Süddeutsche Zeitung

Modewoche London:Kreditkarte her!

Bei der Londoner Fashion Week zeigt Burberry erstmals eine Kollektion, die sofort gekauft werden kann. Das macht die Mode nicht unbedingt innovativer, kommt aber prima an.

Von Silke Wichert

Am Brexit führt kein Weg vorbei? Aber sicher doch. Theresa May jedenfalls ließ das Thema bei ihrer Eröffnungsansprache für die London Fashion Week vergangene Woche weitestgehend unter den Tisch fallen. Es war ja die erste Modewoche für sie als britische Premierministerin, da will man nicht gleich unangenehm auffallen - schließlich hatten 90 Prozent der Branche für den Verbleib in der EU gestimmt. Demnächst müssen die Unternehmen zusehen, ob sie noch halbwegs günstig an ihre Stoffe kommen; ob sie die jungen Talente, die aus allen Teilen Europas in diese kreative Metropole strömen, noch immer so einfach beschäftigen können.

Man spürt, dass vieles in der Luft hängt. Unbedingt waghalsiger macht das die Designs für nächstes Frühjahr nicht. Immerhin kaufen die Touristen wegen des gesunkenen Pfunds gerade die Boutiquen leer. Aber eine komische Übergangszeit ist das, und nicht jeder kann sich einfach einen der festen Canvas-Mäntel von Paul Smith überwerfen, um da durchzukommen.

Epochaler Wandel, Zeitreise, Geschlechterspiel - alles hochaktuell in der Mode

Ganz nebenbei gibt es da ja auch noch andere Dinge, über die sich die Branche den Kopf zerbricht. Wer die letzten Monate nur halbwegs gut aufgepasst hat, weiß jetzt schon, was kommt: See Now! Buy Now! Burberry hatte diese Revolution im Februar angezettelt. Dummerweise haben fast alle Labels, die damals mit auf den Zug aufgesprungen sind und ihre Kollektionen nun ebenfalls direkt vom Laufsteg weg verkaufen, schon vor zwei Wochen in New York gezeigt, darunter Tommy Hilfiger und Ralph Lauren.

Die Ersten sind also plötzlich die Letzten, dafür machen sie es besser: "Chief Creative Officer" Christopher Bailey hat für seine Show ein kurz vor dem Abriss stehendes Backsteingebäude in Soho noch einmal herrichten lassen, inklusive weitläufig ausgelegter grüner Teppichware, Gipsbüsten und einem 21-köpfigen Orchester. Neben Prominenten wie Cara Delevingne und Samantha Cameron sind diesmal ausdrücklich auch noch ein paar echte Menschen, also Kunden, eingeladen worden, während im Erdgeschoss bereits die "New Craftsmen" eingipsen und Quasten zurechtschneiden - alte Handwerkskunst, wie sie hier noch die ganze Woche lang für jedermann zugänglich vorgeführt werden wird. Wenn sich Burberry einerseits wieder hypermodern und innovativ gibt, soll das Drumherum signalisieren: Wir legen natürlich trotzdem ganz viel Wert auf traditionell hochwertige Verarbeitung!

Genau, die Kollektion. Inspiration: Orlando. Nicht die Stadt in Florida. Es gibt da noch dieses Buch von Virginia Woolf, und für alle, die es nicht gelesen haben, liegt es auf den mit geblümtem Chintz überzogenen Bänken. Das Thema überrascht hier niemanden, weil es durch Appetithäppchen an die Presse und eine Anzeigenkampagne zur Verkaufskollektion längst bekannt ist. Der Plot passt ja auch so wunderbar in diese Zeit. Epochaler Wandel, Zeitreise, Geschlechterspiel - alles hochaktuell in der Mode. Schließlich werden diese Saison bei Burberry wie auch bei einigen anderen Labels die Männer- und Frauenkollektionen zusammen präsentiert.

Es finden sich also viele, vielleicht ein bisschen zu viele historische Referenzen in den Entwürfen. Rüschenhemden, Kavallerie-Jacken, Quasten an Mänteln und Schuhen, viktorianische "pie crust"-Krägen. Letztere geben aber, über Kleidern und Pullovern, ein modernes Styling ab. Überhaupt geht es hier vor allem um den furchtlosen Mix der Epochen: gestreifte Seidenhose unter Paisleymantel unter Militaryjacke mit Nietengürtel? Nur zu! Rüschenhemd mit überlangen Ärmeln unterm V-Pullover zu lässig weiten Männerhosen? Unbedingt. Vieles greift aktuelle Trends auf - ergibt ja auch Sinn, schließlich ist das hier, wir erinnern uns, die Winterkollektion, die jetzt sofort in die Läden kommt. Bailey ist trotzdem nicht nur auf Nummer sicher gegangen. Das wären endlose Varianten des Trenchcoats gewesen.

Später haben nicht nur die Models immer noch die Showlooks an, während sie im Hof zwischen Büsten, Lichterketten und den Gästen rumstehen - fast sämtliche Celebrities bis hin zu Anna Wintour tragen ebenfalls allerfrischestes Burberry. Das ist schlau, weil es die Entwürfe in das halbnormale Leben holt und so ein weiter Morgenmantel zum Spitzenkleid über Shorts und Workerboots noch einmal selbstverständlicher daherkommt.

Samantha Cameron findet die Kollektion "fantastisch", hält sich beim Shoppen aber noch zurück. Kunden werden auf Wunsch nämlich unverzüglich in den Store auf der Regent Street gefahren, vor dem sich bereits Schlangen bilden. Ganz anders der Mittvierziger im Burberry-Karo. Er ist nicht nur "excited" - er kauft schon. Zum Beweis holt er sein Handy heraus, eine der Aviator-Lederjacken liegt bei ihm im Online-Warenkorb. Vielleicht doch nicht so doof, dieses See Now, Buy Now?

Christopher Bailey hat für seinen Vorstoß viel Kritik einstecken müssen: Die Mode verkomme immer mehr zum hektischen Fließbandbetrieb. Andere halten das Ganze nur für ein geschicktes Ablenkungsmanöver, Burberry muss wegen Gewinneinbrüchen vor allem in Asien jährlich 100 Millionen Pfund einsparen. Da schadet es nicht, die Aufmerksamkeit auf andere Dinge zu schieben. Und Unisextrend hin oder her - wer die Männer- und Frauenschau zusammenlegt, spart Geld. "Wir probieren Dinge aus, das tun wir immer", sagt Bailey backstage, und das zumindest muss man ihm hoch anrechnen in einer Branche, die zwar den ständigen Wandel propagiert, sich selbst aber nicht so gern mitwandelt. Karl Lagerfeld designt für H & M? Skandal! Teure Designersachen online verkaufen? Frevel! Auch bei diesen Entwicklungen haben sich die Labels lange gesträubt, ganz nach dem Motto: Vielleicht geht das ja wieder weg, wenn man es nur lange genug ignoriert? Bekanntlich kam es anders.

Im Londoner V & A-Museum läuft gerade die Ausstellung: "You say you want a revolution?" über die Jugendkultur der späten Sechzigerjahre. Daran gemessen sind das hier natürlich alles nur Umstürzchen. Auch gesellschaftlich gibt es die großen, einheitlichen Bewegungen nicht mehr, jeder macht sein eigenes Ding, werkelt am individuellen Lebensentwurf. Das wiederum spiegelt die Mode nicht zuletzt mit solchen Ausreißern aus dem alten Schauensystem wider: "Es wird nicht mehr das eine Modell geben, sondern viele verschiedene", sagt Imran Amed, Gründer der Branchenseite Business of Fashion. "Was für eine Marke funktioniert, muss nicht für alle passen."

Victoria Beckham zum Beispiel denkt gar nicht daran, den Rhythmus umzustellen, sagt sie, ihr Business wächst auch so rasant. In London präsentiert sie ihre Zweitlinie im kleinen Rahmen. Für mehr Aufmerksamkeit sorgt ihre neue Beautylinie mit Estée Lauder bei Selfridges. Kate Moss kündigt derweil an, eine "Talentagentur" zu gründen. Und Pippa Middleton möchte laut der Times nicht mehr "Socialite" genannt werden. Das sind Big News!

Ein Kunde hat nach der Show schon die Aviator-Lederjacke im digitalen Warenkorb

Gar nicht so einfach, da als junges Designerlabel mitzuhalten. Am ehesten schaffen es Roksanda Ilincic mit ihren professionell-lässigen Designs in Kupfer- und Brauntönen, die bald wieder First Ladys und Kate Middleton tragen werden. Der 32-jährige Nordire J. W. Anderson wird ebenfalls wieder frenetisch gefeiert und neuerdings sogar gekauft. Nächste Saison: kastige Jacken, die an moderne Ritterrüstungen erinnern, Leinenkleider wie aus Tischdeckchen zusammengesetzt. Die Schuhdesignerin Charlotte Olympia Dellal präsentiert ihre Kollektion öffentlichkeitswirksam mit Showgirls unter dem Motto: "Let's go bananas", einfach mal durchdrehen. Auch ein absolut zeitgemäßes Motto.

Und dann gibt es ja noch Christopher Kane, konzeptionell der stärkste Brite. Vor den Augen von Salma Hayek zeigt er in der Tate Britain wie von Luftschlangen bewucherte Spitzenkleider, Ledermäntel mit Spitze, dazu jedoch: Crocs! Diese Plastiklatschen, die man nur noch auf Spielplätzen und Krankenhausfluren wähnte.

Zum Glück gibt es die nicht gleich zu kaufen. Womöglich würde auf die Schnelle noch irgendwer auf dumme Gedanken kommen.

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Quelle:
SZ vom 24.09.2016
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