Man winkt ja schon fast direkt ab, wenn heute irgendwo das Wort „immersiv“ fällt. Immersion beschreibt das „Eintauchen“, und auch bei der Gastronomie schwingt natürlich ständig das Versprechen „in ganz neue Welten“ mit. Alles soll ein Erlebnis sein, „alle Sinne“ stimulieren. Skepsis ist da als Reaktion oft heilsam, denn wo sich alles ums Event und ums Storytelling dreht, gerät das Wesentliche, das Essen, in den Hintergrund.
In München etwa wurden bei immersiven Dinner-Shows bereits Kunstwerke von Picasso, van Gogh und Banksy auf den Tisch projiziert, weil – weiß man nicht. Im „Eatrenalin“ im Europa-Park Rust speisen die Gäste auf selbstfahrenden Stühlen und in den immersiven Restaurants von Paris inmitten von Weltall-Projektionen.
Doch wenn ein seriöser Sternekoch wie der Münchner Tohru Nakamura für das Screening der neuen Staffel der Serie „The Bear“ (ab 14. August bei Disney+) in seine heilige Küche einlädt, ist man doch neugierig. „The Bear“ dreht sich um den Spitzenkoch Carmy (alias Jeremy Allen White), der in seine Heimatstadt Chicago zurückkehrt, um aus dem Sandwich-Laden seines verstorbenen Bruders ein Spitzenlokal zu machen. Die Serie erzählt das so atemlos, dass Binge-Watching Programm ist.
Nakamuras immersives Menü ist zum Glück entspannter. Im ersten Stock, im Zwei-Sterne-Restaurant „Tohru“, werden die Grüße aus der Küche serviert – und zwar in der Küche. Statt mit Projektionen, Lichteffekten und Musik zu spielen, verlässt man sich auf die Faszination, die von Profiküchen ausgeht. „The Bear“ ist auch deshalb so erfolgreich, weil die Serie intime Einblicke in die Küche gewährt. Wie durch ein Schlüsselloch sieht man die Köche schnippeln, braten, verzweifeln – und kurz darauf beim Abschmecken strahlen. Magie serviert an Menschlichkeit.
Wie ist es in der Sterneküche? Vor allem eng, heiß und laut
Küchenchef Nakamura schäumt eine Beurre Blanc mit fermentiertem Reis und Sake für ein Amuse mit Koshihikari-Reis und Kaviar auf. Er wolle keine Gerichte aus der Serie nachkochen, sagt er, sondern das Fine-Dining-Gefühl vermitteln. Von der Präzision, die man sieht, wenn seine Köche mit der Pinzette Blutampferblätter auf einer Praline aus Wagyu-Rind drapieren, vom ständigen Zeitdruck dabei, erzählt auch die Serie. In der neuen Staffel kippt Carmy teures Wagyu-Fleisch in den Müll, weil es knapp über dem Garpunkt gebraten ist. „Wir feiern sozusagen jeden Tag Weihnachten mit unseren Gästen, da muss alles perfekt sein“, sagt Nakamura. Mit allen Sinnen spürt man auch den Arbeitsplatz Küche: Es ist eng, heiß, laut. Trotzdem bildet sich ein Stau, weil die geladenen Gäste die Snacks essen – und bleiben. Die schönsten Partys finden eben in der Küche statt.
Im Erdgeschoss, in Nakamuras Brasserie „Die Schreiberei“, gibt es die Hauptgänge, dazwischen werden zwei Folgen der neuen Staffel gezeigt. In der offenen Küche halten die Köche (in blauen Schürzen wie die Köche in der Serie) oft inne und schauen auf die Leinwände. Auf Carmy, der nun einen Stern erkochen will und so getrieben ist, dass man sich fragt, wie lange das gutgeht. In der letzten Staffel saß Carmy am Eröffnungsabend im Kühlraum fest, weil er es verbummelt hat, die Tür reparieren zu lassen. Im Kühlraum zwischen Boxen mit Kräutern und Kisten mit Limetten servieren Nakamuras Köche auch das letzte Dessert des Abends: Kakigori, japanisches Schabeeis, getoppt mit Himbeersirup und Lavendelhonig. Anders als in der Küche sind die Gäste froh, wenn sie nach wenigen Minuten wieder raus dürfen.