Modewochen im Schlabberlook:Bleibt locker, Leute!

Stine Goya - Runway - Copenhagen Fashion Week F/W 2013

Model bei der Modewoche in Kopenhagen.

(Foto: dpa)

Zeltgroße Jogginghosen, bedruckte Sweatshirts, Strick: Der Modewochenmarathon hat begonnen und das sonst so piekfeine Publikum läuft in Turnschuhen und Jogginganzügen auf. Was ist da passiert?

Marlene Sørensen

Es fing alles in Kopenhagen an, der Stadt, in der "hygge" - die Gemütlichkeit - zu Hause ist. Es war ein schöner Spätsommertag im vergangenen August, eine große Streetwearmarke gab eine Gartenparty anlässlich der Kopenhagen Fashion Week, und überall auf dem Rasen verteilten sich anmutige Geschöpfe. Zuerst einmal kein so überraschender Anblick, schließlich sind die Modewochen bekannt für ihr schönes Publikum. Dann aber wanderte der Blick nach unten.

Und die schönen Beine dieser schönen Frauen steckten - nein, nicht in den üblichen Plateausandalen, sondern - in futuristischen Hightech-Turnschuhen, die diese Frauen zu winzigen Kleidern und auf den Schultern balancierten Baseballjacken kombinierten. Wer seine eigenen Pumps bis dahin für todschick gehalten hatte, wollte nur noch im Boden versinken.

In diesen Tagen ist wieder Modewoche in Kopenhagen. Und seit der vorigen Fashion Week ist Folgendes passiert: Die Laufschuhe, genauer gesagt die Modelle New Balance Air Vortex und Nike Free Run, sind in einem Affentempo um die Welt gesprintet, und werden längst nicht nur in Kopenhagen, sondern auch in Berlin, New York und anderen wichtigen Modestädten getragen. Und je mehr man von ihnen sieht, desto lässiger werden die Outfits, die sie begleiten.

In diesem Jahr wird der Modewochenmarathon bestritten, wie man das nicht für möglich gehalten hätte - in zeltgroßen Jogginghosen, bedruckten Sweatshirts, Strick in allen Formen und Farben, mit funktionalen Accessoires. Die britische Vogue war es, die den Trend vor einigen Wochen offiziell ausrief: "Haute Casual" - Lässigkeit auf hohem Niveau.

Versöhnung mit dem Feind

Das Revolutionäre daran? Es ist nicht irgendein Trend. Eher ist es die Versöhnung mit dem Todfeind. In den innersten Mode-Kreisen war Casualmode ähnlich verhasst wie Spaghetti Bolognese und zu viel Freundlichkeit. Quäl-Highheels waren das, was die Modeleute vom Fußvolk unterschied.

Carine Roitfeld äußerte sich 2011 in einem Interview mit der New York Times über Mädchen in Jogginghosen so: Wenn sie sie sehe, denke sie "oh, wie sie sich kleidet, ist vielleicht ein wenig zu komfortabel. Und das ist nicht nett gemeint." Oberste Mode-Maxime war, über Jahre: Wenn es nicht wehtut, ist es nicht schick genug.

Jogginghosen und Turnbeutel

Aber Carine Roitfeld ist nicht mehr die Chefin der mächtigen französischen Vogue. Und die Fotografen konnten wohl irgendwann nicht länger mit ansehen, wie sich die Damen mit ihren Pfennigabsätzen auf Kieswegen den Fuß verknacksen. Auch die Bilder solcher halsbrecherischer Schuhe verkauften sich plötzlich nicht mehr gut, denn was Modemagazine weltweit haben wollten, war der echte Streetstyle-Look.

Also: Leute auf der Straße, in Mode, die auf dem Boden geblieben ist. Bequeme Sportschuhe. Bequeme Parkas. Und die hippste Hose derzeit sieht aus wie eine minimalistische Version der Adidas-Jogginghose. Dazu passen weiße T-Shirts, wie von A.O. cms oder The White Briefs aus Schweden, aus schlichter Naturbaumwolle. Und die Tasche, die man in Berlin und Kopenhagen momentan ständig sieht, ist ein kaugummibunter Stoffkasten von Fjällräven - ein Rucksack, der in den späten Achtzigern nicht wenigen Schulkindern als Turnbeutel diente.

Schlabberige Herausforderungen

Die Fortgeschrittenen erkennt man übrigens an einer ironischen Überhöhung des Trends. Ein Outfit, wie es Natasha Goldenberg (Russin, macht was mit Mode) auf dem Foto nebenan auf der Pariser Fashion Week im vergangenen März trägt - XL-Jogginghose, Kuscheldecke - kostet mindestens so viel wie eine Jahreskarte im Nobel-Fitnessstudio.

Bevor es zu Missverständnissen kommt: Mit "bequem" ist nicht "schlampig" gemeint, und zur Umsetzung taugen auch nicht die schon leicht verfusselten Wohlfühlklamotten, in denen man sich zu Hause auf dem Sofa einlümmelt. Schon klar, ein wenig hat der Trend sicherlich mit der fortschreitenden Wellnessierung der Welt zu tun - aber entspannt auszusehen erfordert im Gegenteil größte Sorgfalt.

Der gehobene Lässig-Trend hat nämlich durchaus seine Tücken: Für überlange Jogginghosen muss man in Kauf nehmen, ständig über die eigenen Füße zu stolpern. Die neuen Turnschuhe haben keine Profilsohle, man rutscht auf Schnee leicht aus. Aber die größte Herausforderung überhaupt, ist ein schlichtes Oberteil nach etwas aussehen zu lassen. Zum Beispiel dieses graue Sweatshirt, das es aktuell von Saint Laurent gibt: Dass man knapp 500 Euro investiert hat, wissen am Ende ein paar Mode-Kundige. Der Rest hält es für ein Schnäppchen von Tchibo.

Der Überwurf von Natasha Goldenberg, der durchaus auch einer Designercouch gut stünde, stammt aus dem Modehaus Chloé. Unter der Designerin Hannah MacGibbon etablierte das Label bereits vor ein paar Jahren die Kaschmir-Jogginghose als Statussymbol. MacGibbons Nachfolgerin Clare Waight Keller, früher bei der Traditionsmarke Pringle of Scotland für schicke Pullis zuständig, macht bei Chloé jetzt mit kuscheligem Strick und kokonartigen Parkas weiter. Kollegin Stella McCartney liebt den "Onesie", einen fast maßgeschneiderten Strampler für Erwachsene (kostet oft unfassbar viel, ist immer unfassbar scheußlich, bitte sofort wieder vergessen).

Bitte, fühlen Sie sich wohl!

Am überzeugendsten vertritt vielleicht Phoebe Philo bei Céline den Wandel von der Konzeptmode zur, tja - Alltagsmode. Da kann selbst die einflussreiche Modekritikerin der New York Times, Cathy Horyn, unken, in den neuen Jacken und Hosen von Céline sei so viel Stoff verarbeitet, dass die Models darin versinken. Normalen Frauen dürfte der Ansatz der drei Britinnen gefallen: Man soll ihre Sachen tragen können, und sich in ihren bitte wohl fühlen. Das ist doch nett, wenn man schon ein paar große Scheine für die Mode hinblättern muss.

Interessant wird es, was demnächst ein Mann zu alldem beizutragen hat: Alexander Wang. Der New Yorker Designer, der einmal mit einer kleinen Kaschmirkollektion anfing, hat innerhalb weniger Jahre sportliche Mode alltagstauglich gemacht und dank schlauer Vermarktung mehr T-Shirts vertickt, als schicke Clubber sie auftragen können. Nach dem Abgang von Nicolas Ghesquière hat der 28-jährige Wang das Design bei Balenciaga übernommen, dem vielleicht hochnäsigsten aller Pariser Modehäuser. Mal abwarten, wie er nach der ersten Show vor das Publikum treten wird. Bisher war seine Uniform: T-Shirt, Jeans, Turnschuhe. Und bisher ist ihm noch jeder hinterhergerannt.

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