Nachhaltiges Restaurant in Kopenhagen:Reste à la carte

Spisehuset Rub & Stub, Kopenhagen

Köstliches aus der Tonne: Die Küche im Kopenhagener "Rub & Stub" verwertet Abfallprodukte.

(Foto: Alexander Banck-Petersen)

Regionale Küche, Bio-Produkte, fair gehandelte Ware? Längst eine Selbstverständlichkeit in vielen Lokalen. Im "Rub & Stub" in Kopenhagen kommt auf den Tisch, was sonst im Müll gelandet wäre.

Von Marten Rolff, Kopenhagen

Wer im Restaurant "Rub & Stub" anruft, um einen Tisch zu reservieren, der hört erst mal ungewöhnliche Sätze. "Ja, im Prinzip gern", sagt dann zum Beispiel Sophie Sales, eine der Gründerinnen des Lokals, sehr freundlich am Telefon, "aber Sie müssen damit rechnen, dass aus Ihrem Abendessen nichts wird." Es komme zum Glück nicht oft vor, aber es könne durchaus sein, dass sie für einen Abend nicht genügend Mitarbeiter zusammenkriege. "Dann können wir nicht öffnen. Und Sie müssen anderswo essen."

Nicht weniger ungewöhnlich sind die Reaktionen der Gäste. "Aber das macht doch gar nichts", sagen die meisten, "das verstehen wir gut!" Dann betonen sie häufig noch, wie toll sie das Projekt finden. Dieses Wohlwollen wird sich beim Essen später durch den ganzen Abend ziehen. Denn egal, ob der Service wieder ein paar Bestellungen vertauscht hat, das Gemüse verkocht war oder der Kuchen ein bisschen schmierig, die Besucher werden - fast verlässlich - zufrieden sein.

Kleines Startkapital, Mitarbeiter verzichten auf ihren Lohn

Etwas mehr als ein Jahr ist es her, dass das Rub & Stub im alternativen Kulturzentrum "Huset" in der Altstadt von Kopenhagen eröffnet hat, und bis heute ist der Andrang so groß, "wie wir das nie erwartet hätten", sagt Sophie Sales. Die Gäste kommen sicher nicht, weil sie Perfektion suchen oder phantastisch essen wollen. Eher schon kommen sie für einen gemütlichen Abend mit soliden Gerichten. Vor allem aber: für ein gutes Gewissen.

Nachhaltigkeit und alles was entfernt daran erinnert, gehört auch in der Gastronomie seit Jahren zu den wichtigsten Trends. Regionale Küche, eine Auswahl an vegetarischen Gerichten, Bio-Produkte, fair gehandelte Ware und Herstellernachweise auf der Karte sind in vielen Lokalen längst Standard, ob nun ernst gemeint oder nur fürs Marketing.

Das Rub & Stub aber, dessen Name sich in etwa mit "restlos alles" übersetzen ließe, geht weit über solche Selbstverständlichkeiten hinaus. Würden seine Betreiber auf Superlative Wert legen, könnte man es sicher als eines der nachhaltigsten Restaurants der Welt bezeichnen. Denn gekocht wird so weit wie möglich mit Lebensmitteln, die sonst im Müll landen würden, fast alle Mitarbeiter verzichten komplett auf ihren Lohn, und der schmale Gewinn ermöglicht, dass Jugendliche in Sierra Leone an Computern ausgebildet werden. Mehr kann man mit ein paar Schüsseln Suppe, ein bisschen Salat oder einigen Tellern Couscous kaum erreichen.

Das Lokal liegt im ersten Stock eines früheren Viehstalls aus dem 18. Jahrhundert, mit Eichenbalken, schweren Dielen und Platz für weit mehr als hundert Gäste. Wer hier nachmittags eintritt, der wähnt sich eher in einer Studenten-WG. In einer Sofaecke sprechen Sophie Sales, 28, und der Koch Søren Grimstrup, 33, mit ein paar anderen über die Abendplanung. In drei Stunden werden gut 70 Besucher erwartet, trotzdem wirkt die Runde gemütlich. Die Einrichtung ist großteils zusammengewürfelt: Lampen aus den 70ern, Secondhand-Sessel, antike Kabeltrommeln als Tische. "Wir haben gesammelt, was wir umsonst kriegen konnten", erklärt Sophie Sales, "schließlich wussten wir noch vor anderthalb Jahren gar nicht, dass wir ein Lokal führen würden. Und wir hatten kein Geld." Das Startkapital: etwas mehr als tausend Euro.

Schock über Lebensmittelverschwendung

Sales ist eine fröhliche Frau mit halblangen blonden Locken. Sie lacht oft, als sie von den Anfängen berichtet, weil alles damals so schnell ging und sie weiß, dass Zuhörer meist etwas ungläubig gucken. Eigentlich ist sie PR-Beraterin und Grimstrup, der Koch, kommt gerade von der Uni, wo er zwei Abschlüsse gemacht hat: in Statistik und Ernährungslehre. Gemeinsam ist vielen der insgesamt acht Gründer, dass sie als Studenten in Restaurants gejobbt haben - und schockiert waren, wie viele Lebensmittel dort weggeworfen wurden. Westeuropa und Nordamerika sind ohnehin Spitze im Wegwerfen, aber die Dänen führen die traurige Entsorgungsstatistik an. "Wir haben den Kontakt zu unserer Nahrung verloren", glaubt Sophie Sales, "statt an etwas zu riechen und es selbst zu beurteilen, starren wir auf ein Haltbarkeitsdatum."

Ursprünglich hatten die Rub&Stub-Gründer vorgehabt, übrig gebliebene Lebensmittel nach Vorbild der Tafeln für Obdachlose einzusammeln und einen Non-Profit-Catering-Service zu gründen. Doch der Plan sprach sich im Millionendorf Kopenhagen herum, eine Hilfsorganisation, die zwei Wohltätigkeits-Cafés betreibt, fragte: Warum arbeiten wir nicht zusammen, wir unterstützen euch, dafür geht das Geld nach Afrika? Und die Leute vom Kulturzentrum "Huset" sagten: Der erste Stock wird frei, ihr passt zu uns, warum macht ihr nicht gleich ein Lokal auf? Wenn ihr in drei Monaten eröffnet, könnt ihr einziehen. "Da hatten wir nicht groß Zeit nachzudenken", sagt Sales.

Agenturbericht mit Müllkippen-Foto

Mit der Eröffnung bekam das Projekt eine Eigendynamik, die sich nur schwer kontrollieren lässt. Weil der Zuspruch so enorm ist und plötzlich erst die BBC anklopfte, und dann Journalisten aus der ganzen Welt. Und weil jeder unter dem Thema Nachhaltigkeit etwas anderes zu verstehen schien. "Unglaublich - Gastronomen in Europa nehmen den Armen jetzt den Abfall weg und machen sogar daraus ein Geschäftsmodell", empörte sich eine asiatische Zeitung.

"Unglaublich - Dänen servieren jetzt schon Müll im Restaurant", insinuierte kürzlich eine französische Nachrichtenagentur und stellte gleich das Bild einer Müllkippe dazu. "Wir erklärten uns ständig und wurden trotzdem oft missverstanden", erzählt die Kommunikationsexpertin Sales und grinst. Dabei wusste das Rub&Stub-Team anfangs selbst nicht, wie es für seine Gäste an das kommen sollte, was nun alle "Müll" nannten - auch wenn es dabei um Lebensmittel geht, die gerade noch haltbar sind und bei Läden und Produzenten andernfalls in den Abfall wandern würden.

Tägliche Improvisation beim Menü

In der Sofaecke ist die Besprechung zu Ende, nun müssen die Tische eingedeckt werden. Søren Grimstrup eilt in die Küche und raspelt Karotten oder rührt im marokkanischen Fleischeintopf, während er weitererzählt. Mitarbeiter tragen derweil immer neue Kisten mit Brot herein, oft edelste Laibe, die Kopenhagens Bäcker am Tag nicht verkaufen konnten. Genug Brot kommt immer, und so steht zum Eintopf falsches Couscous auf der Karte - aus getrockneten Baguette-Bröseln. Und Nachos aus überbackenen Semmelscheiben als Vorspeise, eine Eventfirma hat 80 Liter Salsa geliefert, die sie nicht mehr brauchte.

Die Speisekarte entsteht meist spontan, oft kennt das Team erst morgens seine Zutaten. Es wird ständig improvisiert. Als kürzlich überraschend 500 Eier mit auslaufender Haltbarkeit geliefert wurden, buken sie stundenlang Crêpes, als Nachspeise für alle Gäste und für die Suppe am Folgetag. Und wenn zum Beispiel Hackfleisch reinkommt, muss es eben sofort angebraten und eingefroren werden. Das Gesundheitsamt war anfangs skeptisch, ist aber laut Grimstrup mittlerweile "restlos überzeugt" vom Konzept.

Zusammenarbeit mit Edelbäckern

Angefangen hat die Küche mit einem Anteil gespendeter Lebensmittel von nur 25 Prozent, ein Jahr später ist sie nun bei knapp 40, "unser Ziel sind 60 Prozent, der Rest wird zugekauft, alles darüber wäre wohl unrealistisch", sagt der Koch, sonst könnte man nichts Vernünftiges zubereiten. Auch war es erst schwer, die Sachen überhaupt zu bekommen. Supermärkte wollten nicht mit dem Lokal in Verbindung gebracht werden, Edelbäcker mahnen bis heute: "Erzählt bloß nicht, dass das Zeug von uns ist, nachher heißt es, wir backen für die Tonne." Eine Großmolkerei bot an: Hier sind 10 000 Liter Milch, noch einen Tag haltbar. Das Rub & Stub brauchte aber nur 30 Liter. "Ach, lohnt sich nicht, dann kippen wir lieber alles weg", war die Antwort.

An der Logistik scheitert es oft. Inzwischen arbeitet das Lokal mit Nahrungsmittelbanken zusammen, die die Verteilung übernehmen. Andere Ware erreicht die Küche, weil sie nicht "der Norm" entspricht. Ein Bauer, der Spargelkartoffeln anbaut, lieferte gerade eine halbe Tonne ab, mit dem Hinweis: "Meine Frau und ich können die nicht mehr selbst aufessen." Spargelkartoffeln hätten klein zu sein, ätzt Grimstrup. "Alles, was größer ist, fällt durchs Raster, er wird es nicht los."

Hohe Motivation der freiwilligen Helfer

Der Koch hat jetzt sein Tempo noch einmal beschleunigt: rühren, delegieren, Zutaten verteilen, wieder rühren. Weil die ersten Freiwilligen für Service und Küchendienst eingetroffen sind und angeleitet werden müssen: vier Volontäre in der Küche, fünf für den Service, die einzige Bedingung ist, sich für ein halbes Jahr zu verpflichten und mindestens drei Schichten im Monat zu übernehmen. Fest angestellt und gering bezahlt sind nur die zwei Köche und die Restaurantleiterin. Von Ausnahmen abgesehen klappen die Freiwilligendienste gut, viele Studenten arbeiten hier, und wen man auch fragt, als Grund nennen alle, "an etwas Sinnvollem" beteiligt sein zu wollen. Das sei schön an den Freiwilligendiensten, sagt Grimstrup, dass "die Motivation so hoch ist". Als Abspüler arbeitet der Chef einer kleinen Firma für Computer-Kurse. Jeden Freitagabend fünf Stunden. Seit einem Jahr.

Es ist früher Abend, und das Restaurant füllt sich langsam. Man sieht Strickpullis neben Businessanzügen, Touristen neben Studenten, auch Politik und Stadtverwaltung essen hier oft, gern auch mit auswärtigen Besuchern, das kommt bei denen immer gut an. In ein paar Tagen hat das Innenministerium wieder für 20 Personen reserviert. Und am Ende des Abends werden sich die Gäste wieder über etwas zu klebrige Nachos mit Fertig-Salsa, einen erstaunlich feinen orientalischen Eintopf, Salat oder Croissantfladen mit Rumkugelteig hergemacht haben - und restlos begeistert sein.

Im Rub & Stub wissen sie längst: Für dieses Konzept gibt es auch ohne Vermarktung eine Lobby. Gemeinsam mit einem Verlag erarbeitet Søren Grimstrup gerade ein Kochbuch mit Reste-Rezepten. Und demnächst reist eine Abordnung des Teams nach Amsterdam. Dort hat vor Kurzem ein Nachahmer-Restaurant eröffnet.

Spisehuset Rub & Stub, Rådhusstræde 13, 1466 København, Di-Sa ab 17.30 Uhr, spisrubogstub.dk, T 0045 61 33 63 48

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