Möbel:Bauhäuschen

Puppenhäuser sehen heute aus, als hätten Stararchitekten sie gebaut. Ihre erwachsenen Besitzer möblieren sie mit Mini-Designklassikern.

Von Claudia Fromme

Als der Film "Downsizing" im August die Filmfestspiele in Venedig eröffnete, in dem sich Matt Damon mit anderen Menschen schrumpfen lässt, gab es entzückte Rufe bei der Premiere. Die galten aber nicht Damon, sondern dem Interieur, in das er sich im Film begibt. Klitzekleine Zugabteile, in denen Minimenschen sitzen. Ein winziges Büro mit Minitisch. Eine schicke Villa in Puppenhausgröße.

Miniaturen funktionieren immer, sie wecken den Kümmerer in uns. Die Welt im Kleinformat fasziniert aber auch darum, weil sie übersichtlicher ist, perfekter als der Irrsinn da draußen. Ich mach mir die Welt, wide-wide-wie sie mir gefällt.

Gerade gefällt es erstaunlich vielen Menschen, sich ein Puppenhaus einzurichten. Das Geld mag für die Villa am Stadtrand nicht reichen, aber geschrumpft lässt sich jeder Wohntraum umsetzen. Es ist das Leben, wie man es immer haben wollte, nur eben kleiner. Die designaffine Industrie hat längst auf den Minitrend reagiert und bietet an: fertige Puppenhäuser, Bungalows als Bausatz zum Selberbasteln, Villen namhafter Designer in Serie. Blumentapeten und Brokatvorhänge, die zum klassischen Ideal des Puppenhauses gehörten, haben in der Welt nichts verloren. Die folgt dem Mid-Century-Modern-Stil: Bauhaus, Fifties, Holz, Weiß, viel Luft. Mies van der Rohe steht Pate für die klare Struktur der Bauten, eingerichtet wird mit echten oder nachgebauten Designklassikern von Panton, Eames, Breuer.

Ein Haus kann leicht 1000 Euro kosten. Auch Lena Dunhams Mutter hat eines entworfen

Katalysator für den Trend sind die digitalen Marktplätze der Eitelkeit wie Instagram und Pinterest. Haus für Haus, Raum für Raum, Stuhl für Stuhl, Vase für Vase inszenieren die Minihausbesitzer ihr Hobby. Es gibt Wohnlandschaften zu sehen, die täuschend echt aussehen, wie frisch fotografiert für Architectural Digest oder Schöner Wohnen, mit Bildbänden auf dem Tisch und moderner Kunst an der Wand.

Möbel: „Es ist das Leben, wie Du es immer haben wolltest, nur kleiner“: das „Kaleidoscope House“ von Laurie Simmons und Architekt Peter Wheelwright.

„Es ist das Leben, wie Du es immer haben wolltest, nur kleiner“: das „Kaleidoscope House“ von Laurie Simmons und Architekt Peter Wheelwright.

(Foto: Christian Wickler)

Die Puppenhäuser haben nichts von einer märklinhaften Possierlichkeit oder von rosa Mädchenträumen, sie sind Huldigungen an die schnörkellose Architektur der Moderne. Der Markt ist riesig. Es gibt polnische Hersteller wie Miniio und Boomini, denen in Wallpaper gehuldigt wird. Es gibt Paris Renfroe aus Las Vegas, der Skylofts in Nussbaumfurnier anbietet. Das Büro Miaim aus London wirbt mit "Bringing dollhouses back into fashion", was sogleich von der britischen Vogue gefeiert wurde. Eine leere Etage, die aussieht wie eine Holzkiste mit Glasfront, kostet 200 Euro, die Einsteigermodelle der anderen Firmen etwa 300 bis 400 Euro. Kauft man die passende Einrichtung dazu, können es leicht 1000 Euro und mehr werden. Der Maßstab ist meist 1:12, 1:16 oder 1:18, seltener 1:6, weil man dazu viel Platz braucht.

Die Macher sind oft Designer - oder Künstler wie Laurie Simmons, die mit dem New Yorker Architekten Peter Wheelwright das "Kaleidoscope House" gebaut hat, einen knallbunten Plexiglaspalast in streng modernistischer Tradition. Simmons gehört zur Künstlerclique von Cindy Sherman und Richard Prince, nebenbei ist sie die Mutter der Schauspielerin Lena Dunham. Für ihr schlüsselfertiges Puppenhaus gibt es eine Warteliste. Auch der Nachbau von Arne Jacobsens Haus in Dänemark ist ausverkauft, was erstaunt, weil es zum einen 2700 Euro kostet und zum anderen nicht fertig angeliefert wird, sondern ein Bausatz ist zum Selbermachen.

Es gibt Menschen, die Essen in Miniaturtöpfen kochen und im winzigen Bungalow servieren

Der Markt ist überhitzt, die Puppenhausbesitzer sind es auch. Zum Runterkommen empfiehlt es sich, zur Firma Sirch ins Allgäu nach Böhen zu fahren. In einem Büro auf einem ehemaligen Bauernhof sitzen Wolfgang Sirch, gelernter Innenarchitekt, und Christoph Bitzer, von Haus aus Bildhauer. Kuhglockenläuten weht durch das Fenster, draußen hebt ein Gabelstapler neue Europaletten auf einen Lkw. Von der Instagram-Welt der Minihausposer ist das weit entfernt. Es gibt keinen Showroom, nur die Fertigungshalle, in der Holz für Schlitten dampfgebogen wird, Kindergartenstühle mit Filz bespannt werden, ein Rutschauto aus Holz poliert wird. Und dann stehen da noch zwei Puppenhäuser: die Villa Sibis und die Maison Rive Gauche. Die Häuser, die sich Bitzer und Sirch am liebsten selber gebaut hätten und nun im Miniformat in alle Welt verkaufen. Die Puppenhäuser sind Einraumwohnungen in Form lang gestreckter Körper aus Birkensperrholz. Es gibt verschiebbare Fronten aus Holz und Plexiglas, die Möbel sind aus Eiche, sie schmeicheln in der Hand. Hier ist sie, die gute Form ohne Firlefanz.

Möbel: Zwei Etagen ModernMidcentury gibt es bei Miniio aus Warschau.

Zwei Etagen ModernMidcentury gibt es bei Miniio aus Warschau.

Und wer kauft das jetzt? Erwachsene für sich, aber auch für ihre Kinder, sagt Christoph Bitzer. Viele wohnen in den USA und Fernost, 200 Stück im Jahr verkauft Sirch von jeder Villa, 175 bis 200 Euro kosten sie. Es gibt wenige Puppenhäuser, die so minimalistisch sind wie die aus dem Allgäu. "Wir wollen dem Irrsinn etwas entgegensetzen, dem Plastik, der billigen Produktion anderswo", sagt Bitzer. Wer gestaltet, habe einen Bildungsauftrag. Kinder sähen die Häuser nicht als Designobjekte, sondern als Spielzeug. Aber die reduzierten Formen, die schlichte Farbigkeit, das gute Material lasse Raum für Kreativität. Für Kinder und Erwachsene gleichermaßen.

Die meisten modernen Puppenhausbesitzer kaufen fertige Bungalows wie die aus dem Allgäu, seltener frickeln sie an komplizierten Bausätzen herum. Der größte Ehrgeiz fließt in die Einrichtung. Dafür gibt es den lautesten Applaus bei Instagram. Es gibt viele, die sich fertige Minimöbel kaufen und in ihre Häuser stellen. Die meisten Hersteller von Puppenhäusern bieten passende Sessel, Tische, Betten an. Ist das Haus im Maßstab 1:6, kommen die Vitra-Miniaturen ins Spiel, die es von mehr als 100 Designklassikern gibt, dem Lounge Chair von Charles und Ray Eames etwa. Mit Ottomane kostet er 615 Euro.

Möbel: Das Puppenhaus im reduzierten Bauhausdesign von Sirch wird im Allgäu gefertigt.

Das Puppenhaus im reduzierten Bauhausdesign von Sirch wird im Allgäu gefertigt.

(Foto: Sirch)

Das ist vielen Hausbesitzern dann doch zu teuer - und auch zu einfach. Sie kaprizieren sich auf die Kunst der Imitation. Da ist zum Beispiel Evelin Klotz, die Nachbauten von Designermöbeln ebenso anfertigt wie zeitgeistige Poofs, Raumteiler und aktuelle Mini-Zeitungen. Es gibt Könner in der Szene, die Tutorials bei Youtube geben. Erika Harberts alias Mikodesign aus den Niederlanden etwa, die in die Kunst des Minibleistiftbastelns einführt und Designobjekte nachbaut, was sie nicht als Plagiat sondern als "Wertschätzung für das Original" verstanden wissen will. Oder Mandi Johnson aus Ohio, die den DIY-Blog "Making Nice in the Midwest" betreibt und dort ihre Wohnlandschaften vorstellt, mit selbstgebauten Stahlrohrschwingern in Patina-Optik oder Flower-Pot-Lampen an der Decke, die tatsächlich funktionieren, weil sich Johnson selbst um die Elektrik kümmert. Es gibt Menschen wie Chantal Brady, die Essen in Miniaturtöpfen kochen und servieren und echten Wein in Puppenhausflaschen aus Glas abfüllen.

Es ist eine ziemlich irre Szene, die neuen Puppenhausbesitzer arbeiten mit Akribie an der perfekten Designillusion, die an Frances Glessner Lee erinnert. Die Millionärin gründete 1931 die erste Rechtsmedizin der USA und zur Aufklärung von Mordfällen stellte sie Tatorte in Puppenhäusern nach, mit exakter Verteilung von Blutspritzern, der zerwühlten Bettwäsche und Minileichen im Dachgebälk.

In der schönen neuen Puppenhauswelt der Erwachsenen gibt es nichts Böses - und auch keine Minimenschen. Es fällt auf, dass sich die Designhäuser vom Maßstab her ideal für Barbies oder Playmobil eignen, die einzigen, die sie da hineinstellen, aber Kinder sind. Vielleicht sind Menschen an sich einfach nicht perfekt genug.

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