Süddeutsche Zeitung

Nachhaltigkeit:Die neue Wachstumsbranche

Sebastian Cox stellt Lampen aus Pilzen her - und glaubt, dass sie unter Idealbedingungen locker 500 Jahre halten können.

Von Julia Rothhaas

Der Wald ist seine große Liebe. Sebastian Cox verbrachte dort schon als Kind im Südosten Englands am liebsten seine Zeit. Inzwischen sind die Kastanien, Eichen, Buchen und Eschen auch so etwas wie seine Arbeitskollegen, der Möbeldesigner arbeitet fast ausschließlich mit Holz. Seit einiger Zeit gehört auch die Gemeine Hasel zum Programm. Das Holz des vielverzweigten graubraunen Strauchs ist nicht perfekt, sondern immer ein bisschen krumm, eigen. "Mich reizt, ihre Schönheitsfehler im Design elegant unterzubringen", sagt der 31-Jährige. Etwa als Beine einer schlichten Bank oder als markante Garderobe. Die Hasel ist jedoch auch für seine neueste Leidenschaft verantwortlich: den Pilz.

Kann man dieses Material nicht für sich arbeiten lassen, als eine Art biologischen Klebstoff?

Vor drei Jahren fiel sein Blick beim Spazieren auf zwei ineinander verschlungene Äste eines solchen Strauchs, die jedoch nicht verwachsen, sondern von einem weißlichen Gebilde miteinander verklebt waren. Könnte man diesen Pilz nicht für sich arbeiten lassen, fragte er sich, als eine Art biologischen Klebstoff? Der Brite bemüht sich, stets über das Objekt hinauszudenken, sein Schwerpunkt liegt auf nachhaltigem Design. Und so fing Cox an, seine Beobachtung zu nutzen und Lampen aus einem Gemisch aus Myzelien, also Pilzgeflecht, und Holzspänen zu entwerfen.

Pilze sind seit ein paar Jahren aus dem Design nicht mehr wegzudenken. Sie stellen mitunter eine Alternative zu herkömmlichen Kunststoffen dar. Für die Lampen von Sebastian Cox werden die Myzelien-Fäden mit dem gehäckselten Holzsubstrat vermengt, schon nach ein paar Wochen haben sie das Material so durchzogen, dass sie eine feste Struktur bilden. So wie eben auch der Pilz im Wald sein feines, meist unsichtbares und oft riesiges Geflecht unter der Erde spinnt. Lässt man das gepresste Ganze in der Form eines Lampenschirms wachsen, nimmt es ebendiese an. Nach ein paar Wochen wird die Form geöffnet und die Lampe im Ofen gebrannt. Dadurch kann das Wachstum gestoppt werden. Zu früh sollte man allerdings nicht neugierig sein und in die Form hineingucken, sonst können sich unerwünschte Pilzsporen oder Schimmel bilden.

Ein Jahr lang experimentierte Sebastian Cox in seinem eigenen Waldstück in der Grafschaft Kent mit zwölf verschiedenen Pilzsorten, die er mit unterschiedlichen Hölzern zusammenbrachte. Am Ende überzeugte die Verbindung aus dem Baumpilz Fomes fomentarius, dem Zunderschwamm, und der Sal-Weide, auch bekannt als Palmweide. "Als Objekt haben wir uns zunächst für eine Lampe entschieden, weil Menschen Pilze nicht so gerne anfassen, da gibt es eine Hemmschwelle", sagt er. Zwar sei der Lampenpilz nicht giftig, "aber man beobachtet schon einen gewissen Widerwillen, wenn es darum geht, Pilze jenseits von Champignon oder Steinpilz zu berühren." Die Lampe hingegen hängt einfach an der Decke. Zudem sei der Pilz hitzebeständig und eignet sich daher wunderbar als Lampenschirm.

Pilze haben das Potenzial, mehr als nur das Design zu revolutionieren

Die cremeweiß-braunen Schirme erinnern an eine Mischung aus Rost, Rinde und Schaum und sind in zwei verschiedenen Größen zu haben. Gerade arbeitet Cox mit seinem Team noch an der Zulassung für die elektrische Vorrichtung, damit die Lampe innerhalb dieses Jahres verkauft werden kann. In der Planung ist auch ein Hocker und ein Tisch, ein Sarg wäre ebenfalls eine gute Idee, so Cox. Angst, dass sich die Lampe schnell wieder auflöst, muss niemand haben: "Wenn sie in einem Raum hängt, der regelmäßig geheizt wird und nicht feucht wird, hält sie vermutlich 500 Jahre. So wie Holz oder Leder", erklärt der Designer mit den rötlichen Haaren, die skurrilerweise auch an einen Pilzkopf erinnern. "Schmeißt man sie hingegen auf den Kompost, ist sie nach einer Woche kaputt."

Experten schätzen, dass es etwa 1,5 Millionen verschiedene Pilzsorten auf der Welt gibt, die meisten davon sind jedoch noch nicht erforscht. Hingegen steht längst fest: Pilze haben das Potenzial, mehr als nur das Design zu revolutionieren. Bestimmte Sorten können verseuchte Böden sanieren, und Versuche im Labor haben gezeigt, dass sie Lösungsmittel oder Pestizide abbauen können. Eine Art soll sogar Kunststoffe auflösen können.

Sebastian Cox, der sein Studio 2010 gegründet hat, ist fest davon überzeugt, dass gerade junge Designer das bestehende System verändern müssen, indem sie sich mit "grünen" Materialien beschäftigen. "Bislang hat der Designer seinen Stuhl entworfen und ihn herstellen lassen, ohne sich damit auseinanderzusetzen, wie er am Ende produziert wird. Das ist altbacken." Man kann das übertrieben finden, aber Cox rechnet für jedes seiner Möbel den CO₂-Verbrauch aus, der für die Produktion benötigt wird - inklusive Anfahrt der Materialien, Strom für die Kreissäge und die Teepause, die er und sein Team einlegen. Dazu gehört, dass sie jeden noch so kleinen Holzrest weiterverwenden, selbst die Späne am Boden unter der Säge werden zu Heizklötzen gepresst und dann verkauft. Auch ist Cox ein Verfechter des sogenannten "coppicing". Dafür werden die Äste regelmäßig stark zurückgeschnitten, damit zahlreiche neue Triebe entstehen können, die dann wieder genutzt werden.

Die Liebe zum Holz verbindet Sebastian Cox mit seinen Kunden: Gerade erst hat er seine mobile Säge in einen Londoner Garten gefahren, um einen kranken Baum zu fällen. Die Besitzerin wollte ihn nicht einfach so entsorgen, schließlich war sie darin einst als Kind herumgeklettert. Aus dem Holz werden nun Möbel für das Haus ihres Sohnes gefertigt. Recycling kann eben auch emotional sein.

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Quelle:
SZ vom 28.04.2018
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