim Mälzer Lea im Interview sagt.

Und ja, auch Lea Elçi isst gelegentlich Pommes, klar. Wenn Freundinnen oder Freunde Döner bestellen, dann nimmt sie Falafel. Die Reaktionen, die sie erreichen, machen ihr Mut: Wow, cool, erst 15. Köchin will sie nicht werden, Stand heute. An Essen und der Zukunft der Welt bleibt sie dran. "Es ist auch anstrengend, sich so viele Gedanken zu machen", sagt Lea Elçi. "Aber ich hab' schon angefangen. Ich kann nicht mehr aufhören."

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