Nachhaltigkeit:Im Vintage-Anzug zur Form finden

Maximilian Mogg

Was nicht passt, wird passend gemacht: Maximilian Mogg in einem seiner runderneuerten Maßanzüge, die den Besonderheiten des neuen Besitzers angeglichen werden.

(Foto: Andreas Pein/laif)

Alten englischen Maßanzügen schenkt Maximilian Mogg ein schickes zweites Leben. Und ihren Trägern ein neues Körpergefühl.

Von Jan Kedves, Berlin

Berlin-Neukölln, in der Gegend rund um die Sonnenallee gibt es einen besonderen jungen Mann. Er läuft das ganze Jahr über in feinsten englischen Maßanzügen herum, mit Krawatte, pomadisiertem Haar, Oxfordschuhen, sogar im schwülsten Sommer. Ja, er ist ein Fremdkörper hier, zwischen Handyshops und Flip-Flop-Trägern, und Maximilian Mogg ist deshalb auch schon ein bisschen berühmt.

In einem Loft in der Braunschweiger Straße betreibt er ein Atelier für Herren-Maßschneiderei. Klingt konservativ, aber Mogg träumt davon, die Generation der Millennials zur bestangezogenen Generation aller Zeiten zu machen. Vor allem die Männer. Mogg ist 25, und das mit den Anzügen ist seine dritte Karriere.

Zur Begrüßung in seinem Atelier zerquetscht er einem fast die Hand. Dazu gleich mehr. Erst einmal geht es darum zu verstehen, was einen jungen Mann wie Mogg, der nicht aus einem Adelsgeschlecht stammt, sondern aus Bubenheim am Rand von Koblenz, zur englischen Maßschneiderei bringt. Es war die Kurzlebigkeit der Mode, erklärt er. Als Teenager sei er schon stilbewusst gewesen, aber es habe ihn genervt, dass man ständig alles neu kaufen sollte.

"Mit 15 habe ich mir über Ebay meinen ersten Vintage-Anzug von Gieves & Hawkes aus der Savile Row gekauft, der sieht immer noch top aus. Das ist eine Qualität, die ein Leben lang hält", schwärmt er. Mogg geht es nicht um Hipness, sondern darum, dass ein Träger im Anzug zu seiner Form findet: "Ich kann damit Teile meines Körpers kaschieren, die mir nicht so gefallen", sagt er.

Das überrascht aus dem Mund eines Mannes, der vom Deutschen Fechterbund noch auf Platz 40 der Rangliste im Herrensäbel geführt wird, obwohl er für Wettkämpfe keine Zeit mehr hat. Mit fünf trat Mogg in die Coblenzer Turngesellschaft ein. Dann Perspektivkader, Nationalmannschaft, der Händedruck. Als klar wurde, dass es für die Profikarriere nicht reichen würde, machte er einen Bachelor in Betriebswissenschaft, arbeitete bei einer Privatbank und dann in Berlin bei Rocket Internet, dem berüchtigten Start-up-Inkubator. Da erkannte Mogg seine wahre Bestimmung: Männer in Dinner Suit, Cutaway, neapolitanische Schultern und andere Errungenschaften der klassischen Herrenschneiderei zu helfen.

Glücklichsein in Zeiten der Konfektionsmode

Eine Schneiderlehre hat er zwar nicht gemacht, sich aber bei Änderungsschneidern verschiedene Techniken zeigen lassen und Fachbücher über britische Mode studiert - alles, um erst mal nur Anzüge für sich selbst zu ändern. Derzeit macht er an zwei Tagen pro Woche ein Praktikum im Berliner Maßatelier Purwin & Radczun, deren englischer Zuschneider früher in London bei Anderson & Sheppard gearbeitet hat, einer legendären Londoner Adresse. Seine bisherigen Kunden, sagt Mogg, seien etwa zur Hälfte "Berufsträger", also Männer, die einen Anzug für die Bank oder die Kanzlei bräuchten. Zur anderen Hälfte seien sie jung, experimentierfreudig und ließen sich neben Moggs Anzügen auch noch ein paar Fecht-Tricks zeigen.

Das ist das Stichwort: Die traditionelle, von der Uniform abgeleitete Herrenschneiderei hält ein ganzes Repertoire an Tricks bereit, wie abfallende Schultern breiter, nicht so schmale Hüften schnittiger und kurze Beine optisch verlängert werden können. Wenn Mogg darüber spricht, klingt es wie die Anleitung zum Glücklichsein im Zeitalter der Konfektionsmode.

Witwen bieten Mogg die alten Anzüge ihrer Ehemänner an

Enge Jeans, Kompressions-T-Shirts, Athleisure: Heute wird jede Auswölbung die vom Idealkörper abweicht, von der Kleidung zwar weggequetscht, dadurch aber im Grunde erst recht betont. "Jeder hat seinen eigenen Körper", sagt Mogg. "Natürlich kann man, wie das seit dem 19. Jahrhundert gemacht wird, konfektionieren und sagen: Dieses Mittelmaß passt auf möglichst viele Menschen. Aber wenn das dazu führt, dass der Einzelne sich trimmt, um in die konfektionierten Sachen irgendwie hineinzupassen, nur weil er einem Schönheitsideal entsprechen will, dann finde ich das falsch gedacht. Eigentlich sollte doch Kleidung auf die Menschen passen, nicht andersherum."

Die Anzüge, die Mogg heute anbietet, sind eine Art Luxus-Update: Nach den Maßen seiner Kunden schneidert er alte Maßanzüge aus der Londoner Savile Row um. Die Nachzugaben in den Anzügen, also der an den Nähten zusätzlich verarbeitete Stoff, erlauben das Weiten oder Verlängern, ein derart verjüngter Oldtimer kostet bei Mogg etwa 800 Euro. Sein Bedarf an alten Maßanzügen hat sich herumgesprochen, es passiert, dass Witwen aus Paris bei Mogg anrufen und sagen: Mein Mann ist verstorben, hier hängt der Schrank voll, hätten Sie Interesse?

Bald will er aber auch neue Anzüge anbieten, um variabler zu sein, was Größen und Farben angeht. Er plant eine handgemachte Linie, Maßkonfektion mit zwei Zwischenanproben, etwa 3000 Euro soll so ein Anzug kosten. "In einer Savile-Row-Maßschneiderei kostet der fast doppelt so viel", sagt Mogg, wobei: "Auch das ist immer noch das günstigste Kleidungsstück, das man sich kaufen kann. Im Sinne von: Es amortisiert sich, weil man es ja sein ganzes Leben tragen kann." Eine günstigere Linie plant Mogg trotzdem, "Ein industrieller Anzug mit handgemachten Details", für circa 1100 Euro. Vielleicht lassen sich so jüngere Kunden in die Anzüge locken?

Crashkurs im Zuschneiden, mit Nadel, Faden und Fingerhut

Letztens jedenfalls ist etwas passiert, das Mogg sehr freuen dürfte: Der 23-jährige Teenieschwarm Harry Styles, jemand mit Vorbildfunktion für Millennials, ist in einem maßgeschneiderten Anzug von Edward Sexton aufgetreten. Das sah toll aus - nicht zuletzt wegen der Farbe, die Styles gewählt hat: Millennial-Pink. Nicht jeder Schneider an der Savile Row hätte wohl einen Anzug in so einer Modefarbe angefertigt. Edward Sexton aber, so sagt Maximilian Mogg, kommt "aus einer Rockstar-Zeit und ist auch heute, mit 74, immer noch selbst ein Rockstar".

Mogg hat vor Kurzem eine Woche in seinem Atelier verbracht: Crashkurs im Zuschneiden, mit Nadel, Faden und Fingerhut. "Eine große Ehre!", sagt er. Sextons Anzüge seien die schnittigsten der Savile Row, meint er, was auch daran liege, dass Sexton selbst ein "eher kleiner Herr" sei, der genau wisse, wie er sich mit starken Schulterpolstern und breiten Revers stattlicher machen könne. Das ist sie eben: die Kunst der nonverbalen textilen Kommunikation.

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